Ein Acker, auf dem Schiffe fahren. Blechkarossen an den Orten, wo einst Kühe und Gerste standen. Beton statt Natur. Diesen Wandel eines jahrhundertealten landwirtschaftlich genutzten Naturraums zu einem Hafen der Superlative präsentiert das Historische Museum Bremerhaven in seiner neuen Sommerausstellung „WANDELLAND – Vom Weideland zum Welthafen der Moderne“.

Eine Ausstellung voller Gegensätze
Doch wie kam es dazu, dass eine traditionsreiche Kultur innerhalb weniger Jahre überformt werden konnte? Unser Rundgang beginnt im Saal. Dank einer umfangreichen Stiftung können wir das Leben der reichen Marschenbauern anhand von einer einzigen Familie über Jahrhunderte hinweg darstellen. Dabei handelt es sich um die Familie Brinkama. Der Name ist heute noch in Bremerhaven durch die gleichnamigen alten Weserforts und den Leuchtturm weithin bekannt. Fotos, Landkarten und Original-Objekte erzählen die wechselvolle Geschichte des Brinkamahofes dessen Anfänge bis in die Neuzeit zurück reichen von den ersten landwirtschaftlichen Gebäuden des 17. Jahrhunderts bis zur Zwangsenteignung der letzten Hofbewirtschafter im Jahr 1905. Die wohlhabende und einflussreiche Marschengesellschaft bildet dabei einen weiteren Schwerpunkt.
Wie aus dem idyllischen Landstrich schließlich ein Hafen der Superlative wurde, seht Ihr im zweiten Teil der Ausstellung im Obergeschoss auf der Galerie. Doch dazu später mehr.

Stürmische Zeiten
Alles begann nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) und der Errichtung des ersten Hofes. Der Oberkämmerer Rosenacker erhielt als Dank für seinen persönlichen Einsatz in Krisenzeiten das Flurstück von der Gemeinde Imsum geschenkt. Das Stück Land liegt drei Kilometer südlich von Weddewarden und beheimatete somit den südlichsten Marschenhof im Land Wursten.
Die ersten rund 150 Jahre des Bestehens waren geprägt von wechselnden politischen Verhältnissen, Naturkatastrophen und Besitzerwechseln. So ist der Hof unter verschiedenen Namen wie Cemmerershof, Schenkenhof, Eibsenhof und Olbershof verzeichnet. Im Jahr 1785 erwarb der erfolgreiche Müller Tjark Claasen Brinkama aus Vegesack den Hof, der seinerzeit der zweitgrößte Weddewardens war.
Eine Familiensaga
Und so wurde aus dem Olbershof der Brinkamahof. Mehr als 120 Jahre lang lebten vier Generationen von Nachkommen auf dem Brinkamahof. Dabei gelang es der Familie innerhalb von nur sechs Jahren in eine der bedeutendsten Familien des Landes Wursten einzuheiraten. Somit war der Aufstieg der Brinkamas in Weddewarden besiegelt. Im Laufe der Zeit stellte die Familie neben Ortsvorstehern auch Deichvorsteher und sicherte sich somit einen erheblichen Einfluss innerhalb der Dorfgemeinschaft. Neben dem Hof außerhalb der Ortschaft übernahmen diverse Nachfahren weitere Höfe im Ortskern selbst. Die Familie expandierte.
Doch auch den Brinkamas blieben Schicksalsschläge nicht erspart. Einige ihrer Kinder wuchsen als Waisen bei Verwandten und in Pflegefamilien auf. Erhaltene Verträge geben Auskunft über die dennoch finanzielle sorgenfreie Lage der Kinder.
Eine besondere Herausforderung während meiner familiengeschichtlichen Recherchen waren die immer wieder gleichen Namen, die sich im Laufe der Generationen wiederholen. Ein detaillierter riesiger Stammbaum mit zahlreichen Post-It-Ergänzungen schmückt noch immer mein Büro.
Bauer ist nicht gleich Bauer
Neben der spannenden Familiengeschichte taucht ihr im Saal in die Welt der Marschengesellschaft ein. Entgegen des weitverbreiteten Bildes des „dummen Bauern“ waren die Hausmänner, wie sie sich nannten, stolze, innovative und vor allem wohlhabende Landwirte. Die luxuriöse Lebensweise veranschaulichen wir durch aufwendig verzierte Trinkpokale und agrarische Fachliteratur.

Die Fruchtbarkeit der nördlichsten Marschengegend der Wesermarsch sicherte den Bewohner*innen im vorindustriellen Zeitalter Erträge, die zwei bis drei Mal so hoch waren, wie die auf der benachbarten Geest. Allerdings ging die hohe Fruchtbarkeit einher mit zahlreichen Bedrohungen, vor allem Naturkatastrophen. Sturmfluten zerstörten die Deiche und Häuser, vernichteten Ernten und Nutzvieh und kosteten viele Menschenleben. Daneben verbreiteten sich Krankheiten. Die Hornseuche löschte ganze Viehbestände aus. Das gefürchtete Marschenfieber (Malaria) forderte zahlreiche Menschenleben.
Das Ende einer Ära und ein Neubeginn
Doch die jahrhundertealte Kultur der Hausmänner sollte ein jähes Ende finden. Bremen wollte am Anfang des 19. Jahrhunderts seine Vormachtstellung im internationalen Seehandel behaupten und war deshalb gezwungen, sein Hafengebiet zu erweitern. Der Norddeutsche Lloyd forderte zur schnelleren Abfertigung seiner Passagierschiffe sowie für die regelmäßige Reparatur und Wartung seiner Schiffe neben einem weiteren Trockendock eine zusätzliche Schleuse sowie den Ausbau der Kaiserhäfen. Dazu war jedoch weitaus mehr Fläche nötig, als dem Staat Bremen gehörte. Nach ausgiebigen Verhandlungen mit Preußen und der Hinzuziehung von Kaiser Wilhelm II. schlossen Bremen und Preußen zwei Verträge über den Austausch von rund 600 Hektar Land ab, wodurch Bremerhaven auf mehr als seine doppelte Größe anwuchs. Diese Verträge von 1905 schufen die Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung und den Fortbestand des Landes Bremen bis in die Gegenwart.

Zu diesen Flächen gehörten auch die Ländereien und Gebäude des Brinkamahofes. Der letzte Hofbewirtschafter, Johann Friedrich Brinkama, wurde zwangsenteignet und musste seinen Hof verlassen. Bereits zuvor war die Stadt an die Ländereien herangerückt. Die Forts Brinkamahof I und II waren Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls auf enteigneten Außendeichflächen der Brinkamas errichtet worden.
Alles, was vom Idyll des bäuerlichen Guts übriggeblieben ist, ist ein Ölgemälde des Malers Alfred Harms. Es zeigt die ruhige Lage des Hofes inmitten von grünen Weiden. Wie massiv sich diese Landschaft verändert, seht ihr, wenn ihr den zweiten Teil der Ausstellung auf der Galerie betretet.

Ein Hafen der Superlative
Im zweiten Teil erwarten euch beeindruckende Fotografien und überdimensionale Pläne einer Baustelle der Superlative.
Statt Getreide prägten nun gigantische Rammböcke und Kräne die Landschaft. Der Ausbau der Kaiserhäfen und der Stromkaje erfolgte bis zum Jahr 1915. Der Erste Weltkrieg setzte den weiteren Ausbauplänen allerdings ein jähes Ende. Erst im Jahr 1923 konnten die Bauarbeiten fortgesetzt werden. Die Verzögerungen stellten sich im Nachhinein jedoch als Glücksfall heraus. Die Schiffsgrößen hatten sich in den vergangenen zehn Jahren so rasant entwickelt, dass die ursprünglichen Pläne bereits überholt waren.
Der Columbusbahnhof, seinerzeit eine der modernsten Passagierabfertigungsanlagen der Welt, wurde rechtzeitig zum 100-jährigen Jubiläum der Stadt Bremerhaven fertiggestellt, konnte jedoch aufgrund einer absackenden Kaimauer erst 1928 in Betrieb genommen werden. Für den Hafenausbau wurden neueste Techniken wie stählerne Spundwände und Betonpfähle verwendet. Maßgeblich für den Einsatz dieser neuen modernen Materialien war der Hafenbaumeister Dr. Arnold Agatz, der während der zweiten Bauphase zum führenden Hafenbauingenieur ernannt worden war.

Die Größten ihrer Zeit
Wusstet ihr schon, dass während des Hafenausbaus neben einer der modernsten Passagierabfertigungsanlagen noch weitere Superlativen aufgestellt worden? Die Nordschleuse mit ihrer Kammerlänge von 372 m und einer Breite von 45 m war eine der größten Schleusenanlagen der Welt. Mit diesen ungeheuren Ausmaßen genügt sie auch heute noch den Ansprüchen der modernen Autotransportschiffe. Während der Bauarbeiten wurde vier Mal mehr Beton benötigt als zum Bau des Empire State Buildings in New York. Ein weiterer Rekord wurde mit der Errichtung der Drehbrücke aufgestellt. Sie gehörte bis in die 1950er Jahre zu den schwersten Drehbrücken der Welt.
Moderne verdrängt Tradition
Ein landwirtschaftlich genutzter Kulturraum inmitten einer traditionsreichen Gemeinde wurde innerhalb von nur wenigen Jahren überformt. Wo einst Kühe grasten, fahren heute Schiffe. Die Kultur der Marschenbauern wurde in den folgenden Jahren immer weiter verdrängt. Sie musste weichen für die moderne globalisierte Welt.
Unsere Ausstellung könnt ihr euch noch bis zum 22. Oktober 2023 ansehen. Das Historisches Museum ist dienstags bis sonntags, 10 bis 17 Uhr für euch geöffnet. Für die Sommerausstellung haben wir ein spannendes Begleitprogramm erstellt. Da ist für jeden was dabei. Schaut gerne für nähere Informationen auf unserer Website vorbei. Wir freuen uns auf Euren Besuch im Historischen Museum Bremerhaven!
Text: Tamara Büschgens
Fotos: Archiv Historisches Museum Bremerhaven