Nun bin ich fast ein Jahr Volontärin im Bereich Presse und PR des Deutschen Auswandererhauses. Meine mittlerweile entstandene Beziehung zu Bremerhaven lässt sich vermutlich am Besten mit einem Zitat aus Chuck Palahniuks eher fragwürdigem „Fight Club“ einfangen: „You met me at a very strange time in my life.“ Ob ich oder Bremerhaven in der Rolle Edward Nortons spricht? Ich fürchte, gar nicht so einfach zu sagen. Aber schön, dass jemand die Pixies-Platte angemacht hat.
First Contact
Mein Name ist Magdalena Gerwien. Geboren wurde ich 1986 in Kiel. Und auf Bremerhaven traf ich das erste Mal im Januar 2020. Damals sprach ich im Deutschen Auswandererhaus für das Volontariat im Presse- und PR-Bereich vor. SARS-Cov-2 war noch ein dunkles Brodeln irgendwo auf der anderen Seite der Welt. Hanau war irgend so ein Örtchen in Hessen und um mich herum ärgerten sich tierliebe Menschen nach dem Brand im Krefelder Zoo, weil sich die Leute nicht an das legale, sichere Feuerwerk hielten. Und Bremerhaven? War, wie erhofft, windig, voller Möwen und vom sympathischen Dönerimbiss über die Schwarzteedichte bis zum Humor der Busfahrer*innen im besten Sinne eine norddeutsche Hafenstadt, wie sie mir nach dem Studium manchmal etwas gefehlt hatte.
Neue Herausforderungen
So freute ich mich – trotz der unangenehmen globalen Entwicklungen, die langsam näher rückten – am 1. März 2020 nach Bremerhaven zu ziehen und mein „Volo“ in dem großen Migrationsmuseum am Neuen Hafen mit der viel-diskutierten, multimedialen Ausstellung anzutreten. Ich war gespannt: Auch wenn Museen für mich schon vertraute Arbeitsorte waren, hatte ich nach meinem Studium eher in Kunst- und Freilichtmuseen, in Ausstellungen, Sammlungen und im Archiv gearbeitet, nicht in der Öffentlichkeitsarbeit. Eine neue Herausforderung also.

© Deutsches Auswandererhaus/ Foto: Magdalena Gerwien
Auf Umwegen
Immerhin: Kameras und den alten Personal Computer meines Vaters (der bald zum aktuellen Microsoft-System, damals Windows 95, mutierte) benutzte ich schon mit Beginn der Grundschule gerne. Bereits mit sechs Jahren gab ich „Hubschrauber-pilotin“ für eine fest durchgeplante Schriftstellerinnenkarriere auf und Themen aus Geschichte und Politik fesselten mich schon lange, bevor sie meine Schulfächer wurden. Die Grundlagen waren gegeben. Doch folgte ich mit meinem Studium anderen Interessen: Ich schrieb mich in Philosophie und Skandinavistik ein. Für den Master verabschiedete ich mich von der Ostsee gen Süden und schrieb dort an der Universität vor allem Texte über Texte: über G.W.F. Hegel und Judith Butler, Martin Heidegger und Michel Foucault.
Ein anderer Blickwinkel
Doch die See fehlte manchmal. Und oft die Gelegenheit fürs Schreiben, Fotografieren und das digitale, kreative Arbeiten. Hier, im Deutschen Auswandererhaus, kann ich die mit etwas verbinden, was mir in den vorhergehenden Jahren immer wichtig geworden war: Ich wollte für Geschichte und Gesellschaft sensibilisieren, für die Menschen, die sie ausmachen und auf die sie wirken. Und ich wollte Bildung zugänglich machen, nicht nur für Menschen, die vieles davon schon in Universitätsbibliotheken hätten finden können. Im Deutschen Auswandererhaus arbeite ich in einem Museum, das sich genau das vorgenommen hat: Menschen wichtige Ideen und Erfahrungen erschließen, das Leben der „Anderen“ verstehbar machen und zwar auf sensible und kreative Weise. Das Museum erzählt von den Erfahrungen, die Migrant*innen im Laufe der Jahrzehnte und an unterschiedlichen Orten der Welt machten und machen. Ein wichtiges Feld, denn Migration ist schon lange ein Stück Menschheitsgeschichte – und ihre Gegenwart: nie gab es mehr Menschen auf der Flucht wie heute.

Mit dem April wurde nicht nur die Wohnungssuche schwer. Es war kaum zu leugnen: Dieses Jahr würde nicht werden wie erwartet. Bremerhaven ist so für mich – quasi aus Versehen – eine Stadt geworden, deren Kinos, Schwimmbäder und Cafés ich leider immer noch kaum kenne, aber deren Weserdeich, Parks und Naturschutzgebiete sowie deren tierischen Bewohner für mich heißgeliebte Fotomotive geworden sind.

Bleibt alles anders, auch im Museum
Und auch die Öffentlichkeitsarbeit wurde in manchen Punkten anders als erwartet:
Weil schnell das Analoge digital werden mussten. Weil ganz neue, andere Fragen entstanden, auf die es naheliegenderweise noch keine Antworten gab (Wie kommuniziert man eigentlich ein Hygienekonzept am Besten?) und manches auf einmal einfach nicht ging, wie viele der spannenden Veranstaltungen und Vorträge, die es sonst regelmäßig zu organisieren und zu bewerben gab.
Dabei war und ist das Deutsche Auswandererhaus auch ohne neue Onlineformate und Lockdowns gerade dabei, sich neu zu erfinden. So entwickeln sich – zusammen mit dem Neubau, der im Sommer eröffnet werden soll – zwischen Anrufen mit Interviewanfragen, Pressemitteilungen und neuem Material für das Instagram-Profil täglich neue und andere Aufgaben, Inhalte und Entwicklungen, die einen Platz in Pressemappen, Webseiten und Kooperationen finden müssen. Diese eifrige Wachstum bringt mich dabei manchmal in merkwürdige Situationen: Menschen erklären, wer da an der neuen Fassade zu sehen ist, und doch nicht zu viel verraten, was am Ende Spannendes dahinter zu sehen sein wird. Von den aufwändigen Betonplatten mit den Porträts der Menschen sprechen, die ihren ersten Startpunkt nach der Migration in Bremerhaven fanden, aber aufpassen, nicht zu viel von den Lebensgeschichten und Themen zu berichten, die sich bald in der neuen Dauerausstellung befinden werden. Zumindest noch nicht.
Temporäre lokale Verschiebungen
Oder zwischen den alltäglichen Terminen umziehen. Denn auch bereits bestehende Räume verändern sich grade im Lauftempo: so wurde mein neues Büro zu meinem alten Büro und die Presseabteilung zog vom Haupthaus ins historische Seeamt.
Zum Glück bin ich mit Umzugskartons, Fragen und Ideen nicht alleine: Neben Ilka Seer, die die Presseabteilung leitet und den Überblick behält, habe ich auch nette Kollegen wie Dominik Laupichler, der fleißig filmt, telefoniert, knipst und schreibt. Leider sind die immer trubeligen Museumsbüros, egal welche, durch das Homeoffice überraschend stille Orte geworden – mit weiter herrlichem Blick auf den Neuen Hafen und den Deich.
Da sollten man übrigens nur Mittagspause machen, wenn man gute Reflexe hat. Denn egal wie sehr man Möwen vermisst: Die in Bremerhaven sind perfekt geschulte Brötchendiebe. Auch wenn sie so freundlich gucken können wie Edward Norton in der letzten Szene auf der Kinoleinwand.
