Kerzen hat wohl jeder von uns zu Hause. Mit ihnen tauchen wir Räume in stimmungsvolles Licht. Kerzenschein sorgt für Gemütlichkeit und Geborgenheit. Und mit den Farben und Formen der Kerzen setze ich gezielt hübsche Dekoelemente. Aber heute möchte ich Euch eine ganz besondere Kerze vorstellen, die Sail-Kerze. Was es damit auf sich hat und wo sie in Handarbeit hergestellt wird, zeige ich Euch bei meinem Besuch im Lichtblick. In dieser Kerzenmanufaktur der Elbe-Weser Welten gGmbH (EWW) arbeiten Menschen mit Behinderung Hand in Hand zusammen und zaubern dabei die unterschiedlichsten Kerzen.
Mit offenen Armen empfangen
Ich betrete den Verkaufsraum. Mein Auge ist von den farbenfrohen Kerzen gefangen, die die Regale an den Wänden und eine große Tischinsel in der Raummitte füllen. Etwas irritiert bin ich über den großzügigen Raum. Aber dazu später mehr. Ich nähere mich dem Verkaufstresen. Schon höre ich, dass mein Besuch offenbar angekündigt wurde. Leise flüstern einige Beschäftigte: „Die Frau von der Erlebnis ist da.“ Gleich darauf nimmt mich Rolf Bietmann in Empfang. Er ist Bereichsleiter aller Produktionsbereiche der EWW und führt mich in die Werkstatt.
Rund um die großen Arbeitstische sitzen die Beschäftigten im hellen Raum. Das gefällt mir. Hier muddelt keiner für sich allein in einer Ecke vor sich hin. Alle sitzen und arbeiten zusammen und haben doch ihren eigenen Bereich. Und jeder darf seine persönliche Fähigkeiten entfalten. Einige arbeiten gern mit Wachs, andere reinigen mit einer Engelsgeduld die Kerzenformen. Und wieder andere haben eine ganz ruhige Hand, um die Dochte mittig in Formen zu setzen. Ich würde mich in diesem Team auch sehr wohlfühlen. Im angrenzenden Büro treffe ich auf Aldona Bednarek und Matthäus Sonik. Sie sind hier als Fachkräfte für Arbeit- und Berufsförderung für die Kerzenwerkstatt Lichtblick zuständig.
Kreativität hat viele Anhänger
„34 Beschäftigte arbeiten hier“, erzählt mir Aldona bei einer Tasse Kaffee. Die meisten von ihnen haben eine geistige Einschränkung oder psychische Erkrankung, aber es gibt auch Menschen mit körperlichen Mehrfachbeeinträchtigungen. Das erklärt auch den großzügen Verkaufsraum und die offene Werkstatt. Klar, denn hier müssen auch Rollstühle problemlos rangieren können.
Ein gegespieltes Team
Aber nun geht es los! Ich darf bei der Produktion zusehen. Am ersten Tisch sitzen Olaf und Genina. Sie sind ein eingespieltes Team und arbeiten Hand in Hand. Olaf erwärmt die Gläser, die bereits dreiviertel voll mit Wachs sind. Dadurch werden die Kristalline flüssig. Jetzt können sie sich mit dem flüssigen Wachs, das Genina einfüllt, verbinden. So verhindern die beiden, dass sich das Wachs unschön in Schichten absetzt. Genina überprüft dabei im Handumdrehen noch, ob der Docht auch bei jeder Kerze tatsächlich mittig sitzt und korrigiert ihn notfalls. Das garantiert ein gleichmäßiges Abbrennen der Kerze.
Jede Hand zählt
Gleich nebenan rollt Alfred seinen Rollstuhl an den Arbeitstisch heran. Ein Kollege füllt aus einem der großen Behälter flüssiges Wachs in einen Messbecher und reicht diesen weiter. Zwar kann Alfred nur einen Arm verlässlich bewegen. Aber das genügt, denn er füllt das Wachs vorsichtig und gewissenhaft in die bereitstehende Kerzenformen. Die müssen jetzt noch auskühlen, bevor es zur nächsten Station geht, wo sie weiter bearbeitet werden können.
Hand in Hand und Band für Band
Weiter führt mich mein Weg in die „Kreativecke“. Hoch konzentriert sitzen Gaby und Manuela nebeneinander. Vor sich stehen die neuen „Sail-Kerzen“. Der Lichtblick der EWW hat diese Kerzen anlässlich der diesjährig stattfinden Sail Bremerhaven (19. bis 23. August 2020) entworfen. Und auch solche neuen Artikel werden im Team erarbeitet. Dabei finden die Erfahrungen und die Vorschläge der Beschäftigten Berücksichtigung.
„Klar fließen die Erfahrungen der Beschäftigten in neue Produkte ein“ teilt mir Matthäus mit. „Sie sind es schließlich auch, die nah am Kunden sind und die Wünsche der Käufer im Gespräch heraushören.“
Jedenfalls werde ich schon ganz kribbelig vom Zusehen. Manuela bindet einen Seemannsknoten um das Kerzenglas. Der darf natürlich nicht zu locker sein, damit er nicht verrutscht. Anschließend wird der Minitampen geteilt, um ein Ende in den Dekoanker zu fädeln. Der muss dann Runde um Runde nach oben gedreht werden. Das Sail-Logo wird platziert und die Tampenende verknotet. Jetzt noch ein Lichtblick-Aufkleber und das Preisschild drauf. Fertig! „Eigentlich“ ganz einfach, wenn man eine ruhige Hand hat, denke ich mir. Wenn da das Wörtchen „eigentlich“ nicht wäre.
Jetzt wird’s bunt
Vor Antje liegt ein blaue Wachsplatte. Mit geübter und ruhiger Hand zerteilt sie diese mit einem großen Spatel zuerst in gleichmäßig breite Stäbchen. Einen Teil davon zerkleinert sie dann noch zu Würfeln. Beides wird zum Herstellen der farbenfrohen Kerzen benötigt. Die sind gerade jetzt zum Frühling und zur Osterzeit sehr beliebt.
Ohne sie geht nichts
Was wäre eine Kerze ohne Docht? Anika weiß genau, welche Dochtstärke für welche Kerzengröße zu verwenden ist. Still und konzentriert, fädelt sie ihn durch das winzige Loch im Boden der Form. Oben wird er mit Hilfe einer Art Nadel fixiert. Am unteren Ende der Form verhindert ein Klebepunkt das Rausrutschen des Fadens. Und so bereitet sie eine Form nach der nächsten für ihre Kollegen an den anderen Arbeitstischen vor.
Arbeitserleichterung für die Bienen
Was ist das, frage ich mich? Jan steht an einer Art Waffeleisen. Hier werden Wände aus Wachs hergestellt, die später in die Bienenstöcke gehängt werden, erklärt mir Matthäus. Die Imker liefern das Wachs an, und daraus werden die Wände erstellt. So ist sichergestellt, dass auch nur das Wachs Einzug in den Stock erhält, das vom eigenen Bienenvolk stammt. Das ist wichtig, denn Bienen können empfindlich auf fremdes Wachs reagieren. Dadurch, dass die Wände bereits fertig eingehängt und nicht mehr selbst von den Bienen hergestellt werden, werden den Bienen etwa zwei Monate Arbeit „erspart“, erfahre ich.
Hand in Hand entstehen Unikate
Aber zurück zu unserer Sail-Kerze. Ich finde, sie ist gut gelungen. Modern und maritim mit Tampen, Anker und Sail-Logo. Gut geschützt in einem Sicherheitsglas. Das kann übrigens, wenn die Kerze abgebrannt ist, zum reduzierten Preis beim Lichtblick wieder befüllt werden. Tolle Idee und nachhaltig obendrein, denke ich mir.
Vielfalt und Individualität
So individuell wie jeder Beschäftigte ist, so vielfältig ist das Angebot der EWW. Eine Auswahl allein der Kerzenvielfalt ist auf dem obigen Bild zu sehen. Bei den Elbe-Weser Welten gibt es aber noch andere kreative Arbeitsbereiche. Da sind beispielsweise die Holz- und Metallwerkstatt, die Fruchtaufstrich- und Chutneyherstellung, die Druckerei und vieles mehr. Wer jetzt auch eine der tollen Sail-Kerzen haben oder verschenken möchte, findet sie in unseren Tourist-Infos und unserem Shop. Andere tolle Produkte der Elbe-Weser Welten sind im Lädchen zu erhalten. Vorbeischauen lohnt sich!
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