Schrille Farben, laute Musik, vergnügtes Johlen und der Geruch gebrannter Mandeln – der Freimarkt entführt in eine eigene, bunte Welt jenseits des Alltags. Sich in den Rummel stürzen, den Rausch einer Achterbahnfahrt erleben und sich durch Menschenmassen drängen? All das war im vergangenen Jahr nicht möglich. Pandemiebedingt wurde der Bremerhavener Freimarkt 2020 abgesagt. Doch gerade in Zeiten des Abstands sehnen wir uns nach einer Portion Unbeschwertheit. Und so war die Idee zur aktuellen Sonderausstellung im Historischen Museum geboren: Sie zeigt Impressionen aus 169 Jahren Freimarktgeschichte.
Der Freimarkt
Riesenrad, „Commander“ und „Breakdancer“ – das sind Fahrgeschäfte, die wir vom heutigen Freimarkt kennen. Doch wie sah der Freimarkt zu seiner Entstehungszeit aus? Wie vergnügten sich die Menschen, bevor es Zuckerwatte und Autoscooter gab? Woher kommt das Konzept des Jahrmarkts überhaupt? Volksfeste, wie der Bremerhavener Freimarkt eines ist, geben spannende Einblicke in Entwicklungen der Stadtgeschichte. Die Neuerungen der Marktstruktur und der Attraktionen zeigen uns dabei, welche sozialen und technologischen Errungenschaften die Veränderungen in der Stadt begleiteten und beeinflussten.
Der Ursprung des Rummels
Jahrmärkte kamen im Mittelalter auf. Eine Besonderheit des Jahrmarkts war von Anfang an seine eher weltliche Prägung. Denn viele Feste, die wir heute feiern, haben eigentlich einen religiösen Ursprung. Der Jahrmarkt hingegen sollte vornehmlich zwei Zwecke erfüllen: Handel und Unterhaltung. Schon früher nahmen Jahrmärkte eine besondere Funktion ein. Insbesondere für die arbeitende Schicht bot der Rummel die seltene Möglichkeit, an freizeitlichen Vergnügungen teilzunehmen. Der sogenannte Marktfrieden, der während der Dauer des Marktes galt, ermöglichte es fahrenden Handelnden und Spielleuten, sicher und steuerfrei ihr Handwerk zu verrichten. Außerdem brachten die Reisenden Geschichten und Neuigkeiten aus der Welt mit in die Orte. So konnte die lokale Bevölkerung erfahren, was außerhalb der eigenen Stadtgrenzen geschah. Jahrmärkte waren also auch Orte des Austausches und des Ausbruchs aus dem Alltag.
Das frühe Freimarkttreiben
Eine neu gegründete Stadt benötigte im 19. Jahrhundert vor allem eines, um einen Jahrmarkt abhalten zu können: Eine Markterlaubnis, die durch den jeweiligen Souverän eines Gebietes verliehen wurde. Dies war im Falle Bremerhavens der Bremer Senat. Ein Areal für den zukünftigen Markt hatte Bremen bereits 1842 an Bremerhaven übergeben, die Markterlaubnis folgte erst zehn Jahre später. Vom 24. bis zum 27. August 1852 fand daraufhin der erste Bremerhavener Freimarkt auf dem heutigen Theodor-Heuss-Platz statt. Das Marktgeschehen sah damals noch ganz anders aus als heute. Rasend schnelle, bunt-blinkende Fahrgeschäfte gab es noch nicht. Karussells wurden durch Körperkraft oder Dampfmaschinen betrieben. Musik kam nicht aus Boxen und Lautsprechern, sondern von umherziehenden Musikanten. Jahrmarktsattraktionen waren oft Wildtiere wie Affen oder Bären. Aber auch Menschen wurden ausgestellt: In sogenannten „Völkerschauen“ wurden Menschen aus meist außereuropäischen Ländern inszeniert und dem Publikum vorgeführt. Die Zurschaustellung von Menschen mit außergewöhnlichen körperlichen Merkmalen fand im Kontext von sogenannten „Abnormitätenschauen“ oder „Freak-Shows“ statt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es beides in Bremerhaven. Ein dunkles Kapitel der Freimarktgeschichte.
Zwei Weltkriege und ein Neuanfang
Der Freimarkt wuchs schnell, breitete sich von seinem ursprünglichen Festplatz bald in die umliegenden Straßen aus und zog mit der Zeit auch viele Menschen aus dem Umland an. Eine Zäsur im Marktgeschehen stellten der Erste und der Zweite Weltkrieg dar; während dieser Zeit fand kein Freimarkt statt. Dann ging es jedoch schnell: Nur ein Jahr nach Kriegsende, 1946, wurde wieder ein Freimarkt abgehalten. Aufgrund der weitgehenden Zerstörung Bremerhaven-Wesermündes musste der Markt seinen Veranstaltungsort vom heutigen Bremerhaven-Mitte nach Lehe verlegen. Und in Lehe sollte er bleiben; 1956 wurde am heutigen Wilhelm-Kaisen-Platz ein eigenes, neues Areal für den Freimarkt ausgebaut. Hier findet der Freimarkt noch heute statt.
Amimarkt und Schützenfest
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Bremerhaven US-amerikanisch besetztes Gebiet. Da zeitweise bis zu 6000 amerikanische Soldaten, teils mit ihren Familien, in Bremerhaven lebten, kam es auch zu Konflikten. Um die Beziehungen zwischen den Amerikaner*innen und der Bremerhavener Bevölkerung zu stärken, wurde in den 1950er Jahren ein Deutsch-Amerikanischer Ausschuss gebildet. Die Aufgabe: Die Förderung der interkulturellen Freundschaft. Um dieses Ziel zu erreichen, fand ab 1961 parallel zum Freimarkt das Deutsch-Amerikanische Volksfest (oder kurz: Amimarkt) statt. Um keine Konkurrenzsituation zwischen den Feierlichkeiten zu schaffen, eröffneten ab 1963 drei Feste gemeinsam: Der Freimarkt, der Amimarkt und das Stadtkönigschießen der Schützenvereine. Eine friedliche und erfolgreiche Lösung für alle Beteiligten. Insbesondere die amerikanischen Speisen und Attraktionen, die viele Bremerhavener*innen nun zum ersten Mal in ihrem Leben kennenlernen konnten, sorgten für Begeisterung. Ganz an der Spitze: Hamburger zum selbst belegen und das berühmt-berüchtigte „Ami-Eis“. Mit dem Abzug der amerikanischen Truppen fand der Amimarkt 1992 zum letzten Mal statt. In Erinnerung ist er den Bremerhavener*innen aber geblieben: 2015 gab es eine einmalige Renaissance.
Freimarkt und Museums-Rummel
Der Bremerhavener Freimarkt begann als kleine Ansammlung von Buden und Marktständen. Schnell kamen hölzerne Fahrgeschäfte hinzu, bald hatte sich ein stolzer Rummel für die ganze Region entwickelt. Schwertschlucker, Feuerspucker, Dromedare und angeblich sogar Meerjungfrauen gab es im frühen 20. Jahrhundert auf dem wachsenden Jahrmarktstrubel zu bestaunen. Seitdem hat sich vieles verändert und das Bild, das der Freimarkt heute bietet, ist sicherlich in vielerlei Hinsicht ein anderes, als es damals war. Doch manche Dinge bleiben auch: Karussells, Riesenräder, Gerüche von Süßwaren, Musik, drängelnde Menschen, Kurioses und Berauschendes prägen auch heute noch die Freimarkt-Atmosphäre. Diese Entwicklung nachzuverfolgen, Fahrgeschäfte im Wandel der Zeit zu betrachten, klassische Frisuren und Mode der jeweiligen Dekade wiederentdecken, in eigenen Erinnerungen schwelgen – dazu lädt unsere Sonderausstellung ein. Fotografien aus den Jahren 1927 bis 2001 werfen Schlaglichter auf das Freimarktgeschehen im vornehmlich 20. Jahrhundert. Angereichert und ergänzt wird die Ausstellung durch Aquarelle und Zeitzeugenberichte des Bremerhavener Malers Otto Stahmer, der seine Erinnerungen an den Freimarkt um die Jahrhundertwende zu Papier brachte.
Auch bei uns im Museum wollen wir den Rummel aufleben lassen. Am 3. September 2021 bieten wir eine Einführung in die Ausstellung an und zur Langen Nacht der Kultur am 4. September 2021 wird es auf unserem Vorplatz eine Jahrmarktsinszenierung mit Karussell, Süßigkeiten und Unterhaltungsprogramm sowie einem Flohmarkt im Museum geben. Wir freuen uns auf Euch!
Autorin: Marie Scheffler
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