Auf dem Weg ins Büro blicke ich auf den denkmalgeschützten Bau, der nach dem Entwurf des Architekten Hans Scharoun im Jahr 1975 fertiggestellt und eröffnet wurde. Die beigen Wandblöcke treten sanft vor dem Grün der Deichhügel hervor und locken mich immer wieder aufs Neue, hinter ihre Fassade zu gucken. Ich sehe die runden Bullaugenfenster in den geometrisch mit Trapezen durchdrungenen Wandelementen und die Würfelarchitektur der aneinandergereihten Raumsegmente. Sie erscheinen zeitlos und stehen dennoch in unmittelbarer Beziehung zum vorgefundenen Ort. Der in Bremen geborene Scharoun verbrachte seine Kindheit und Jugend in Bremerhaven. Er war beim Entwurf bestens mit der Umgebung vertraut.
Auf mich wirkt das Museumsgebäude heute mit seiner vielgliedrigen Unterteilung wie Schiffskojen, in denen die unterschiedlichen Kameraden liegen. Im Falle des Schifffahrtsmuseums waren es lange Jahre viele Modelle, Gemälde, Bauteile und teilweise sogar ganze Boote, die dort beheimatet waren. Seit März arbeite ich als wissenschaftliche Volontärin am Deutschen Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven. Meinen Studienabschluss habe ich mit dem Schwerpunkt auf Architekturvermittlung im Film der 20er Jahre gemacht. Meine Aufmerksamkeit fällt schon wesentlich länger auf den umbauten Raum, das Auge ist praktisch geschult.
Recherchen für ein digitales Angebot zum Tag des offenen Denkmals
Nicht zuletzt gab das diesjährige Motto des Tages des offenen Denkmals „Chance Denkmal: Erinnern, Erhalten, Neu Denken“ den entscheidenden Anstoß, mich weiter mit der ohnehin faszinierenden Architektur des Museums zu befassen. Im Moment ist das Gebäude für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und wird saniert. Zahlreiche Akteure sind bei der Umsetzung eines solchen Projektes beteiligt. Mein Unterfangen, der Geschichte des Hauses ein wenig auf die Schliche zu kommen soll dabei auch die Sicht der heute damit Agierenden einfangen. Das Resultat: Recherchen durch die Untiefen der Archiv-, Bibliotheks- und Sammlungsmaterialien des Schifffahrtmuseums mit Ausflug an die Bibliothek meiner Alma Mater, der Uni Bremen. Darauf basierend ist ein gedanklicher Rundgang entstanden.
Kolleginnen und Kollegen am Museum haben das Gebäude in teilweise sehr unterschiedlichen Phasen kennengelernt und begleitet. Im Gespräch mit ihnen entstand die Idee, neben historischen Fotografien und Infotexten einen Podcast ins Leben zu rufen, der weitere Perspektiven auf das Baudenkmal zulässt. Die Wahrnehmung des Gebäudes schließt ganz unterschiedliche Aspekte mit ein. Nimmt man beispielsweise den Bezug zu Landschaft und Umgebung als eine Herangehensweise, fallen die schlichten Formen ins Auge und der zurückgenommene Ausdruck der funktionsgeleiteten, organischen Architektur.
Infotexte werden erstellt und ergänzen historische Fotos
Hans Scharoun war ein Außenseiter der Moderne und dennoch stark von ihrer Formensprache beeinflusst. Wiederkehrende geometrische Elemente wie die runden Bullaugenfenster oder die relingartigen Geländer lassen sich bei mehreren seiner umgesetzten Bauten entdecken. Bis zum Spätwerk bleiben diese Details und architektonischen Elemente wiedererkennbar und wurden wie sein berühmter Entwurf für die Berliner Philharmonie erst nach dem Zweiten Weltkrieg realisiert. Die Staatsbibliothek in Berlin, das Theater in Wolfsburg und das Deutsche Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven wurden erst nach seinem Tod fertiggestellt.
Der Anstoß für die als modern bezeichnete Faszination für Maschinen – bei Scharoun insbesondere für den Schiffsbau – mag durch eine persönliche Vergangenheit geprägt sein. Sie mündet später in eine starke Beschäftigung mit dem Konzept eines organischen Funktionalismus. Der Begriff taucht zusammen mit dem Thema des Raumerlebens in Verbindung mit dem individuellen Zugang in tiefergehender wissenschaftlicher Auseinandersetzung auf. Seit dem frühen 20. Jahrhundert bis heute ist er ebenfalls in der Gebäudefotografie vertreten. Weitere Informationen dazu sollen bald den Infotexten unserer entstehenden Website zur Architektur des DSM zu entnehmen sein.
Der Scharoun-Bau des Deutschen Schifffahrtsmuseums ist ein stellvertretendes Exemplar eines organischen Baus der 1970er Jahre und wird in seiner Bau- und Nutzungsgeschichte vorgestellt. Seit 45 Jahren ist der Scharoun-Bau und damit das Deutsche Schifffahrtsmuseum fester Bestandteil der Stadt. Die geschickte Verzahnung des bestehenden Baus um die mittelalterliche Kogge mit der Erweiterung durch den Entwurf Scharouns fügt sich heute in die Promenade der Havenwelten. In der Bewegung vor Ort gehen Mensch und Umwelt ineinander über. Dadurch wird spielerisch der Zugang zu den ineinander verflochtenen Ebenen des Gebäudes geschaffen. Viele unterschiedliche Perspektiven fächern sich nicht nur architektonisch nebeneinander auf.
Die Konzeption einer Podcast-Reihe beginnt
Das Gebäude ist für seine Nutzung durch Menschen auf mehreren Ebenen konzipiert. Scharouns Augenmerk galt bereits damals Mensch und Umwelt, was sich in seinen fortschrittlichen Wettbewerbsbeiträgen äußerte. Dies sorgte auch in der baulichen Umsetzung für manche technische Unwegbarkeit. Die Verschalung der Wände, die Übergänge der Lichtsituationen und die optisch gestaffelten Gebäudeteile weisen bereits von außen auf die nötige handwerkliche Präzision im Inneren hin. Die damals verwendeten Materialen müssen im Zuge der anberaumten Sanierungsmaßnahmen neu bewertet werden.
Bis heute teilen nicht nur Fachleute ihre Begeisterung für die Bauten Scharouns. Die Heimatgeschichte Bremerhavens ist fest mit der Entstehung des Gebäudes am Alten Hafen verbunden, der einen hohen Wiedererkennungswert für Einheimische und Touristen hat. Auch wenn die als unüblich empfundenen modernen Stilelemente von Scharouns Bauten ähnlich wie die gezackten und runden Formen des Wohnwasserturms Bremerhavens damals für vorübergehendes Unverständnis in der Bevölkerung sorgte: Inzwischen sind sie ein Stück Bremerhaven und gehören zum Ensemble des Alten Hafens.
Die große Herausforderung ein solches Gesamtkunstwerk mit einer Ausstellung aus der Sammlung des DSM zu gestalten bindet viele Kräfte. Neben den Sanierungen mit Blick auf den Denkmalschutz müssen thematische, inhaltlich-fokussierte sowie finanzielle und städtebau-planerische Elemente berücksichtigt werden. Die spannende Diskussion über eine gemeinsame Arbeit am Scharoun-Bau bildet sich bereits anhand der historisch motivierten Podcast-Interviews ab. Sie beginnen, eine Reihe der beteiligten Akteure aus ihrer fachlichen Perspektive zu Wort kommen zu lassen. Meine Interviewpartner stammen aus den Bereichen Architektur, Denkmalschutz und Kultur.
Ausblick auf Webseite mit Beiträgen zum Scharoun-Bau
Historische Ansichten und ausgewählte Fotobeiträge ergänzen die Übersicht zur Architektur des Gebäudes. Sie bieten Einblicke in die Geschichte des Scharoun-Baus, seine Entstehung und Nutzung. Luftaufnahmen, Innenansichten und Details ermöglichen den Zugang zu einem Denkmal, das derzeit nicht besichtigt werden kann. Das historische Potenzial des Gebäudes wird sichtbar und schenkt Vorfreude auf eine Wiedereröffnung des Scharoun-Baus. Das Web-Special mit Fotos, Infotexten und Podcast-Beiträgen zum Scharoun-Bau ist ab dem 13. September unter www.dsm.museum/scharoun zu finden.
Dieser Beitrag wurde verfasst von: Karolin Leitermann
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