Vom Tellerwäscher zum Millionär – viele Auswanderer trafen die Entscheidung, ihre Heimat zu verlassen aufgrund eines Traumes: die Armut hinter sich lassen und in der „Neuen Welt“ zum Reichtum aufsteigen. Nicht alle haben es geschafft. Während meines Praktikums im Deutschen Auswandererhaus begleite ich drei Menschen auf ihrer Reise zu diesem Ziel und verfolge, wie sie es tatsächlich auf unterschiedliche Weise erreichten.
Carl Laemmle ist 17 Jahre alt, als er 1884 in Bremerhaven das Schiff betritt, welches ihn in ein neues Leben bringen soll. In ein Leben abseits der bescheidenen Verhältnisse, die er und seine Geschwister in Oberschwaben gewohnt sind. Zu dem Zeitpunkt ahnt wohl noch niemand, was der junge Mann in den USA erreichen wird. Auch ich nicht, als ich den Beginn seiner außergewöhnlichen Lebensgeschichte im Deutschen Auswandererhaus an einer Hörstation erzählt bekomme – Zugang dazu gewährt die iCard, die mir an der Kasse zugeteilt wurde: Halte ich sie vor markierte Stellen im Museum, bekomme ich Informationen rund um das Thema Migration bereitgestellt. Sogar die an einer Fotostation während des Museumsrundganges gemachten Bilder werden auf der kleinen Karte gespeichert und später im Museumsshop gedruckt. Was Besucher nicht mitkriegen: Hinter diesen Möglichkeiten verbirgt sich die sogenannte Radio Frequency Identity-Technologie (RFID). Sie wird im Verborgenen von speziellen Servern gesteuert.
Auf das erste Kino folgt die Filmfabrik
Ich verfolge Carl Laemmles Reise weiter. In der detailgetreu rekonstruierten Einwanderungsstation „Ellis Island“ im Museum wird mir klar, dass mit einer Überquerung des Atlantiks die Eiwanderung in die USA noch lange nicht geschafft ist. Die amtliche Befragung sorgt bei den Menschen damals und auch bei mir heute für nervöses Herzklopfen. An einem der „Legal Desks“ stelle ich mich dem Einwanderungstest, vor dem auch Carl Laemmle 1884 nicht verschont bleibt. Ich erfahre aber, dass er ihn besteht und angekommen in New York als Laufbursche arbeitet, bevor er in Chicago Geschäftsführer einer Textilfirma wird. Diese Arbeit ist die Basis seines späteren Erfolges, denn sein dort verdientes Geld ermöglicht ihm im Jahre 1906 nach einem Kinobesuch den Kauf seines ersten eigenen Filmtheaters.
Im Ausstellungsraum „Grand Central Terminal“, der dem prunkvollen Bahnhof so nachempfunden ist, dass ich mich wirklich wie in New York angekommen fühle, lausche ich der Wiedergabe seiner enthusiastischen Worte: „Drei Wochen nachdem ich diese komischen Bilder gesehen hatte, hatte ich mein eigenes Theater.“ Bereits sechs Jahre später gründet Carl Laemmle die „Universal Film Manufacturing Company“ und beginnt mit dem Bau der Studiostadt „Universal City Studios“ in Los Angeles. Der Grundstein für die rasante Entwicklung Hollywoods ist gelegt – von einem deutschen Auswanderer in die Wege geleitet. Ich bin überrascht, dass ich das nicht wusste. Produktionen wie „Das Phantom der Oper“ und „Frankenstein“ erfahren großen Ruhm und sind bis heute bekannt. In seinem Schaukasten im „Grand Central Terminal“ besichtige ich handfeste Überbleibsel des Erfolges: alte Filmplakate, seinen Stern auf dem „Walk of Fame“ und Werbeanzeigen für seine Filmfabrik.
Übrigens, eine weitere durchaus berühmte Person aus dem Filmbusiness startete von Bremerhaven aus ebenfalls in die „Neue Welt“: Marlene Dietrich zog es 1930 aufgrund einer Vertragsunterzeichnung bei „Paramount Pictures“ nach Übersee.
Mit der Heimat tief verwurzelt
Aber zurück zu Carl Laemmle. Trotz des Erfolges seines Filmstudios gerät der Unternehmer in wirtschaftliche Probleme und muss sein Lebenswerk 1936 verkaufen. Was mich neben den beruflichen Erfolgen des Auswanderers besonders fesselt, ist sein soziales Engagement. Mit dem ursprünglichen Heimatort in Deutschland bleibt er stets verbunden und setzt sich mit Spenden für soziale Zwecke ein. Sogar eine Straße wird nach ihm benannt. Als 1933 jedoch die Nationalsozialisten an die Macht kommen, erkennen sie dem Mitglied einer jüdischen Familie diese Ehre ab und verbieten auch die Ausstrahlung des von ihm produzierten Films „Im Westen nichts Neues“. Laemmle setzt sich vehement gegen das Regime ein, verhilft durch das Übernehmen von Bürgschaften mehr als 300 Juden zur Flucht nach Übersee – damit auch der Frauenärztin Hertha Nathorff, deren Familiengeschichte das Deutsche Auswandererhaus ebenfalls präsentiert.
Im September 1939 stirbt der Filmproduzent in Beverly Hills. Nachdem ich seine Geschichte nun vollends kennengelernt habe, bin ich tief beeindruckt. Beeindruckt sowohl von seiner Lebensgeschichte – vom Aufwachsen in ärmlichen Verhältnissen über den großen Schritt der Auswanderung zum Mitbegründer Hollywoods – als auch von seinem Einsatz, als es darum geht, rassistisch verfolgten Menschen das Leben zu retten. Außerdem habe ich mit diesem neuen Wissen Interesse daran bekommen, weitere Persönlichkeiten kennenzulernen, die nach ihrer Auswanderung Großes erreichten – in welchem Beruf auch immer.
Das Drahtseil als Schlüssel zum Erfolg
So treffe ich bei meiner Spurensuche im Museumsraum „Galerie der 7 Millionen“ erstmalig auf den Namen eines Mannes, der sich ebenfalls für immer in den USA verewigt hat: August Roebling. Eine der vielen Schubladen im Raum präsentiert mir persönliche Einblicke in sein bewegtes Leben. Ein Portrait des Ingenieurs von 1848 betrachte ich eine Weile und ertappe mich dabei, mir seine Reaktion vorzustellen, wüsste er davon, dass etwa 180.000 Besucher im Jahr die Möglichkeit haben, seine Geschichte über das Öffnen einer Schublade besser kennenzulernen. Ich erfahre, dass der in Thüringen geborene Ingenieur die Überfahrt nach Amerika im Jahre 1831 wagte. Der große Erfolg, der ihm Reichtum und Bekanntheit bescherte, ließ nicht lange auf sich warten – August Roebling soll in die Geschichte eingehen als der Mann, der das erste Drahtseil Amerikas erfindet.
Die Brooklyn-Bridge: Der spannende Traum des August Roebling
Hinterlassenschaften dieser bahnbrechenden Erfindung sind auf der Welt wahrlich nicht zu übersehen und doch auch deutlich bekannter als der Name des Mannes, der ihren Bau überhaupt erst ermöglichte. Ich bin erstaunt, zu lernen, dass es sich bei seinem größten Bauprojekt wohl auch noch heute um eines der bekanntesten Wahrzeichen New Yorks handelt. Die Brooklyn Bridge verbindet die Stadtteile Manhattan und Brooklyn miteinander und galt lange als die am weitesten gespannte Brücke der Welt. August Roebling setzt nach seiner Auswanderung aus Deutschland den Anstoß für ihren Bau und wird Chef-Ingenieur. Leider nimmt seine Geschichte eine tragischere Wendung als die Carl Laemmles. Bei einem Unfall während Vermessungsarbeiten verletzt er sich und stirbt im Jahre 1869 an den Folgen. Sein Sohn und dessen Frau nehmen sich der Fortführung des Baus an und vollenden das Projekt. 14 Jahre nach dem Tod August Roeblings wird die Brooklyn Bridge eingeweiht und der große Traum des ehemaligen Auswanderers doch noch erfüllt.
Ich bin mir sicher, sollte ich New York einmal besuchen, werde ich beim Anblick der gigantischen Brücke an August Roebling und die ihm gewidmete Schublade im Deutschen Auswandererhaus zurückdenken.
Paul Lemkes Geschichte und König Kalakaua von Hawaii
Die Geschichte, die mich mit am meisten fasziniert und berührt hat, zeigt wieder einmal, was für ungewöhnliche Geschichten das Leben schreiben kann. Ich begleite abschließend den Schneidergesellen Paul Lemke auf seiner Reise in das Ungewisse. Als letzter der drei Menschen, deren Geschichten ich hier erzähle, fährt er 1886 Richtung Amerika. Wie Carl Laemmle überquert er den Atlantik auf einem Dampfschiff. Mit welchen Gegebenheiten sie auf solch einer Überfahrt zu kämpfen hatten, erlebe ich hautnah, als ich die Schifffahrt im Museum selbst auf mich nehme und im Zeitraffer in die USA gebracht werde. Drei Kabinen der dritten Klasse, die es zu erkunden gilt, warten auf mich. Eine davon ist der eines eben solchen Dampfers exakt nachgebaut. Zwischen schnarchenden Mitreisenden begutachte ich den Schlafsaal der „Lahn“. Zuvor habe ich bereits Einblicke bekommen, wie August Roebling zu Zeiten seiner Auswanderung genächtigt und gespeist haben muss. Im Zwischendeck, der Situation auf einem Segelschiff nachgebaut, steigt ein Engegefühl in mir hoch. Es ist doch deutlich kleiner, stickiger und weniger komfortabel als auf einem Schnelldampfer.
Angekommen in Übersee ist Paul Lemke weiterhin als Schneider tätig. Doch sein Leben nimmt eine unerwartete Wendung, als er ein Jobangebot des Königs Kalakaua von Hawaii bekommt. Dieser ist nach einem Besuch in Deutschland angetan von der preußischen Uniform und wünscht sich diese auch für sein Militär. Auf der Suche nach einem Kleidermacher fällt die Wahl auf Paul Lemke, der so plötzlich über Nacht zum königlichen Hofschneider berufen wird.
Privates Glück
Bei einem Besuch in der alten Heimat in Brandenburg verliebt er sich in seine Cousine Agnes, er ergreift die Chance und heiratet sie in New York. Bei ihrer Rückkehr nach Hawaii singt die königliche Militärkapelle die Nationalhymne – gekleidet in den von Paul genähten Uniformen. Es folgt eine erfüllte Zeit im neuen Zuhause. Gänsehaut bekomme ich, als ich über eine der Hörstationen einen Satz von Agnes vorgelesen bekomme, welchen sie nach dem Tod Pauls in einem Brief an ihre Kinder formuliert: „Wir haben […] unser Bestes verloren, er war ein guter treuer Mann und ein Vater, wie es nicht viele gibt. […] Ich wünsche Euch, liebe Kinder, dass ihr einmal in Eurer Ehe so glücklich werdet.“
Ich für meinen Teil bin nach meiner Auswanderung an der Seite dreier unheimlich beeindruckender Personen fasziniert, welch vielfältige Erfolgsgeschichten von Menschen sich hinter den ausgestellten Biografien im Deutschen Auswandererhaus tatsächlich verbergen. Wer hätte gedacht, dass ich den Werdegang des Begründers Hollywoods, des Erbauers der Brooklyn Bridge und eines wahren königlichen Hofschneiders kennenlernen würde. Sie alle verbindet, dass sie den Schritt gewagt und sowohl die vertraute Heimat als auch ihre Familien und Freunde hinter sich gelassen haben, um in der Fremde noch einmal ganz neu anzufangen. In ihrer „Neuen Welt“ hinterließen sie dann große Fußstapfen – die man teils noch heute vorfinden kann. Der Traum wurde erfüllt – vom Tellerwäscher zum Millionär.
Von Anneke Wortmann, Jena
Andre Kleinhanns
Ein wunderschöner Beitrag! Ich finde das Konzept vom Auswandererhaus, einzelne Auswanderer durch Erzählungen, Dokumente und Exponate in der Ausstellung „zu begleiten“, einfach klasse. Vielen Dank an Anneke für diesen tollen Bericht!
Gastautor Auswandererhaus
Hallo Andre,
wir freuen uns, dass dir der Artikel gefallen hat.
Beste Grüße!
Monika Pater
Schön geschriebener Beitrag! Beeindrucken die Geschichten ausgewanderter Frauen nicht so oder werden sie im Auswanderhaus nicht erzählt?
Gastautor Auswandererhaus
Hallo Monika,
schön, dass dir der Beitrag gefällt.
Die Geschichten aus- bzw. eingewanderter Frauen beeindruckt ebenso wie die der Männer. Selbstverständlich werden auch ihre Geschichten im Deutschen Auswandererhaus erzählt. Die Auswahl der hier vorgestellten Personen erfolgte allein nach den Kriterien der Gastautorin.
Beste Grüße
Dein DAH-Team