Fasching, Fastnacht, Karneval – allein im deutschsprachigen Raum gibt es mindestens drei Bezeichnungen für die „5. Jahreszeit“, die heute, am 11.11., beginnt. Was es mit diesem Datum auf sich hat, ist nicht genau belegt – es gibt verschiedene Mythen dazu. Während die Zahl Zehn in der religiösen Zahlenmythologie für Ordnung steht, ist Elf die Zahl, die diese Ordnung sprengt. Dies kommt auch daher, dass Personen, die die zehn Gebote überschritten, als Narr bezeichnet wurden. Andererseits ist der 11.11. auch als Martinstag bekannt, an dem in früheren Zeiten nochmal ausgiebig gefeiert und gespeist wurde, bevor am nächsten Tag die 56-tägige Fastenzeit begann. Die Zahl Elf scheint jedoch beim Fasching generell eine bedeutende Rolle zu spielen, denn auch Karnevalssitzungen oder -umzüge beginnen stets um elf Minuten nach der vollen Stunde und auch der Vorsitz einer Sitzung wird als sogenannter „Elferrat“ bezeichnet.
Aber was sind das eigentlich für Bräuche, die da Jahr um Jahr zelebriert werden? Und was hat der europäische Karneval mit demjenigen in Rio de Janeiro oder dem „Mardi Gras“ in den Vereinigten Staaten zu tun? Ich hoffe, im Deutschen Auswandererhaus mehr darüber erfahren zu können.
Fasching ist nicht gleich Karneval
Für mich, die ich in Norddeutschland aufgewachsen bin, war Fasching (nicht Karneval!) immer etwas, das hauptsächlich im Kindergarten und in der Grundschule gefeiert wurde und ansonsten eher im Fernsehen stattfand. Dort sah ich Bilder aus Köln und Düsseldorf, wo die gesamte Stadt bunt verkleidet durch die Straßen zog, ausgelassen feierte und Süßigkeiten in die Menge warf. Später, als ich ein Jahr auf den Kanarischen Inseln verbrachte, lernte ich eine neue Art des Karnevals kennen: laute Musik, riesige Tanzgruppen und eine Insel, die mehrere Tage lang alles stehen und liegen lässt um zu feiern – all das gehörte dazu.
Als ich nun, während meines Praktikums in der Pressestelle des Deutschen Auswandererhauses, gleich mehrfach Objekte und Fotos entdecke, die mit Karneval zu tun haben, und erfahre, dass das Museum sogar schon thematische Führungen zum Karneval angeboten hat, werde ich stutzig. Was hat ein Faschingsorden in einem Migrationsmuseum zu suchen? Wie hängen Auswanderung und Karneval miteinander zusammen? Ich beschließe, die Geschichte des Karnevals genauer unter die Lupe zu nehmen.
Zunächst lese ich in ehemaligen Führungstexten etwas über Fasching und Karneval in Deutschland. Ich stelle fest, dass weitaus mehr dazugehört als nur Rosenmontag und Aschermittwoch. Der tatsächliche Beginn der Karnevalsfeierlichkeiten nämlich findet schon am sogenannten „Schmutzigen Donnerstag“, also fast eine Woche vor Aschermittwoch statt. Das Wort Schmutz hat hier jedoch nichts mit Dreck zu tun, sondern kommt vom schwäbisch-alemannischen „schmotz“, was „fett“ bedeutet. Ich erfahre, dass zu diesem Anlass traditionell in Fett gebratene Speisen gegessen werden. Der nächste wichtige Termin ist der „Schmalzsamstag“, an dem Fastnachtskrapfen gegessen werden. Nach einer kurzen Verschnaufpause am Sonntag gehen die Feierlichkeiten dann am Rosenmontag richtig los und enden schließlich am Aschermittwoch. Obwohl ich bei meiner Recherche auf mehrere Begriffserklärungen zum Rosenmontag stoße, muss ich feststellen, dass die Herkunft dieses Namens sehr umstritten und nicht eindeutig geklärt ist.
Da ist es beim Aschermittwoch schon einfacher: Ich finde heraus, dass dieser Begriff und auch der Termin des Karnevals ihren Ursprung im Christentum haben. Am Aschermittwoch, der sich jedes Jahr nach dem Datum des Osterfestes richtet, erhalten die Karnevalist*innen ein Aschekreuz auf der Stirn als Zeichen für Vergänglichkeit und die Sünden der Gläubigen. Damit wird außerdem die 40-tägige Fastenzeit offiziell eingeleitet.
Karneval, Fasching, Fastnacht – woher kommt’s?
Jetzt bin ich schon etwas schlauer, was die Traditionen des deutschen Karnevals anbelangt. Doch ich frage mich nach wie vor, was unseren deutschen Karneval, den Karneval in Rio und das Thema Auswanderung verbindet. Nachdem ich ein wenig über die Karnevalstraditionen auf dem amerikanischen Kontinent lese, merke ich jedoch, dass ich immer noch zu wenig über die Bräuche des europäischen Karnevals weiß, um eine Verbindung zwischen den beiden Kontinenten zu entdecken. Also noch einmal zurück nach Deutschland.
Ich stelle fest, dass die Frage „Woher kamen sie?“, die mit Blick auf die Bremerhavener Auswander*innen bei uns im Deutschen Auswandererhaus immer wieder gestellt wird, sich leicht auf die Karnevalsbräuche übertragen lässt. In beiden Fällen muss ich erst einmal diese Frage beantworten, bevor ich verstehen kann, wohin sie gingen und aus welchen Gründen.
Bei meiner Recherche finde ich heraus, dass heute davon ausgegangen wird, dass die Bräuche der Fastnacht auf einen christlichen Hintergrund zurückzuführen sind. Bis in die 1950er Jahre jedoch, ging die Forschung von heidnischen Bräuchen zur Winteraustreibung als Wurzel der Fastnacht aus.
Von Köln in die Karibik
Ich lerne, dass die „schwäbisch-alemannische“ Fastnacht die längste Tradition hat. Hier wird besonders viel Wert auf die Kostüme gelegt. Jedes hat eine festgelegte Rolle und oft werden die Kostüme von Generation zu Generation weitergegeben.
Anders sieht das beim Kölner Karneval aus. Dieser findet seit 1823 in seiner heutigen Form statt und orientiert sich nicht an alten Traditionen. Außerhalb der Karnevalsvereine gibt es keine bestimmte Kostümordnung und alle können sich verkleiden wie sie wollen.
Am Beispiel des Straßenumzugs in Köln sehe ich nun erstmals eine Verbindung zum Karneval außerhalb Europas. Der Karneval auf der karibischen Insel Trinidad. Nachdem die Insel 1783 für Einwander*innen geöffnet wurde, kamen zahlreiche französische und englische Farmer*innen mitsamt ihren Sklav*innen nach Trinidad. Später kamen auch spanische Einwander*innen dazu. Insbesondere diese brachten ihre Karnevalstraditionen vom europäischen Festland mit. Der eigentliche karibische Karneval ging jedoch nicht unbedingt von ihnen aus. Nach der Befreiung der Sklav*innen, 1843, feierten diese in der Karnevalszeit mit großen Straßenumzügen, Musik und Tanz.
Samba in Rio
Als ich von diesen Umzügen lese, muss ich sofort an den berühmten Karneval in Rio denken. Ich beschließe mich damit etwas genauer zu befassen und versuche herauszufinden, ob auch hier Einflüsse von Einwander*innen zu finden sind.
Und tatsächlich! Ähnlich wie in Trinidad ist auch in Rio der Karneval auf afrikanische Sklav*innen zurückzuführen. Ich stelle fest, dass selbst heute, nachdem der Karneval von Rio sich über hunderte von Jahren entwickelt hat, im Kern der Veranstaltung noch Elemente ihrer Kultur zu finden sind. Das wohl bekannteste ist der Samba, eine Musikrichtung, welche die Sklav*innen nach Südamerika brachten und dort auf den Plantagen weiterentwickelten.
Französische Bräuche in Louisiana
Bei der Recherche nach dem Karneval in Südamerika stoße ich auf den US-amerikanischen Karneval. Dieser nennt sich „Mardi Gras“ und hat seine Ursprünge im europäischen Karneval. Der Name stammt aus dem Französischen und bedeutet „fetter Dienstag“. In Frankreich selbst wird diese Bezeichnung nur für den Dienstag vor Aschermittwoch verwendet, der dem „fetten Donnerstag“ in Deutschland ähnelt, den ich zu Beginn meiner Recherche kennengelernt habe. Als sich zu Beginn des 17. Jahrhunderts französische Einwander*innen im heutigen Kanada ansiedelten, nahmen sie ihre Karnevalsbräuche mit in die neue Heimat. Doch wie kamen diese von Kanada nach Louisiana, wo „Mardi Gras“ heutzutage riesengroß gefeiert wird?
Ich lese, dass die französischen Siedler*innen durch die britische Übernahme der nordamerikanischen Gebiete gezwungen waren, diese zu verlassen. Viele verschlug es daraufhin an die Südwestküste Amerikas, unter anderem nach Louisiana. Dort entwickelte sich das heutige amerikanische „Mardi Gras“. Zunächst kamen durch die spanischen Siedler*innen, die bereits dort lebten, weitere, wenn auch andere, europäische Traditionen hinzu. Außerdem kamen auch hier die Einflüsse der afrikanischen Sklav*innen dazu, genauso wie karibische Karnevalstraditionen, die ebenfalls durch Einwander*innen mitgebracht wurden. Über die Jahre hinweg entwickelte sich so also eine bunte Mischung an Karnevalsbräuchen, die gemeinsam zum amerikanischen „carnival“ oder „Mardi Gras“ wurden, der besonders in New Orleans groß gefeiert wird.
Die Geschichte des Karnevals scheint also tatsächlich sehr viel mit Migration zu tun zu haben. Spannend, dass so viele verschiedene Bräuche nur entstanden, weil Menschen ihr Land verließen und ihre Traditionen mitnahmen.
Von New York nach Bremerhaven
Doch was ist mit den Menschen, die keine eigenen Bräuche mitnehmen, sondern in einem Land mit eigenen Karnevalstraditionen ankommen? Ich erinnere mich wieder an den Faschingsorden, der Teil der Museumssammlung ist, und beschließe mir die Geschichte dahinter etwas genauer anzuschauen.
Der Faschingsorden gehört Helmuth Osmers. Dieser wird 1929 als Sohn deutscher Auswander*innen in Amerika geboren, wächst jedoch ab seinem zweiten Lebensjahr in Bremerhaven auf. Sein Leben lang wandert er zwischen den USA und Deutschland hin und her und schafft sich so zwei Heimaten. Als Erwachsener kommt er in seiner deutschen Heimat, in Würzburg, mit den Karnevalsbräuchen in Berührung. Er engagiert sich dort im örtlichen Karnevalsverein und wird 1965 zum „Prinz von Würzburg“ ernannt. Ich erfahre, dass es sich beim Titel „Faschingsprinz“ um eine besondere Auszeichnung innerhalb des Karnevals handelt, die derjenigen Person verliehen wird, die sich besonders für die Angelegenheiten des Vereins eingesetzt hat. Der „Prinz“ wird damit für diese Saison zum Oberhaupt der Narren gewählt.
Doch ich entdecke nicht nur die allgemeine Bedeutung des Ordens, sondern auch, was diese Auszeichnung für Helmuth Osmers persönlich bedeutet: Der Orden symbolisiert für ihn ein Gefühl der Heimat, das er nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA verspürte. Seine Tätigkeit im Karnevalsverein gibt ihm die Möglichkeit, wertvolle Beziehungen aufzubauen und so einen Ort zu einer Heimat zu machen. Um die Verbundenheit zu den beiden Orten seines Lebens zu verdeutlichen, sind auf seinem Orden sowohl die Alte Mainbrücke in Würzburg als auch die Skyline von New York zu sehen.
Es scheint, dass Karneval doch sehr viel mehr mit Migration zu tun hat als ich am Anfang vermutet habe. Diese vielfältigen Bräuche und Traditionen erlauben es nicht nur, dass Menschen in Deutschland sich mit ihrer Heimat verbunden fühlen, sondern geben auch Vielen die Möglichkeit, ein Stückchen Heimat mitzunehmen auf dem Weg in ein neues Leben. Und wie schön, dass die vielen verschiedenen Bräuche sich mischen, verbinden und dann vielleicht für die nächsten Generationen ein Stück Heimat symbolisieren.
Von Lina Ramm, Potsdam
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