Mehr als 2500 Exponate präsentiert das Historische Museum Bremerhaven in der Dauerausstellung. Darunter sind besonders große, wie die Kältemaschine, außergewöhnlich kostbare, wie die Goldbrakteaten aus Sievern oder kuriose, wie die massive Bleistift-Schälmaschine „Jupiter“. Es gibt aber auch Objekte, die eher unscheinbar wirken, hinter denen sich jedoch etwas Spannendes verbirgt. Sozusagen Geschichte auf den zweiten Blick. Einige von diesen Exponaten möchte ich bei meinem Rundgang durch das Museum vorstellen.
Das mobile Büro
Gleich zu Beginn der Dauerausstellung wird die Gründung Bremerhavens als Hafen für Bremen erzählt. Da die Weser immer mehr versandete und große Schiffe Schwierigkeiten hatten, die Weser aufwärts nach Bremen zu fahren, kam der damalige Bremer Bürgermeister Johann Smidt (1773-1857) auf eine Idee: Er kaufte dem König von Hannover 1827 ein Stück Land ab und ließ einen Hafen nördlich von Bremen bauen – den heutigen Alten Hafen in der Mitte Bremerhavens.
In der Dauerausstellung stehen Smidts wuchtiger Schreibschrank und eine lebensgroßen Skulptur seiner Person. Daneben steht noch etwas, das man leicht übersehen kann: Smidts etwa neunzig Jahre alter Laptop. Aus Naturmaterialien (Mahagoni und Ahorn) gefertigt und völlig stromfrei einsetzbar!
Die Handhabung war etwas anders als heute, aber vom Prinzip her nutzte Smidt diesen Kasten auf Reisen ähnlich, wie wir heute einen Laptop. Aufgeklappt diente dieser ihm in der Kutsche oder in der Eisenbahn als mobiles Büro. Beim Öffnen des „Reisebureaus“ entsteht eine Schräge, die ein Schreibpult bildet. In den kleinen Fächern und einer Schublade konnte Smidt seine Schreibutensilien, wie Papier, Federkiel und Tinte aufbewahren. Also ist der Laptop doch keine Erfindung des 20. Jahrhunderts!
Inklusion im 19. Jahrhundert
Weiter geht es mit einem meiner Lieblingsexponate in der Dauerausstellung. Auf den ersten Blick ist es einfach nur ein Plan, doch wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass dieser nicht gezeichnet wurde, sondern aus verschiedenen Materialien besteht. Sehr ungewöhnlich!
Welche Geschichte verbirgt sich dahinter? Nachdem der 1830 eröffnete Bremer Hafen (also Bremerhaven) erfolgreich war, begann auch das Königreich Hannover mit dem Bau eines konkurrierenden Hafens auf der anderen Seite der Geeste, der den Namen „Geestemünde“ erhielt. 1858 starteten die umfangreichen Bauarbeiten. Die Leitung des Hafenbaus übernahm Wasserbaudirektor Adolf Buchholz.
Als König Georg V. ein Jahr später Geestemünde besuchte, erstellte Buchholz diesen ausgefallenen Plan für ihn. Grund dafür war, dass Georg V. seit seinem 13. Lebensjahr erblindet war. Durch die unterschiedlichen Materialien und erhabenen Teile konnte Georg sich ein gutes Bild von den Planungen machen. Neben der schachbrettartigen Bebauung ließen sich die Flüsse, Häfen und Kanäle, der Deich und der Verlauf der geplanten Eisenbahnlinie gut mit den Fingern nachvollziehen.
Der Stadtplan aus dem 19. Jahrhundert beweist eindrucksvoll, dass es auch mit einer Beeinträchtigung möglich war, König zu sein und es bereits pfiffige Ideen zur Umsetzung von Inklusion gab.
Ein Wagen mit Geschichte
Sehr unscheinbar ist das nächste Objekt, das in der Abteilung „Bremerhaven und Umgebung 1920-1960“ zu finden ist. Leicht läuft man daran vorbei – ist ja nur ein einfaches Holzgefährt. Mit diesem kleinen Wagen flüchtete eine Frau im Winter 1944 aus Ostpreußen Richtung Westen. Mit dabei waren ihre fünf Kinder im Alter von ein bis fünfzehn Jahren. Auf dem Wagen nahm die Familie einige wenige Dinge mit. Die kleinen Kinder, für die der Fußmarsch zu anstrengend war, konnten außerdem darauf sitzen. Der Weg führte die sechs Menschen zunächst nach Berlin, anschließend nach Holstein. Schließlich gelangte der Handwagen in den Besitz der Enkelin in Bremerhaven, die ihn später im Garten nutzte.
Vor einiger Zeit erzählte mir ein Besucher beim Blick auf dieses Exponat, dass seine Eltern mit einem ähnlichen Wagen geflüchtet waren. Das Gefährt begleitete sie mit ihrem letzten Hab und Gut auf ihrem langen Weg aus dem Osten bis nach Bremerhaven. Als sie hier eine Unterkunft besichtigten, wurde ihnen der vor der Tür abgestellte Wagen gestohlen. Alles, was sie noch besaßen, war weg. Solche Erlebnisse machen abstrakte Geschichte begreifbar und zeigen, dass wir im Museum mit den Exponaten immer auch die persönlichen Erfahrungen von Menschen erzählen.
Lebensfreude auf dem Land
Weiter geht es in der Abteilung „Schätze aus dem Elbe-Weser-Dreieck“, in der man unter anderem erfahren kann, wie Menschen vor ein paar hundert Jahren auf dem Land lebten. An der Wand hängt ein großer Torbogen, in dem sich mehrere kleine Fensterscheiben befinden. Diese Schreiben tragen den kuriosen Namen „(Fenster)bierscheiben“.
Glas war lange so kostbar, dass man es nur in Kirchen verwendete. Erst seit dem 16. Jahrhundert kamen Glasfenster in Norddeutschland auf dem Land auf. Da diese sehr teuer waren, schenkten Nachbarn und Freunde dem Bauherrn bemalte Fensterscheiben zur Fertigstellung des Hauses oder zur Hochzeit. Diese kleinen Scheiben wurden in ein großes Fenster, das aus mehreren Scheiben mit Bleieinfassungen bestand, eingesetzt. Die Farben waren aus Glas und einer färbenden Substanz. Die Farbe wurde auf dem Glas aufgeschmolzen und im Brennofen eingebrannt.
Die Fenster zeigen häufig Szenen aus dem ländlichen Leben. Auf dieser 15 cm hohen Scheibe ist ein Paar unter einem Baum abgebildet. Die Frau reicht dem Mann im schwarzen Rock ein Spitzglas als Willkommenstrank. Damit auch immer jeder wusste, wer die Scheibe geschenkt hatte, war der Name des Stifters – hier Claus Behnke – samt Jahreszahl verewigt.
Aber was haben Fenster mit Bier zu tun? Als Dankeschön für die Scheiben stiftete der Hausbesitzer einen Umtrunk, das sogenannte Fensterbier. Die Gäste brachten meist auch etwas zu essen mit. Diese Feierlichkeiten konnten bis zu einer Woche dauern. Diverse Verbote der Obrigkeiten zeigen, dass diese wohl häufig aus dem Ruder liefen. Aber dennoch wurde der Brauch ländlicher Lebensfreude lange beibehalten – allen Verboten zum Trotz.
Die Kuh in der Kirche
Einige Meter weiter führt der Weg durch die Dauerausstellung ins Mittelalter. Eine große Vitrine präsentiert Funde, die bei einer Ausgrabung in der Dionysiuskirche in Bremerhaven-Wulsdorf geborgen wurden. Zu sehen sind vor allem Objekte rund um religiöse Bräuche. Öffnet man jedoch eine Schublade, sind dort Knochen einer Scholle sowie ein Zahn und Knochenfragmente eines Rindes zu sehen. Dass die Archäologen Überreste von Mäusen, Mardern, Fröschen, Schnecken und Vögeln gefunden haben, verwundert nicht. Für diese war die Kirche sicher ein willkommener Unterschlupf.
Aber wie kamen denn eine Kuh oder eine Scholle dorthin? Da die Kirche auf einer Erhöhung, dem Jedutenberg, steht, wird der Plattfisch kaum hineingeschwommen sein. Und auch für die Kuh war der Aufenthalt in einer Kirche ohne Weide nicht besonders verlockend.
Hier kommt die Erklärung: Als massiver Steinbau diente die Dionysiuskirche den Wulsdorfer*innen im späten Mittelalter auch als Zufluchtsort bei Gefahr. Gab es einen feindlichen Übergriff, suchten die Bewohner*innen dort Schutz und schlossen die massiven Türen. Und da sie nicht wussten, wie lange sie dort bleiben mussten, nahmen sie ihr Vieh und etwas zu essen mit. Das erklärt auch, warum man noch Hinweise auf Pferde, Schweine, Schafe und Hühner fand, die eigentlich in der Kirche nichts verloren hatten.
Neanderthaler an der Geeste
Den Abschluss des Rundgangs durch die Dauerausstellung bildet ein Stein. Dieser sieht recht langweilig aus, aber es handelt sich doch um einen ganz besonderen. Denn dieser knapp 12 cm lange Feuerstein wurde von einem Menschen bearbeitet und wird daher als Abschlag bezeichnet. Zusammen mit zwei weiteren Stücken handelt es sich um die ältesten Artefakte, also von Menschen hergestellte Objekte, in unserer Sammlung. Der Abschlag ist 120.000 Jahre alt!
Woher weiß man das? Als 1969 der Autobahnzubringer Leherheide gebaut wurde, fand ein Mitarbeiter der Landesarchäologie Bremen drei Abschläge aus Feuerstein. Sie steckten in der Torfschicht eines verlandeten Sees. Dass diese drei so alt sind, konnte man anhand von Pollen in der Torfschicht nachvollziehen. Und die drei Werkzeuge sind der einzige Hinweis darauf, dass sich an dieser Stelle ein Siedlungsplatz der Neanderthaler befunden hat. Damit kennen wir einen der ältesten Fundplätze auf dem Gebiet des heutigen Bremerhavens. Unsere Vorfahren waren noch nicht sesshaft, sondern wanderten als Jäger und Sammler ihrer Nahrung hinterher: Wo es etwas zu essen gab, blieben sie eine Weile bevor sie weiterzogen. Was für ein Zufallsfund!
In der Altsteinzeit endet unser Rundgang mit einigen ausgewählten Objekten in der Dauerausstellung. Hinter Exponaten stecken manchmal Geschichten, die man auf den ersten Blick nicht vermutet hätte. Das Entschlüsseln der Botschaft der Dinge macht Museumsarbeit aus.
Wie alle anderen Museen bleibt auch unser Haus bis Ende November geschlossen. Wenn wir wieder geöffnet haben, könnt Ihr Euch gerne die beschriebenen Exponate (und noch ein paar Tausend mehr) bei uns im Historischen Museum Bremerhaven ansehen. Der Eintritt ist weiterhin frei!
Bernd Traue
Sehr geehrte Frau Ras-Dürschner,
gerade stöbere ich auf der netten Homepage Logbuch-brhv.
Als gebürtiger Sellstedter möchte ich Ihnen hiermit einen besonderen Adventsgruß aus der bayerischen Landeshauptstadt mit Herz übermitteln.
Zu meiner großen Freude habe ich von der Sonderausstellung mit den Werken von Christian Mühlner erfahren. Ich bedaure sehr, das wir sie derzeit nicht aufsuchen können und hoffe sehr auf eine Möglichkeit im neuen Jahr. Zu Herrn Mühlner und seiner Familie hatte ich eine besondere, positiv prägende Beziehung. Er war es, der mich und sicher auch einige meiner Geschwister in den Jahren ab 1960 (Einschulung in der Grundschule Sellstedt) als Lehrer und Nachbar nachhaltig für Flora und Fauna rund um Sellstedt, dem Sellstedter See, dem Bülter See mit seinen wunderbaren Mooren und durch seine spannenden Reiseberichte begeistert hat.
Falls es über die Ausstellung in Bremerhaven Plakate gibt, würde ich mich sehr über ein Exponat freuen.
Herzliche Grüße aus München, verbunden mit einer wunderbaren Weihnachtszeit.
Bernd Traue
Kerstin Ras-Dürschner
Lieber Herr Traue,
herzlichen Dank für Ihre nette Nachricht, über die wir uns sehr gefreut haben. Leider wissen wir nicht, wann unser Museum wieder öffnen darf. Bis dahin geben wir hier im Logbuch Bremerhaven und auf unserer Website http://www.historisches-museum-bremerhaven.de kleine Einblicke. Außerdem bieten wir eine Klappkarte sowie fünf Postkarten mit Motiven von Christian Mühlner zum Verkauf an.
Herzliche Grüße aus Bremerhaven! Kerstin Ras-Dürschner