Seit 25. März 2021 sind die Museen in Bremerhaven wieder geschlossen. Ihr wollt trotzdem eine Ausstellung besuchen? Kein Problem: Seit 18. April 2021 ist die Open-Air-Ausstellung „Das Andere sehen? Der kolonialistische Blick“ in der Rotunde des Museumshafens zu sehen. Hier bekommt ihr einen kleinen Einblick in den Entstehungsprozess der Ausstellung aus meiner Perspektive als wissenschaftliche Hilfskraft.
Im Vorfeld daher etwas zu mir: Ich heiße Neele, bin 23 Jahre alt und studiere an der Universität Bremen die Fächer Geschichte und Germanistik in der Lehramtsoption für Gymnasium und Oberstufe. Obwohl mir als gebürtiger Bremerhavenerin das Deutsche Schifffahrtsmuseum ein Begriff war, habe ich erst durch zwei Seminare an der Uni eine Beziehung zum DSM aufgebaut. Als mir dann im Anschluss angeboten wurde, als Wissenschaftliche Hilfskraft – kurz HiWi – am DSM zu arbeiten, antwortete ich sofort: Ja, sehr gerne! Seit Mitte 2019 unterstütze ich in dieser Rolle Gisela Parak, die das Ausstellungsprojekt „Das Andere sehen?“ leitet.
Bei der aktuellen Ausstellung habe ich in drei Bereichen mitgeholfen: Bei der Digitalisierung von Fotografien und Alben, der Transkription von Schriftdokumenten und dem Schreiben sowie Einsprechen von Bildbesprechungen. Und in diese Bereiche nehme ich euch jetzt mit.
Digitalisieren: Das andere Scannen
Damit die ausgewählten Fotografien nutzbar für eine Ausstellung im Freien und Internet sind, mussten sie digitalisiert werden. Dafür arbeitete ich an einem Archivscanner in der Bibliothek des Museums. Anders als bei gewöhnlichen Scannern befindet sich eine hochauflösende Kamera oberhalb der Arbeitsoberfläche und dem aufgelegten Material. Das bietet mehrere Vorteile: Die Alben werden geschont, denn sie müssen nicht kopfüber auf einer Platte flachgedrückt werden. Bereits vor dem Scannen einer Seite wird auf einem zweiten Bildschirm das Bild in Echtzeit übertragen. Die Bedienung des Archivscanners ist allerdings etwas kompliziert. In einer Schulung lernte ich aber recht schnell, wie das Gerät fachgerecht zu bedienen ist. Inzwischen habe ich mich an den Umgang gewöhnt und weiß auch mit gelegentlichen Fehlermeldungen souverän umzugehen.
Transkribieren: Ein Lieblingsthema ist das Wetter
Im hauseigenen Archiv finden sich neben Reise- und Erinnerungsalben mit Bildern aus kolonialen Gebieten auch diverse Schriftdokumente aus dieser Zeit. Reisende und Seeleute hielten in Reiseberichten, Briefen und sogar Tagebüchern ihre Eindrücke fest. Einen besonderen Fall bildet der Kapitän Daniel Steen, der einen umfangreichen Konvolut an Schriftstücken und Fotografien hinterließ. Im Jahr 2001 wurde dieser Nachlass vom DSM erworben.
Seine Tagebücher und Reiseberichte zu lesen, fühlt sich auf eine Art verboten an. Gleichzeitig sind die ganz persönlich-privaten Beschreibungen aber spannend, denn so sind kleine Einblicke in die Gefühle und Gedanken des Kapitäns möglich: In den Jahren 1897 bis 1902 schrieb er viel über Mitreisende und gemeinsame Aktivitäten, Erzählungen von den bereisten Ländern bleiben hingegen größtenteils aus. Das Staunen über die Akropolis in Athen als „großartige[s] Werk“ ist eine der seltenen Ausnahmen, der Blick auf das Andere. Eher drehen sich die Einträge um die Suche nach einer Braut. Ein weiteres Lieblingsthema ist das tägliche Wetter.
Die Inhalte sind dabei nicht immer leicht zugänglich, daher transkribiere – „übertrage“ – ich die Schriften: Verfasst sind die Schriftdokumente in der deutschen Kurrentschrift, der Sütterlinschrift oder einer Mischung aus beiden. Hier lerne ich das Andere kennen. Einige Seiten sind so dünn, dass die Tinte verschmiert ist oder auf der nächsten Seite durchdrückt. Das erschwert das Lesen zusätzlich. Einige Schreiber*innen verfassten ihre Einträge augenscheinlich in Ruhe, mit penibel-ordentlicher Sonntagsschrift und zogen mit einem Bleistift Hilfslinien, um auf den Blankoseiten gerade schreiben zu können. Andere waren anscheinend einem rauen Seegang ausgesetzt. Zudem ist jede Handschrift einzigartig.
Manchmal denke ich daran, dass ich als Lehrerin mit vielen verschiedenen – teils „originellen“ – Handschriften von Schüler*innen konfrontiert sein werde. Die Erfahrung, die ich beim Transkribieren sammeln konnte, wird sich dann sicher nochmals als wertvoll erweisen.
Bildbesprechungen: Nicht ganz wissenschaftlich, aber trotzdem anspruchsvoll
Im Wintersemester 2020/21 fand das Seminar „Fotografie als historische Quelle: Der kolonialistische Blick“ statt. Den Corona-Bedingungen entsprechend trafen wir uns dafür nicht vor Ort sondern auf andere Weise: online über Zoom. In unserer ebenso gemütlichen wie produktiven Gruppe aus acht Studierenden und Gisela Parak als Dozentin stellten wir uns einer Reihe von Fragen: Wie können Texte gleichzeitig gut recherchiert, ‚wissenschaftlich korrekt‘ und spannend gestaltet werden? Dürfen historische Bildunterschriften, die rassistische Zuschreibungen enthalten, ohne Änderung übernommen werden? Was muss berücksichtigt werden, damit sich sprachlich sensibel ausgedrückt wird? Und wie lässt sich all das im Rahmen dieser Ausstellung konkret umsetzen?
Und dann, nachdem wir die einzelnen Bildbeschreibungen verfasst und diskutiert hatten, begann das Aufnehmen der Audio-Dateien. Für gewöhnlich kommt es mir nicht so vor, als würde ich mich beim Vorlesen bei jedem dritten Wort versprechen, aber auch dieser Schritt brauchte etwas Übung, bis er gelang. Tipps gab es im Seminar: Vor der Aufnahme versuchte ich es mit Sprechübungen und einem Kamillentee, damit die Stimme besser klingt. Während der Aufnahme zu stehen, hat Wunder gewirkt. Und so fügte sich nach und nach jedes Puzzleteil, jedes Foto und jede handschriftliche Notiz für die geplante Ausstellung zusammen.
Das ist mein persönliches Erleben der Vorbereitung des Ausstellungsprojektes. Jetzt könnt ihr euch selbst ein Bild machen.
Schreibe einen Kommentar