Fast 100 Museumsschiffe gibt es in Deutschland. Die GERA ist darunter etwas ganz Besonderes. Sie ist der letzte deutsche Seitentrawler und feiert nun einen runden Geburtstag: Seit 30 Jahren erlebt Ihr an Bord hautnah, wie hart die Arbeit der Hochseefischer früher war. Doch wie und warum kam das DDR-Schiff nach Bremerhaven? Und was hat die GERA in Bremerhaven bislang erlebt?
Bremerhaven und die Hochseefischerei
Zunächst ein kleiner Blick zurück, um zu verstehen, warum die GERA so gut zu Bremerhaven passt. In Bremerhaven liegt der Ursprung der deutschen Hochseefischerei. 1885 wurde auf der Wencke-Werft am Geeste-Ufer die SAGITTA als erster deutscher Fischdampfer gebaut. Die Idee dazu hatte Friedrich Busse, der auf Reisen in die USA diesen Schiffstyp gesehen hatte. Mehr zu Friedrich Busse erfahrt Ihr hier.
Die neuen Schiffe, die nicht nur auf Segelkraft, sondern auch auf eine Dampfmaschine setzten, waren schnell erfolgreich. Und so entwickelte sich Geestemünde (heute Stadtteil von Bremerhaven) über die nächsten Jahrzehnte zum größten Fischereihafen des europäischen Kontinents. Ab 1896 stand dafür der Fischereihafen I, ab 1928 auch noch der Fischereihafen II im Süden der Stadt zur Verfügung. Hochseefischerei und Fischwirtschaft wurden zu einem der bedeutendsten Wirtschaftszweige Geestemündes und Bremerhavens.
Mit Muskelkraft an Bord – Seitentrawler als Fischereifahrzeuge
Über sieben Jahrzehnte waren Seitentrawler die wichtigsten Schiffe in der Hochseefischerei. Bei diesem Schiffstyp wird das Netz über die Backbordseite ausgesetzt und wieder eingeholt. Die Arbeit wird zwar von Winden unterstützt, ist aber zum größten Teil Handarbeit, wenn das prall gefüllte Netz an Bord gehievt werden muss. Das bedeutete für die Mannschaft Schwerstarbeit – und zwar fast rund um die Uhr, wenn das Schiff einen ertragreichen Fanggrund erreicht hatte. Von Kälte und Nässe am Polarkreis ganz zu schweigen.
Ab 1957 kamen Hecktrawler zum Einsatz. Durch eine elektrische Winde und die Heckaufschleppe als schräger Ebene wurde die Arbeit für die Mannschaft hier viel einfacher. Frostanlagen unter Deck ermöglichten das sofortige Tiefgefrieren des Fangs, so dass die Schiffe längere Reisen unternehmen konnten. Seitentrawler hatten daher bald ausgedient. 1961 wurde der letzte Seitentrawler in Bremerhaven gebaut, 1980 der letzte Seitentrawler verschrottet.
(K)ein Museumsschiff für Bremerhaven
Als Ende der 1980er Jahre das städtische Morgenstern-Museum einen Neubau erhalten sollte, entstand auch die Idee, mit einem Museumsschiff an die Ära der Hochseefischerei zu erinnern. Doch woher sollte dieses Schiff kommen? Durch einen Glücksfall entdeckte Reinhard Meiners, Direktor der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft (FBG) Anfang 1990 in Rostock einen Seitentrawler: die GERA.
Die GERA wurde bei der Peene-Werft in Wolgast gebaut und 1961 in Dienst gestellt. Sie ist 65,55 Meter lang und mit 944 BRT vermessen. In ihrer Bauart ähnelt sie vergleichbaren westdeutschen Trawlern.
Während ihrer aktiven Zeit als Frischfischfänger fuhr die GERA mit 34 Mann Besatzung. Ab Ende der 1970er Jahre war sie allerdings nur noch als Versorgungs- und Übernahmeschiff der DDR-Fangflotte im Einsatz.
Von Ost nach West – Die GERA kommt nach Bremerhaven
Im Zuge der Verkleinerung der Fischereiflotte der DDR sollte die GERA 1990 eigentlich verschrottet werden. Schnelles Handeln war gefragt. Museumsdirektor Dr. Alfred Kube und zwei Sachverständige reisten im Mai 1990 nach Rostock und waren vom Zustand des Schiffes sehr angetan. Ein Großteil der Original-Ausrüstung war noch an Bord.
Am 30. Mai 1990 beschloss der Magistrat der Stadt Bremerhaven, das Schiff zu erwerben. Reinhard Meiners übernahm die Verhandlungen mit dem Fischkombinat, die zu einem erfolgreichen Ende führten: Die Stadt Bremerhaven erwarb die GERA für eine DM.
Bereits zwei Wochen später brach die GERA zu ihrer letzten Reise auf. Kapitän Gerhard Hein und die Mannschaft nahmen eine Delegation aus Bremerhaven an Bord und fuhren durch den Nord-Ostsee-Kanal Richtung Westen. Während der Überfahrt von Rostock nach Bremerhaven wurde der Übernahmevertrag geschlossen. Die Stadt Bremerhaven kaufte die GERA“ für den symbolischen Betrag von einer D-Mark.
Am 15. Juni 1990 wurde die „GERA“ mit ihrer Besatzung mit allen maritimen Ehren im Vorhafen der Doppelschleuse begrüßt. Für die Mannschaft war dies nicht einfach, verloren die meisten von ihnen doch ihren Arbeitsplatz. Dass die GERA erhalten bleiben sollten, war ein kleiner Trost.
Die GERA wurde als städtisches Museumsschiff unter die Obhut des Morgenstern-Museums gestellt. Ein Nutzungsvertrag zwischen dem Förderkreis Morgenstern-Museum e. V. und der Stadt Bremerhaven regelte, dass der Verein den Kassen- und Aufsichtsdienst stellt, während die Stadt die Hälfte der Betriebskosten übernimmt. Die andere Hälfte übernimmt die FBG.
Doch bis sie tatsächlich Gäste an Bord in Empfang nehmen konnte, sollte noch etwas Zeit ins Land gehen.
Willkommen an Bord – Die GERA öffnet als Museumsschiff
Am 27. Juni 1993 – also vor 30 Jahren – öffnete die GERA endlich ihre Gangway für Gäste mit einem großen Bordfest. 1500 Menschen kamen, um sich von Kapitän Gottfried Hilgerdenaar aus Bremerhaven und dem letzten GERA-Kapitän Gerhard Hein das Schiff erläutern zu lassen und Musik zu hören.
Das Besondere an der GERA ist, dass an Bord die gesamte Ausrüstung erhalten ist. Besucher*innen erhalten beim Gang über das Fangdeck, im Netz- und Fischladeraum und im Brückenhaus einen authentischen Einblick in den Alltag an Bord. Was Euch genau an Bord erwartet, könnt Ihr hier nachlesen.
Oder kommt einfach vorbei. Während der Saison (April bis Oktober) ist täglich von 11 bis 18 Uhr geöffnet.
Angekommen – Die GERA als Teil des Schaufensters Fischereihafen
An ihrem Liegeplatz Fischkai ist die GERA Teil des Schaufensters Fischereihafen. Das touristische Areal an einem Original-Schauplatz entstand zu Beginn der 1990er Jahre. Ein vielfältiges Angebot an Gastronomie, Geschäften und Kultur lockt seitdem viele Menschen aus Nah und Fern an. Die GERA erhielt hier ihren Liegeplatz, um an den Fischfang zu erinnern, der über viele Jahrzehnte das Leben im Fischereihafen prägte.
Mehr zur Geschichte des Schaufensters Fischereihafen erfahrt Ihr hier.
Vielfältige Aktivitäten an Bord
Die GERA möchte die Erinnerung an die Arbeitswelt Hochseefischerei wachhalten. Von Anfang an waren im „Freundeskreis FMS GERA“ Kapitäne, Maschinisten und Bestmänner ehrenamtlich aktiv.
Die GERA beteiligte sich in den letzten Jahrzehnten an der Fischparty, dem Tag des Offenen Denkmals, der SAIL, den Islandtagen und diversen anderen größeren Veranstaltungen. Ehemalige Hochseefischer zeigten, wie man ein Netz flickt, welche Knoten man können muss, öffneten die Brücke und setzten die Maschine in Gang. Ihre anschaulichen Berichte – gespickt mit etwas Seemannsgarn – sorgten für Begeisterung bei Seeleuten und Landratten.
Inzwischen gibt es kaum noch Zeitzeugen aus der Ära der Seitentrawler. Von den vielen Aktiven sind einige bereits verstorben oder nicht mehr in der Lage, an Bord zu kommen.
Um ihr Wissen festzuhalten, wurde 2015 ein Multimedia Guide entwickelt. Mit dem Smartphone können Besucher*innen nun das Schiff erkunden und erfahren von Kapitän Hein und Bestmann Harry alles Wichtige über das Schiff. Eine Film- und mehrere Medienstationen erwecken die alten Zeiten zum Leben.
Bei Aktionstagen ist nun vor allem die Museumsmannschaft gefragt, unterstützt von Ehrenamtlichen aus dem Förderkreis Historisches Museum Bremerhaven und verschiedenen Akteuren und Unterstützern im Fischereihafen.
Am Tag der Deutschen Einheit fand bereits mehrfach eine Benefiz-Aktion zugunsten der GERA statt: Gäste konnten frisch zubereiteten Bratfisch kaufen, dessen Erlös der GERA zugute kam. An Familientagen locken besondere Angebote für Kinder, wie etwa eine Schatzsuche, Basteln oder eine Rallye. Auch Krabbenpulwettbewerbe fanden bereits statt. Fischfans konnten bei der Fischparty auch schon Fachleuten beim Fischfiletieren über die Schulter schauen.
Verjüngungskur für eine alte Lady – Instandsetzung und Unterhalt
Die GERA ist mittlerweile 62 Jahre alt und hat inzwischen mehr Zeit als Museumsschiff verbracht als im aktiven Betrieb für das Fischkombinat Rostock.
Zwar war die GERA in gutem Zustand, als sie nach Bremerhaven kam. Doch bevor sie als Museumsschiff eröffnet wurde, stand im März 1993 ein erster Werftaufenthalt bei der Schichau-Seebeckwerft an. Hier erhielt sie eine neue Grundkonservierung der Außenhaut. Anschließend wurde auf dem Achterdeck eine neue Holzplankung verlegt.
Ein kleines Handwerker-Team sorgt seit vielen Jahren täglich für den Erhalt der GERA und übernimmt verschiedene Arbeiten zur Konservierung unter Leitung der Museums-Restauratorinnen. Etwa alle fünf Jahre steht ein Werftaufenthalt an, um größere Arbeiten durchzuführen.
Bordfest zum 30-jährigen Jubiläum
Nun steht der runde Geburtstag vor der Tür. Und der will gefeiert werden! Am Sonntag, den 25. Juni 2023 laden wir bei freiem Eintritt zu einem besonderen Programm ein. Kommt gerne vorbei und lasst Euch faszinieren vom letzten deutschen Seitentrawler.
Fotos: Historisches Museum Bremerhaven
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