Er gehört zu den größten Stars der kleinsten Bühne: Avemoves TikTok-Videos schauen Millionen auf ihren Handys. Der Bremerhavener ist weltweit auf der Suche nach passenden Spots. Jüngst schaute er sich im Deutschen Schifffahrtsmuseum um: Achtung, Kamera läuft!
Radikale Präsenz
Die Mehrheit der Jugendlichen Bremerhavener:innen schauen regelmäßig Avemoves Videos auf dem Kanal TikTok. Deshalb bin ich freudig nervös, als sich zwei Schulklassen langsam in Richtung Kogge schieben. Sie ahnen nicht, dass ich mit dem bekannten TikTok-Star und seinen nicht minder bekannten Freunden Feriz Sula und Joris verabredet bin. Genau neben dem Wrack aus dem 14. Jahrhundert. Was ist, wenn die Schüler:innen ihn erkennen? Bricht dann eine Avemovesmania aus? So wie die Pilzköpfe bei Schritt auf die Straße eine Beatlemania auslösten? Wer weiß schon, was passiert, wenn der stadtbekannte Tänzer mit einer weltweiten Reichweite plötzlich von der Smartphone-Bühne steigt und in radikaler Präsenz erscheint?
Star ohne Allüren
Meine Sorge ist unbegründet: Avemoves erscheint gehüllt in eine hellblauweiße Kunstfelljacke. Das schwarze Basecap tief ins Gesicht gezogen, lässige Sporthose und Turnschuhe. Er trägt das typische Outfit eines Teenagers und verschmilzt mit den Menschen, die sich durch die Kogge-Halle bewegen. Ungehindert läuft er an der Schulklasse vorbei, die weiter keine Notiz von ihm nimmt. Mit Sicherheit haben die Kids ihn schon mal gesehen. Auf ihren Mobiltelefonen. Ganz Bremerhaven kennt den Tänzer, weltweit ist er kein Unbekannter mehr. Auf Instagram abonnierten eine Million Fans seinen Account, auf TikTok 13 Millionen. Doch ein wichtiges Detail seiner Identität fehlt heute: Die weiße Totenkopfmaske, die sein Gesicht üblicherweise komplett bedeckt. Stattdessen bekennt er mit der handelsüblichen Mund-Nasen-Bedeckung verhältnismäßig viel Gesicht und bleibt genau deshalb inkognito. Unter der medizinischen Maske erahne ich ein Lächeln. Der 22-Jährige legt keinerlei Star-Allüren an den Tag. Offen und geduldig beantwortet er jede meiner Fragen. Er freut sich sichtlich, nach passenden Drehorten im Schifffahrtsmuseum suchen zu dürfen und schaut sich neugierig um.
Schlager- und HipHop-Stars
Avemoves und seine Tanzmitstreiter Feriz Sula und Jorismoves sind auf Spotsuche. Anlässlich seines 22. Geburtstags möchte Avemoves seinen Fans ein Geschenk machen: Er bastelt an einem Best-of-Video und tanzt dafür an verschiedenen Locations. Von der Architektur des Schifffahrtsmuseums sind die Tänzer fasziniert. Immer wieder nutzten sie die Lichtinstallation FRAME am Erweiterungsbau und den Seemannsarm für Videoaufnahmen. Millionen Menschen wippen zuhause mit und verteilen begeistert Herzen und Daumen für die zehnsekündigen Tanzeinlagen. Nun schreitet das Trio zum ersten Mal durch das Innere des Museums. Ein Instagram-Bild auf unserem Museumsaccount machte Feriz Sula neugierig. Es zeigt die Schlagerschwestern Anita und Alexandra Hofmann vor einer rot-weiß gestreiften Wand – ein Relikt der KOGGE trifft PLAYMOBIL-Ausstellung aus 2020. Das Duo legte einen Dreh-Stopp für die Sendung „Immer wieder sonntags“ bei uns ein. Ob sie auch mal dort aufnehmen könnten, fragte mich Sula. Klar, gab ich zurück und schon stand die Verabredung für den nächsten Tag.
Aufnahmen mit Perfektion
Wir steuern die rot-weiß gestreifte Wand an, doch Avemoves ist nicht ganz überzeugt. Die Kogge, an deren Bug blaue Lichtwellen wabern, weckt sein Interesse schon eher. „Könnte ich auch in der Kogge tanzen?“. Die Frage kommt ganz unvermittelt und selbstverständlich. Die Holzstruktur bietet einen spannenden Hintergrund: HipHop prallt auf Historie. Ich muss schlucken. So sehr wir uns freuen und gerne junge Künstler:innen unterstützen: Näher als jeder andere Gast darf sich auch Avemoves dem Wrack aus dem Jahr 1380 nicht nähern. Er testet einen anderen Platz direkt vor der Kogge und zückt das Handy. Licht spielt neben dem Hintergrund die Hauptrolle. Das Urteil des Fachmanns: „Zu dunkel.“ Leider. Und so stromern wir weiter von der Kogge-Halle zum Erweiterungsbau. Die Drei begutachtet Fluchten, Perspektiven und immer wieder das Licht. „Für Fotos ist das Gebäude sehr schön, aber für Videos brauchen wir mehr Tageslicht“, erläutert der TikTok-Profi Avemoves. Die Mischung aus Lebendigkeit und puristischer Klarheit mit dem passenden Licht lässt sich nicht leicht finden und ich ahne, wie viel Augenmerk und akribische Vorbereitung hinter den zehnsekündigen Videos stecken.
Kulisse Bremerhaven
In Bremerhaven gebe es nicht so viele interessante Spots, deshalb ziehe es den Sozial-Media-Star mittlerweile auch in die Welt, um neue Locations zu finden. Doch vom Areal des Schifffahrtsmuseums fühlt er sich dennoch immer wieder angezogen. Einige Videoclips in seinen TikTok und Instragramprofilen bezeugen es. Avemoves entdeckte letztes Jahr als einer der Ersten den FRAME für sich als Kulisse. Eine Sequenz in der Lichtinstallation schaffte es gar bis in die Tagesschau.
Rückblende ins Jetzt: Kurz sind die Tänzer, die sich alle in der Bremerhavener Tanzschule Beer kennenlernten, im Bann der Schiffsbrücke. Der 13-Jährige Joris bringt den Hebel des Maschinentelegrafen in die richtige Position: „Volle Kraft voraus“. Genau so geht es weiter in Richtung Galerie und Rettungskreuzer HANS LÜKEN, wo HipHop-Trainer Feriz Sula und Joris Sequenzen aufnehmen. Sie klettern auf das Deck des Schiffes und performen synchron eine ihrer bekannten Choreografien. Das Handy steht auf der Erde in immer demselben Winkel. Zwei, drei Durchgänge und die Aufnahme ist im Kasten. Es sind eben Profis, die genau wissen, worauf es ankommt.
Tunnelblick auf den Deich
Das sogenannte Mauseloch mit Blick auf den Deich zieht Avemoves in den Bann. Schnell tauscht er Basecap und Jacke gegen Mütze und schwarzes Shirt. Zuletzt setzt er die bekannte Maske auf. Sobald die Beats aus der Box dröhnen, heißt es: Kamera ab! Avemoves lässt seinen Körper synchron zum Rhythmus zucken. Selbst wenn Bewegung, Musik und Ort stimmig zu sein scheinen, ist der Erfolg schwer vorhersehbar bis launisch. „Es ist schwer zu sagen, welches Video gut ankommt. Das im FRAME ging viral, weil das Licht gut auf die Bewegung abgestimmt war. Ansonsten achte ich auf Trends bei TikTok, die wir nachtanzen. Andere Choreografien denken wir uns aus“, erzählt Avemoves, bei dem Perfektion Priorität hat. Doch: Die Fans belohnen sogar kleine Missgeschicke. Ein Video mit einem Stolperer entwickelte sich ungeplant zu einer viralen Rakete. Also warum nicht mehr lustige Stürze einbinden?
Auf bald mal wieder
Das Wetter vereitelt weitere Aufnahmen auf dem Dach. Avemoves setzt die Maske ab. Er schaut noch einmal über das Panoramaensemble von Havenwelten, Museumshafen und Nordsee und verspricht: „Wir kommen wieder.“ Der FRAME, die neue Ausstellungskulisse im Erweiterungsbau für die Ausstellung „CHANGE NOW – Schiffe verändern die Welt“ und einige weitere Spots im Haus haben Potenzial. Wir freuen uns auf ein Comeback.
Von Annica Müllenberg