Zwischen 1910 und 1930 entsteht nördlich des Waldemar-Becké-Platzes das liebenswerte Scharnhorstviertel. Es ist eine seinerzeit schon verantwortungsbewusste und vorausschauende Bauplanung. Heute stehen die roten Klinkerbauten unter Denkmalschutz. Die anspruchsvolle Architektur mit den klaren Formen ist ein beliebtes Wohnviertel. Fast hundert Jahre später ist der Bereich von der Bürgermeister-Smidt-, Stein-, Scharnhorst-, Fichte- und Kantstraße beliebt wie eh und je. Kein Wunder, denn die geräumigen Wohnungen mit grünen Innenhöfen und schöner Architektur liegen zentrumsnah und doch ruhig. Wohnen im Viertel – hier fühle ich mich pudelwohl!
Scharnhorstviertel – hier bin ich gern
Die hellen und gut geschnittenen Wohnungen mit Balkonen und Loggien sind bei Familien, Alleinerziehenden, WGs, Jung und Alt gleichermaßen beliebt. Die grünen Innenhöfe sind beliebter Treffpunkt. Spielgeräte und Fahrradschuppen sowie Begegnungsstätten finden hier Platz. Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, die Szene- und Kulturmeile Alte Bürger und öffentliche Verkehrsmittel sind prima zu erreichen. Das Scharnhorstviertel als prägendes Stadtbild zählt heute zum Erhaltungsgebiet. Mit viel Engagement werden die Gebäude und das Wohnumfeld gepflegt und bieten den Bewohner*innen ein attraktives zu Hause. Ich möchte mehr über die Geschichte meines Viertels wissen und begebe mich auf Spurensuche.
Das Scharnhorstviertel – Aufbruch in eine neue Zeit
Die Bremerhavener Häfen gewinnen um 1900 immer mehr an Bedeutung. Arbeitsplätze entstehen und die Einwohnerzahlen steigen. Der Bebauungsplan sieht eine Stadterweiterung östlich der ehemaligen Kaiserstraße, heute Bgm.-Smidt-Straße, vor. Gleichzeitig liegt der Augenmerk auf einer qualitativen Verbesserung der Wohnsituation. Die Stadt übernimmt die Verantwortung und schafft ein verfassungsrechtlich abgesichertes Grundrecht auf gesunden Wohnraum.
Zum Glück ist das Vergangenheit
Für mich heute unvorstellbar, lebten die Menschen damals in menschenunwürdigen Wohnungen. Wohnungen ohne Tageslicht und ohne die Möglichkeit zum Lüften. In den feuchten Unterkünften bildet sich fingerdick Schimmel. Menschen wohnen auf engstem Raum zusammen. Krankheiten breiten sich rasend schnell aus. Nicht jeder Haushalt verfügt über einen Wasseranschluss und gar Toilette. Die neue Bauordnung von 1908 und 1913 dies aber endlich vor. Es wird gewährleistet , dass auch die untersten Wohnungen Tageslicht bekommen.
Machen statt reden
Entspannung finden die hart arbeitenden Bewohner*innen nun auch in den begrünten Innenhöfen. Zu verdanken haben es die Bewohner*innen Waldemar Becké, späterer Stadtdirektor und Oberbürgermeister, und Julius Hagedorn, Stadtbaudirektor. Bremerhaven ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts somit Vorreiter mit den gesetzlichen Vorgaben für gesunden Wohnraum.
Funktionalität statt Firlefanz
Das bewahrt die Verantwortlichen nicht davor, sich für den vermeintlichen Luxus in den Sozialwohnungen öffentlich zu rechtfertigen. Drei- und Vierzimmerwohnungen mit 69 bis 107 Quadratmetern, eigenem Bad und Balkon oder Loggia sind seinerzeit absolute Ausnahme. Dafür entfallen damals übliche Stilelemente wie Giebel und Türme. Lediglich die Regenfallrohre unterteilen die einheitlichen Putzfassaden. Überhaupt werden die Formen klarer. Kein Schnick-Schnack, dafür aber große Fenster und funktionale, einheitliche Grundrisse.
Das Scharnhorstviertel überzeugt
So schön das alles ist, müssen die Mieter*innen doch von den Neuerungen überzeugt werden. Zwecks optimaler Ausnutzung der Wohnfläche werden Küchen und Flure verkleinert. Wohnküchen, wie man sie kennt, gibt es nicht mehr. Um den Mieter*innen die Vorzüge und Möglichkeiten dieser Wohnungen aufzuzeigen, wird die Ausstellung „Die neue Wohnung“ inszeniert. Die ortsansässige Möbelindustrie nutzt sie gleichzeitig als Produktschau. Das Interesse an der Ausstellung mit Wohnbeispielen ist so groß, dass die Laufzeit verlängert werden muss.
Historisches erhalten – das Scharnhorstviertel
Natürlich nagt der Zahn der Zeit auch am Scharnhorstviertel. Dank der Erklärung zum Erhaltungsgebiet wird hier jedoch energetisch saniert. Die seinerzeit vorgeschriebene Mindestdeckenhöhre von 2,80 Meter ist auch heute noch in den Wohnungen vorhanden. Die individuellen Fassaden werden ebenso erhalten, wie das historische Pflaster. Die liebevollen Mosaike auf den Gehwegen und die schönen Vorgärten runden das Erscheinungsbild des Viertels ab. Auf meinen Weg nach Hause bleibe ich oft stehen und sehe den bunten Schmetterlingen zu, die sich auf dem Sommerflieder tummeln. Aber auch niedrige Hecken, Blütensträucher und Zierobstbäume finden sich hier. Die Einbauten für Abfallbehälter fallen dabei gar nicht mehr auf.
Von wegen alles gleich – Hinschauen lohnt sich
Auf den ersten Blick wirkt das Scharnhorstviertel vielleicht unscheinbar. Aber der Teufel steckt ja bekanntlich im Detail. Die Fassaden weisen mittels Klinker horizontale Gliederungen auf. Die Klinkerfassaden werden plastisch gestaltet. Was auf den ersten Blick gleich erscheint, ist doch unterschiedlich. Komplette Klinkerfassaden wechseln sich mit Putz-Klinker-Fassaden ab. Runde und eckige Türlaibungen schaffen Unterschiede. Plastische Abbildungen von unterschiedlichen Gewerken und Putten verzieren einige Hauseingänge. Der rote Klinker zwischen Fenstern zeigt teilweise Muster statt stupider Reihenverläufe.
Ein Viertel für Alle
Parkraum ist wie überall in den Städten auch hier knapp. Aber auch hier wird mitgedacht. Die Bordsteine sind niedriger als in anderen Wohngebieten. Das ermöglicht dem Autofahrer ein kurzzeitiges Ausweichen beim Begegnen zweier Fahrzeuge. Klar, dass niedrige Bordsteine auch Barrierefreiheit für Kinderwagen und Rollatoren bedeuten. An den Kreuzungsbereichen sind die niedrigen Bordsteine sogar noch abgesenkt. So können auch Rollstuhlfahrer*innen bequem die Straße überqueren. Und so, wie hier auf die verschiedensten Bedürfnisse und Anforderungen eingegangen wird, ist auch das Viertel. Jung und Alt, Singles und Familien, Sportliche und Genießer wohnen hier im harmonischen Miteinander und fühlen sich sichtbar wohl – genau wie ich!
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