Das Wochenende des 26. und 27. Juni war ein besonderes für das Deutsche Auswandererhaus: am Samstag der feierliche Festakt mit geladenen Gästen zur erneuerten und erweiterten Dauerausstellung, am Sonntag der erste Publikumstag.
Morgens werden noch die letzten Poster rund um den Museumsshop aufgehängt, Details in den Vitrinen der zwei neuen „Salons der Biographien“ nachjustiert, damit jedes der neuen 400 Objekte perfekt beleuchtet ist, und die letzten originalgetreuen Alltagsgegenstände in den neuen Ausstellungsinszenierungen platziert. Jetzt wo kein Baustaub und keine herumgetragenen Leitern mehr drohen, kann das letzte atmosphärische Detail seinen Platz finden. Fast 300 Personen waren zuvor in der „heißen Phase“ im ganzen Haus fleißig am Tragen, Schrauben, Verkabeln, Programmieren, Präparieren oder Platzieren.
Ein neues Konzept …
Für die neu konzipierte Dauerausstellung des Deutschen Auswandererhauses, die nicht nur im bisherigen Gebäude Platz finden, sondern für das ein ganzer Neubau entstand, haben die Kurator:innen über 270 Menschen interviewt. Die erzählten, berichteten und erinnerten Persönliches und Familiengeschichtliches für den erneuerten Teil des Altbaus ebenso wie für den völlig neuentwickelten und durchdachten Gebäudekomplex, der an den „Altbau“ von 2005 anschließt.
… um das Alte zu vertiefen …
Neue Themen und Biographien im Auswanderungsteil sollten unter anderem weiter in die Vergangenheit und tiefer nach (Ost-)Europa schauen, um etwa die Geschichten von Menschen, die aus Deutschland ins zaristische Russland auswanderten, zu erzählen. Das prägt natürlich alle Räume dieses Museumsbereiches neu. Besonders eindrucksvolle Spuren hat diese Verjüngungskur vor allem im Grand Central Terminal hinterlassen. Dort zeigen nun drei Räume das Alltagsleben der Auswander:innen in New York. Seit dem 27. Juni können Museumsgäste beispielsweise die „Old Town Bar“ besuchen, die es bis heute in Manhattan gibt. Die war – gegründet von einem deutschen Auswanderer – im 19. und 20. Jahrhundert Anlaufpunkt für die deutschsprachige Auswander:innen-Community.
Oder sie begegnen den Geschichten von Arbeiter:innen in einem „Sweatshop“ – einer Näherei, die oft Migrant:innen als günstige Arbeitskräfte einstellte. Viele waren arme osteuropäische Jüd:innen, die bald um einen besseren Schutz am Arbeitsplatz oder genügend Lohn zum Leben kämpften. Es ist die Einwanderungsgesellschaft der USA, die hier vor den Augen der Besuchenden entsteht. Und die ein Spiegelbild für die Geschichten des Neubaus ist.
… und mit dem Neuen die Gegenwart besser zu verstehen
Der Neubau erzählt von der Einwanderung nach Deutschland, von den vielen Debatten um Migration, die in der Bundesrepublik seit 1945 geführt wurden. Und ja, wieder von Arbeitskämpfen, Heimweh und dem Wunsch nach Anerkennung und Gerechtigkeit. Von den privaten Rückzugsräumen, politischer Beteiligung und Fragen, die viele Einwanderungsgesellschaften betreffen. Und er zeigt im „Salon der Biographien II“ in wunderbar ruhiger Stimmung die persönlichen Erinnerungsstücke und Lebensgeschichten von Einwander:innen, die in den vergangenen 330 Jahren nach Deutschland kamen.
Diese wichtige, oft unsichtbaren Perspektiven will das Deutsche Auswandererhaus sicht- und hörbar machen und, heute mehr als je zuvor, dazu anregen empathisch Einwanderung neu zu sehen. Deswegen hat es mit der neuen Ausstellung und der „Academy of Comparative Migration Studies“ nicht nur physische Denkräume geschaffen, die Menschen Migration ganz neu reflektieren lassen. Durch das Museum führen jetzt fünf mal drei Fragen, die die eigenen Perspektive auf den Kopf stellen können.
Von Geschäftigkeit zu Geschäftigkeit
Aber nun ist es erst einmal so weit: Es ist ein Sommerabend, wie ihn sich ein norddeutsches Tourismus-Büro nicht schöner hätte ausdenken können: ein kleines bisschen Wind, angenehme Wärme, Möwen über dem sich langsam verfärbenden Neue Hafen. Wissenschaftler:innen und Veranstaltungstechniker:innen, Kulissenbauer:in und Figurenbauer:in, Architekt:innen und Ausstellungsgestalter:innen können nun langsam Luft holen, während die Hauswirtschaft das Deutsche Auswandererhaus vom letzten Baustaub befreit und in der Küche die Vorbereitungen für Falafeln, Garnelen, Törtchen und andere Leckereien Fahrt aufnehmen. Auch im New York-Saal, dem großen Veranstaltungssaal des 2005 gegründeten und zuletzt 2012 erweiterten Migrationsmuseums, herrscht intensive Geschäftigkeit bei der Generalprobe des Festakts.
Mit dabei sind nicht nur Architekt und Ausstellungsgestalter Andreas Heller, der von Beginn an das Projekt Deutsches Auswandererhaus mit Kreativität und Energie begleitet, Museumsdirektorin Dr. Simone Blaschka, die schon 2003 in der Entwicklung des „alten“ Deutschen Auswandererhauses beteiligt war, und Tagesschau-Sprecherin Julia-Niharika Sen, die den Abend moderieren wird. Der israelisch-palästinensische Ausnahme-Pianist Saleem Ashkar möchte den Flügel vor der Feier noch einmal „kennen lernen“. Und Kameraleute sowie Streaming-Expert:innen sprechen die wichtigsten Abläufe ab, um allen Sprechenden virus-sichere Mikrophone auszuhändigen und die Bilder des Abends an alle jene zu senden, die durch die strengen Corona-Bestimmungen heute leider nicht im Saal sein können, sondern auf der Terrasse des Museums oder Zuhause am Bildschirm zuschauen.
Von fern und nah
Und auch sonst überwinden digitale Lösungen einige pandemie-bedingte Hürden: Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ließ dem Deutschen Auswandererhaus eine persönliche Videobotschaft zukommen wie auch Robin S. Quinville, Geschäftsträgerin der US-Botschaft in Deutschland, die sich mit einer ebenso herzlichen Botschaft an das Museums-Team wandte wie verschiedene Migrationsmuseen aus der ganzen Welt.
Doch auch in Persona durfte sich das Museum über hohen Besuch freuen: Der Generalkonsul der Vereinigten Staaten von Amerika Darion Akins kam aus Hamburg. Die Geschäftsträgerin der rumänischen Botschaft in Berlin Miheia-Mălina Diculescu-Blebea, die in ihrer Rede auf die historische Nähe von Deutschland und Rumänien durch Migration verweist, nahm sich sogar Zeit an diesem Wochenende Bremerhaven und das Deutsche Auswandererhaus mit der Familie zu erkunden. Neben ihr kommen auch besondere Förder:innen des Projektes zu Wort: Der Präsident des Senats und Bürgermeister der Freien Hansestadt Bremen Dr. Andreas Bovenschulte äußert sich voller Wohlwollen über das Museum. Bremens Wissenachaftssenatorin Dr. Claudia Schilling pflegt schon seit 2014, damals noch Präsidentin des Amtsgericht Langen, eine tiefe Bindung zum Deutschen Auswandererhaus und hat sich mit viel Energie für die Förderung des Erweiterungsprojektes engagiert. Und natürlich darf in der Seestadt Oberbürgermeister Melf Grantz nicht fehlen, der ohnehin ein großer Unterstützer dieses Hauses ist.
Von Menschen für Menschen
Außerdem gibt es ganz besondere Redner:innen und Reden, die im besten Sinne mit den Erwartungen an einen offiziellen Eröffnungsabend brechen: Sechs derjenigen Menschen, die auf der neuen Fassade des Deutschen Auswandererhauses Migration ein Gesicht geben, erzählen an jenem Abend selbst ihre Geschichte. Ein bewegender Moment, der zu einem Museum als Ort, der Menschen in den Mittelpunkt rücken und sichtbar machen will, passt.
Und nicht nur in diesem Augenblick sind sich die meisten geladenen Gäste sehr einig: Beim anschließenden Ausstellungsrundgang ist es kaum zu übersehen, dass das Museum durch seine neuen Inhalte wirklich über sich hinausgewachsen ist. Staunend steht die Festgemeinschaft im „Transit“-Bereich, der beide Gebäudeteile – den Altbau und den Neubau, die Auswanderung mit der Einwanderung – verbindet, und bewundert die künstlerische Atmosphäre, die das Gefühl des Zwischen-den-Grenzen-Seins, zwischen dem Aufbrechen und Ankommen auf ungewöhnliche Art und Weise fühlbar macht.
Ausklang und Anfang
Einige, wie Generalkonsul Akins und Senatspräsident Bovenschulte, nutzen die Gelegenheit und lassen sich im neuen Forum Migration, in dem die Besucher:innen ihre Perspektive auf Migration selbst überdenken und vertiefen können, vieles erklären. Doch der laue Sommerabend lockt auf die Terrasse des Museumsrestaurants „Speisesaal“, wo neben den Veranstaltungsgästen viele Mitarbeiter:innen des Deutschen Auswandererhauses und des Hamburger Architekturbüros Andreas Heller Architects & Designers glücklich und erschöpft über das fertige Werk anstoßen und über die vergangenen Monate plaudern. Das Gästebuch geht herum und Erinnerungsfotos entstehen. Nach Mitternacht wird die letzte Kerze auf den Tischen gelöscht. Am nächsten Tag sollten sich die Tore schon wieder öffnen … für das interessierte, neugierige Publikum.
Von Magdalena Gerwien, Deutsches Auswandererhaus
[bre_box title=“Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven“ style=“soft“ box_color=“#002c4c“ title_color=“#FFFFFF“ radius=“5″]Columbusstraße 65, 27568 Bremerhaven
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