Wasser marsch! Für uns ist es heute selbstverständlich, den Wasserhahn aufzudrehen und jederzeit frisches Trinkwasser zu erhalten. Das war nicht immer so. Bremerhaven liegt direkt am Wasser, am Eingang zur Nordsee. Aber trotzdem hatten die Bewohner Bremerhavens paradoxer Weise lange keinen direkten Zugang zum Trinkwasser. Wie es den findigen Lehern Eits und Schwoon dennoch gelang, die Einwohner mit dem Lebenselexier zu versorgen, erzähle ich euch heute. Tauchen wir ein in die Geschichte vom Schwoon’schen Wasserturm.
Vom Wasserturm zum Lagerraum
Eine der wichtigsten Nord-Süd-Verbindung durch unsere Seestadt ist die Hafenstraße. Sie verbindet die Stadtteile Mitte und Lehe. Auf der rechten Seite liegt im Stadtpark etwas zurückversetzt der Schwoon’sche Wasserturm. Und direkt nebenan befindet sich das Verlagsgebäude der Nordsee-Zeitung (NZ). Jahrelang hat der Verlag den Turm als Lagerraum genutzt. Als Auszubildende der NZ habe ich jeden Tag, den ich in der Abrechnung verbrachte, gebetet, dass ich nicht in den Turm gehen muss. Denn hier wurden Akten archiviert. Mir grauste immer davor, denn in meiner Vorstellung lebten in diesem Turm hunderte von Spinnen. Das alte Gemäuer muss ein Paradies für die Achtbeiner gewesen sein. Aber ich hatte Glück.
Lehe hatte eine „lange Leitung“
1834 entschied sich der jetzige Stadtteil Lehe dagegen, städtisch zu werden. Am heutigen Freigebiet befand sich die Zollgrenze. Das ist dort, wo das Hochhaus auf der linken Seite steht, wenn ihr über die Abfahrt Bremerhaven-Zentrum auf die Stadt zufahrt. Allerdings unterhielten Bremerhaven und Lehe enge Verbindungen. Denn Lehe versorgte Bremerhaven mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und, was noch wichtiger war, frischem Quellwasser.
Kein Brunnen in Bremerhaven
Es gelang den Bremerhavener nicht, eine Brunnenanlage zu bauen. Im kompletten Hafengebiet gab es nur eine einzige Zisterne. Ich kann mir die hygienischen Bedingungen und Mühen des Alltags ohne Wasser kaum vorstellen. Die Bewohner bauten auf ihren Höfen Zisternen. Und sie fingen Regenwasser in Tonnen auf. Die Bevölkerung kaufte in dieser Zeit das Wasser von den Lehern. Die brachten das Wasser in Fässern mit Pferdefuhrwerken in die Stadt.
Die erste Wasserleitung
Schließlich gelang es dem Maurermeister Johann Hinrich Eits und dem Spediteur Johann Georg Claussen 1838 eine Wasserleitung zu legen. Die führte von Lehe bis in die heutige Innenstadt, zur Kirchenstraße 48. Das gute Quellwasser wurde etwa dort gefördert, wo sich heute die Sparkasse in der Hafenstraße befindet. Mit Pferdekraft wurde das Wasser in einem Wasserturm auf 15 Meter angehoben. Von dort wurde es durch die Wasserleitung nach Bremerhaven gedrückt. Hier wurde jeder, der es wünschte und bezahlte, von Jacob Christ, dem „Waterchrist“, mit zwei Eimern Wasser pro Haus beliefert.
Konkurrenz belebt das Geschäft
Melchior Schwoon erhielt 1852 die Konzession, die Stadt und den Hafen mit Wasser zu versorgen. Umgehend ließ er 1852/53 den Wasserturm nach den Plänen des Architekten Simon Loschen erbauen. Zwar war Eits darüber natürlich nicht erfreut, aber der Konkurrenzkampf legte sich, als 1870 die Kinder der Kontrahenten heirateten. Vom Wasserturm wurde ein ganzes Leitungsnetz in die Stadt verlegt. An etlichen Straßenecken ließ Schwoon Wasserpfosten installieren. Jede in der Nähe wohnende Familie hatte einen Schlüssel zu diesen Versorgungsstellen. Auch die Schiffe konnten nun komfortabel mit Wasser versorgt werden. Ein Hydrant wurde an der Ostseite des Alten Hafens installiert. Von hier aus konnten die Seeleute ihre Fässer mit einem Wasserschlauch befüllen.
Der Fortschritt lässt auf sich warten
In den siebziger Jahren wurden Wasserleitungen in die größten Häuser verlegt. Jetzt erwies sich der Schwoon’sche Turm als zu niedrig. Denn der Druck reichte nicht mehr aus, um den notwendigen Wasserdruck über die erste Etage hinaus zu erzeugen. Die Stadt suchte händeringend nach einer Lösung. 1885 gelang es, die Bremerhaven und Lehe über den Wasserturm in der Langener Landstraße mit Frischwasser zu versorgen. 1902 bauten Schwoon in Zusammenarbeit mit Lehe den Turm zu seiner jetzigen Größe aus. 1909 zahlte die Stadt Bremerhaven 262.500 Mark an Schwoon und übernahm das gesamte Wasserrohrnetz und die dazugehörige Konzession. 1915 wurde Eits‘ Wasserturm abgerissen.
Geschichte wird geschützt
Das Äußere des neogotischen Turms lässt die in den Jahren vorgenommenen Änderungen nicht erahnen. Schon 1881 wurde der gemauerte Wasserbehälter gegen einen Behälter mit 500 Kubikmetern Fassungsvermögen ersetzt. 1896/97 wurde der Turm um etwa neun Meter erhöht und bekam einen für 600 Kubikmeter. 1900 wurde dieser noch einmal erneuert. Seit 1984 steht der Schwoon’sche Wasserturm nunmehr unter Denkmalschutz. Die Trinkwasserversorgung erfolgt heute für mich wie selbstverständlich. Die swb liefert dazu bestes Trinkwasser aus dem Hahn.
Tolle Location statt Wasser marsch
Von seiner ursprünglichen Aufgabe ist im Inneren nichts mehr zu sehen. Auch die staubigen Archive der Nordsee-Zeitung mit dem Spinnenschlaraffenland sind zum Glück Geschichte. Heute wird das Innere des Turms zu ausgewählten Veranstaltungen farbenfroh illuminiert. Hier in der „Losche„, wie der Turm heute heißt, finden hochkarätige Talkrunden und Lesungen statt. Gäste aus Politik und Wissenschaft informieren über aktuelles Zeitgeschehen und begeben sich mit Gästen in regen Austausch. Ich war zu schon zu unterschiedlichsten Veranstaltungen dort und freue mich auf die kommenden. Vielleicht sehen wir uns ja einmal.
Lutz Behrendt
Sehr interessante Informationen. Ich habe den Wasserturm als Kind mit einem Fernglas aus dem elterlichen Wohnzimmer beobachtet und inspiziert (es tat sich allerdings nicht viel 🙂
Auf dem Grundstück meines Elternhauses (1898) befindet sich ein sehr tiefer gemauerter Brunnen. Sofern die Umstände es wieder zulassen, besuche ich einmal eine Veranstaltung im Turm. Viele Grüße aus NRW
Tanja Albert
Lieber Lutz,
vielen Dank für die positiven Worte. Auch ich finde es immer wieder spannend, Hintergrundinfos zu Gebäuden zu erhalten, die einen in der Kindheit oder auch ein Leben lang begleitet haben. Umso schöner, wenn diese dann wie im Fall des Wasserturms, für Veranstaltungen geöffnet werden.
Herzliche Grüße
Tanja