Mit ihrer spielerischen Form und den Fähnchen sehen sie schon etwas lustig aus – die Versorgungsstationen an der Seebäderkaje in Bremerhaven. Wer gerne dort entlang schlendert, sollte sich beim nächsten Spaziergang einen Moment Zeit nehmen, um zu verweilen. Es lohnt sich, genauer hinzuschauen. Dass es sich bei den grauen Aufbauten um ein Paradebeispiel postmoderner Gestaltung handelt, wird wohl nur den wenigsten bekannt sein.
Und damit nicht genug. Wenige Meter entfernt wird die Beobachter*in ein weiteres Gebäude entdecken, das sich mit bunten Fähnchen schmückt. Gemeint ist die Strandhalle, die seit ihrer Sanierung Ende der 1980er Jahre ebenfalls im postmodernen Glanz erstrahlt. Was postmoderne Architektur kennzeichnet, sind natürlich nicht nur Fähnchen. Aber dazu später mehr.
Galerieausstellung zeigt Beispiele postmoderner Architektur in Bremerhaven
Die Postmoderne hat in Bremerhaven noch weitere Spuren hinterlassen. Wer auf diesen Spuren wandeln möchte, kann dies ab dem 18. Dezember 2021 in unserer neuen Galerieausstellung im Historischen Museum tun. Im Zentrum der Ausstellung steht eine exemplarische Auswahl an Bauten, die seit den 1980er Jahren das Stadtbild Bremerhavens bereichern und stilistisch der Postmoderne zugeordnet werden können. Zugegeben, die Postmoderne zählt nicht gerade zu den bekanntesten Epochen. Obwohl oder auch gerade weil sie in der Geschichte noch gar nicht so lange zurückliegt. Vor rund vierzig Jahren, in den 1980er Jahren, erlebte sie jedoch besonders in der Architektur und im Design eine Hochphase. Als radikaler Gegenentwurf zu den festgefahrenen Regeln der Moderne, stieß die postmoderne Bewegung ein Umdenken an. Sie bewirkte, dass Spielereien, Emotionen und in gewisser Form auch Menschlichkeit in der Gestaltung von Gebäuden und Produkten wieder Beachtung fanden.
Das Historische Museum feiert Geburtstag
Den eigentlichen Anlass für unsere Ausstellung bildet ein Jubiläum: In 2021 feiern wir 30 Jahre Historisches Museum im Neubau an der Geeste. Die Geschichte des ehemals Morgenstern-Museum genannten Hauses reicht allerdings viel weiter zurück. Doch vor rund 30 Jahren läutete der Einzug in die Räume des eigens für das Museum gestalteten Neubaus an der Geeste den Beginn einer neuen Ära ein.
Ideenwettbewerb 1986
Die Umsetzung des Bauvorhabens nahm mit einem 1986 von der Stadt Bremerhaven ausgeschriebenen Ideenwettbewerb für die Neugestaltung des südlichen Geesteufers konkret Gestalt an. Der unansehnliche Uferabschnitt zwischen der Alten Geestebrücke samt Busse-Denkmal und der Kennedy-Brücke sollte zu einer „Visitenkarte am Wasser“ ausgebaut werden. Neun Einreichungen kamen in die engere Auswahl der Fachjury. Aus diesen Einreichungen ging der Entwurf der Architekten Wolfgang Bendig und Henning Wessels aus Nordenham als Sieger hervor. Der Siegerentwurf wurde von Zeitgenoss*innen als postmodern charakterisiert.
Heute, 30 Jahre später, zeigen sich sowohl die Architektur als auch die Ausstellung unverändert und erfahren nach wie vor Lob und Anerkennung von Einheimischen wie Gästen von auswärts. Wir haben uns gefragt, was die inhaltlichen und was die stilistischen Merkmale sind, die zu dieser anhaltenden Anerkennung für ein Gebäude und eine Ausstellungsarchitektur führen, die inzwischen einen Oldtimerstatus erreicht haben. Diese Fragen lenken den Blick auf eine ideengeschichtliche Vorstellungswelt. Eine Vorstellungswelt, aus der heraus das Museumsgebäude entworfen und seine Ausstellung gestaltet worden sind – die Postmoderne. Für uns Grund genug, um uns mit der Zeit der Postmoderne genauer zu befassen.
Wie aus „form follows function“ „form follows fiction“ wurde
Die Postmoderne schlug sich spätestens seit den 1970er Jahren, ausgehend von den Vereinigten Staaten, Frankreich und Italien, auch in Deutschland nieder. In der Architektur löste sie nach 1945 die erste und bis heute letzte intensive Diskussion über Stilfragen aus. Vorangegangen war die sogenannte „Moderne“. Diese war seit Beginn des 20. Jahrhunderts international von führenden Architekten wie Mies van der Rohe, Walter Gropius und Le Corbusier geprägt worden und stellte auch lange nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl in der Architektur als auch im Design das Maß aller Dinge dar. Beide Disziplinen folgten dem Leitgedanken „form follows function“ – die Funktion bestimmt die Gestaltung. Industrielle Funktionalität und Rationalität als Gestaltungsmaximen führten dazu, dass Gebäude und Produkte zunehmend emotionsloser, nüchterner und betriebswirtschaftlich optimierter ausgestaltet wurden.
Aus der Sicht der postmodernen Kritiker*innen hatte dieser radikale Funktionalismus jedoch eine gravierende Kehrseite: Er gipfelte in einem Einheitsstil, der Vielfalt negierte und Innovationen ausschloss. Die postmoderne Bewegung forderte folglich die Befreiung von den Zwängen der Moderne. Sie reagierte auf deren Leitspruch mit einem Gegenentwurf: Aus „form follows function“ wurde „form follows fiction“, was so viel heißt wie die Form ergibt sich aus einer Idee.
Die Postmoderne und das Design
Im Design bewirkten die Folgen dieses Positionswechsels, dass spielerische Aspekte, Farbigkeit, Ironie und Leichtigkeit in die Gestaltung von Produkten miteinflossen. In ihrer radikalsten Ausformung führte die Postmoderne zu beinahe nicht nutzbaren, funktionslosen und fast „unvernünftigen“ Produkten. Diese waren jedoch zugleich schön anzusehen, lustig und emotional. Bekannt für ihre ausgefallenen Designs ist besonders das Memphis-Kollektiv, das sich 1981 um den Impulsgeber Ettore Sottsass in Mailand gründete. Unser Tipp für Designfans: Das Vitra Design Museum in Weil am Rhein bei Basel zeigt aktuell noch eine Ausstellung über Memphis.
Designobjekte für den alltäglichen Gebrauch
In unserer Sonderausstellung präsentieren wir eine kleine Auswahl beispielhafter postmoderner Designobjekte. Zu sehen sind zum Beispiel verschiedene Espressokannen und Wasserkessel des italienischen Labels Alessi. Typisch für die Postmoderne, orientieren sich diese in ihrem Design an skulpturalen und architektonischen Formen. Diese Verbindung rührt daher, weil die Designer*innen nicht selten zugleich Architekt*innen waren. So zum Beispiel auch bei der Tischleuchte „Shogun Tavolo“ des italienischen Architekten Mario Botta.
Merkmale postmoderner Architektur
Die gestalterischen Ausprägungen äußerten sich in der postmodernen Architektur nicht ganz so radikal wie im Design. Ihre wesentlichen Merkmale bildeten spielerische, belebende, funktionsfreie Elemente und Gliederungen. Darüber hinaus kennzeichnete sie eine betonende Farbgebung, die Rückkehr architektonischer Traditionen sowie eine Bezugnahme auf den Ort, an dem ein Gebäude entstehen sollte, unter Verwendung historischer Anspielungen und Bauelemente.
Die Anfänge
Im Jahr 1977 bildete der höchstumstrittene Entwurf für den Erweiterungsbau der Stuttgarter Staatsgalerie von James Sterling den Auftakt der architektonischen Postmoderne in Deutschland. Ein Jahr später setzte man in Bremerhaven noch mit der Einweihung der ersten Baustufe des Columbus-Centers der architektonischen Moderne ein spätes Denkmal. Der monumentale Gebäudekomplex nach Plänen der ASAD-Gruppe mit Peter Weber als jungem Ausführungsarchitekten wirkte damals jedoch bereits etwas aus der Zeit gefallen.
Preisgekrönt – Postmoderne Architektur in Bremerhaven
Das erste gebaute Beispiel postmoderner Architektur in Bremerhaven entstand 1981 mit der Fertigstellung einer ebenfalls von Peter Weber gestalteten Reihenhauszeile in Weddewarden am nördlichen Rand der Stadt. Mit dem 1985 eingeweihten Erweiterungsbau der Hochschule auf dem Gelände der ehemaligen Karlsburg-Brauerei von Gottfried Böhm nahm die Postmoderne in Bremerhaven weiter an Fahrt auf. Ein Jahr später gewann Bremerhaven mit dem vom Bund Deutscher Architekten (BDA) preisgekrönten Neubau des Alfred-Wegener-Instituts am Eingang der Innenstadt einen weiteren Bau im Stil der Postmoderne dazu.
Im gleichen Jahr wurden auch die von Peter Weber im Stil holländischer Grachtenhäuser gestalteten, ebenfalls BDA-preisgekrönten Stadthäuser in der Deichstraße fertiggestellt. Der 1991 eröffnete Neubau des Historischen Museums ist stilistisch bereits der abklingenden Postmoderne zuzuschreiben.
Eine Zeitreise in Bremerhavens postmoderne Vergangenheit
Bereits mit Beginn der 1990er Jahre lief die Hochphase der Postmoderne langsam aus. Die Befreiung von den Zwängen der Moderne und die vielen Stilelemente blieben jedoch erhalten. Sie gehören heute zum Alltag der Architektur und des Designs. In der Galerieausstellung begeben wir uns auf eine Zeitreise ins Bremerhaven der 1980er und 1990er Jahre. Anhand von 16 beispielhaft ausgewählten, ganz unterschiedlichen Bauten möchten wir die fast vergessene Zeit der Postmoderne zurück ins Gedächtnis rufen. Eine Zeit, der Bremerhaven eine Reihe stilgeschichtlich vorbildlicher und architektonisch preisgekrönter Bauwerke verdankt.
Auf einen Blick:
Galerieausstellung „Spielerisch, emotional, menschlich. Bremerhavener Bauten im Zeichen der Postmoderne“– Laufzeit 18.12.2021 bis zum 27.03.2022 – Historisches Museum Bremerhaven – An der Geeste, 27570 Bremerhaven – Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr – Der Eintritt ist frei! – Termine für Führungen, Ferienprogramm und Vorträge im Historischen Museum Bremerhaven
Autorin: Maja Dreyer
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