Bremerhaven ist eine Tanzstadt. Ja, tatsächlich – mehr noch: Bremerhaven ist außerdem sogar seit Anfang des Jahres eine von dreizehn TANZLAND-Städten. Was das nun bedeutet, wer sich hinter „cie.toula.limnaios“ verbirgt, wie sich getanzte Wut anfühlt und warum die Tanzenden der Stadt sich nun an einem Tisch versammeln – all das steht in diesem Blogbeitrag.
Bremerhaven tanzt!
Es trippelt und springt, es wiegt sich und schwingt, es dreht sich auf Rollschuhen oder an der Stange. Mal erzählt die Musik von Argentinien oder von Brasilien, mal hören wir HipHop oder klassische Musik. Es tanzen die Füße, die Kinder, der Bauch und letztlich das Herz.
Die TSG, die Tanzschule Beer, die TanzEtage, die Tanz Oase, Ad Nug, die Ballettschule Dance Art, Zouk Bremerhaven, die Tanzgruppe des syrisch-deutschen Freundschaftsvereins, LTS Rollkunstlauf, das Ballett des Stadttheaters Bremerhaven unter der Leitung von Sergei Vanaev, Hafentango, Salsa und Meer, Port Promenaders – Square Dance, die bulgarische Tanzgruppe „Horo“, Port Pole, Artevale und die Tänzerin Claudia Hanfgarn mit ihrem Tanzpädagogische Schulprojekt TAPST – sie alle und viele mehr gestalten in Bremerhaven eine illustre Tanzszene. Ob als Profi auf dem internationalen Tanzparkett oder als Hobby am Wochenende; einig sind sie sich doch alle in ihrer Leidenschaft zum Tanz – und in ihrem Engagement für diese älteste Kunst der Menschheit.
TANZLAND – Ein Projekt der Bundeskulturstiftung
Neben dieser bunten Tanzszene ist Bremerhaven nun schon seit Anfang des Jahres ein Teil von TANZLAND.
Das Projekt TANZLAND der Bundesstiftung für Kultur möchte zeitgenössischen Tanz abseits der Metropolen sicht- und erlebbar machen. Es geht darum eine Win-Win-Situation zu erzeugen: Die Theater kleinerer Städte bekommen die Möglichkeit über eine Gastspielkooperation mit einem Ensemble für zeitgenössischem Tanz ihr Angebot zu verändern. Sie können ihr Publikum mit dieser Tanzform vertraut machen. Die Vermittlungsarbeit und der Austausch werden über die Gastspiele hinaus von einem Workshopangebot begleitet. Die beteiligten Tanzensembles selber gewinnen dadurch, dass sie neue Orte bespielen und so die Auseinandersetzung mit verschiedenen Publikumsstrukturen die eigene Arbeit reflektiert und weiterentwickelt. Darüber hinaus steigert sich dadurch bundesweit ihr Bekanntheitsgrad.
Seit Anfang 2018 fördert die Bundeskulturstiftung, auf Initiative des Kulturamtes und unter der Leitung der Tänzerin Claudia Hanfgarn, in Bremerhaven mit diesem Ansatz die Gastspielkooperation mit dem Berliner Tanzensemble cie.toula limnaios und dem Theater im Fischereihafen. Die zweijährige Förderung ermöglicht auch im nächsten Jahr noch einige Möglichkeiten die Companie Toula Limnaios zu sehen oder bei Workshops direkt mit ihnen zu arbeiten.
„wut“ gegen die Sprachlosigkeit der Zeit
Es ist Dienstagabend. Die Gitarre quietscht, es ist laut, es ist nicht besonders angenehm, es ist „wut“ und der Name ist Programm. Ich sitze im Theater im Fischereihafen und bin gebannt von der Schnelligkeit und der Eleganz, dem Ausdruck und den starken Bildern, die cie.toula limnaios aus Berlin finden um mit dieser wuchtigen, gnadenlosen Emotion zu spielen.
Es ist nicht nur Wut, die ich sehen kann – in Bewegung, Mimik und Szenerie. Nein, ich fühle sie auch, denn Assoziationen von Folter, Missbrauch und Demütigung machen mich – auf meinem Theaterplatz sitzend – rasend wütend. Ich weiß nicht, ob das Stück seinen Titel trägt, wegen dem, was es zu sehen gibt, oder vielleicht vielmehr wegen dem, was es im Publikum auslöst – aber es ist mir auch egal, zumindest im Moment!
In einer Szene stehen die Tänzer*innen am Bühnenrand und schreien tonlos mit zerrissenen Gesichtern – in beiden Händen: Steine – fest umkrallt. Ich möchte zurück schreien, aber meine Sozialisation greift ein und lässt mich dann schweigend sitzen – mit zornigem Blick.
Dieser Tanz ist Kunst. Es ist nicht ganz leicht, sich darauf einzulassen und als gediegene Abendunterhaltung kann es wahrlich nicht dienen. Es ist virtuos, grandios – voller Worte, Gedanken, Bilder und Emotion – besonders voller Wut. Wenn Theater sonst oft Abbild der Gesellschaft ist, findet sich hier ein Spiegel und zwar einer, der schreit.
Es ist ein mutiges Stück – laut, unwohl und heiser.
Später: Ich gehe nach Hause und bin beeindruckt, hoffnungsvoll und berührt – beste Abendunterhaltung!
Wer sind cie.toula limnaios?
Die Choreographin und Interpretin Toula Limnaios absolvierte ihre Tanzausbildung in Brüssel und an der Folkwang Hochschule in Essen. Schon bald wurde sie Mitglied des Folkwang Tanzstudios unter der Leitung von Pina Bausch. Im Jahr 1996 gründete Toula Limnaios dann ihr eigenes Ensemble für zeitgenössischen Tanz „cie.toula limnaios“ im Jahr 1996 zusammen mit dem Musiker und Komponisten Ralf R. Ollertz.
Dem Repertoire der cie.toula limnaios liegt ein mutiger, wacher, kritischer Blick auf Gesellschaft und Strukturen zugrunde. Der Film „we are made“ aus dem Jahr 2016 portraitiert das Ensemble in vielen Facetten und sehr nah. Wir sehen diesen Film im Anschluss an die öffentliche Probe und er zeigt mir erneut die vielfältigen Spannungs- und Themenfelder der Kompanie. Im anschließenden Publikumsgespräch höre und sehe ich dann mehr von der Frau, die mit ihrem Namen und ihrer Person, dem Ensemble voran steht.
Besonders beeindruckt es mich, dass Toula Limnaios an diesem Abend betont, wie sehr es ihr am Herzen liegt, dass ihre Tänzerinnen und Tänzer jedes Stück mit ganz persönlichem Bezug entwickeln. Sie möchte sie nicht eine aufgestülpte Inszenierungsstruktur erfüllen lassen. Über diese sehr persönliche Auseinandersetzung entstehen sehr nahe, authentische und ehrliche Stücke. Toula Limnaios erarbeitet ein Stück spielerisch und aus den Ideen der Tanzenden heraus. Besonders ist ebenso die parallele Erarbeitung der Tongrundlage. Ralf R. Ollertz komponiert die Musik in direkter Entstehung des Stücks – die daraus entstehenden Synergieeffekte sind sowohl Marken- sowie auch Exzellenzzeichen der Kompanie.
Das Ensemble zeichnet sich neben dieser virtuoser künstlerischer Arbeit auch durch innovative Arbeitsstrukturen aus. Mit ihrer Spielstätte HALLE TANZBÜHNE BERLIN, 14 festangestellten Mitarbeiter*innen, 43 Repertoirestücken und 50-60 Vorstellungen im Jahr sind Vorreiterin für Kultureinrichtungen und als Kulturbotschafterin für das Goethe-Institut und das Auswärtige Amt viel Zeit des Jahres international unterwegs.
Was kommt, was bleibt
Auch 2019 wird die Kooperation mit cie. toula limnaios weitergeführt.
Im Februar gibt es das nächste Mal die Chance das Ensemble live auf der Bühne im Theater im Fischereihafen zu sehen – bewegte Zeiten lassen bitten.
Doch auch abgesehen von der Gastspielkooperation im Rahmen von TANZLAND steht Tanz in Bremerhaven im Jahr 2019 ganz weit oben auf der Veranstaltungsliste. Schon zum zweiten Mal versammelten sich – auf Einladung des Kulturamts- die Tanzenden der Stadt Ende November am runden Tisch: Tanz. Angestoßen wurde diese Bewegung von den Ideen der Zukunftswerkstatt BremerhavenKultur 2027, die Kunst- und Kulturschaffenden der Stadt besser miteinander zu vernetzen und aus diesen Netzwerken fruchtbare Zusammenarbeit zu generieren.
Bei diesem Treffen am 25.11.2018 wurden nun die ersten Ideen konkreter. Zwar ist dieses Tanzkästchen noch zu neu, um über konkrete Inhalte zu plaudern, aber schon einmal soviel: es geht um unsere Stadt und natürlich geht es um Tanz – viel Tanz. Cie.toula limnaios werden wieder dabei sein, Studierende der Hochschule unterstützen uns mit der Umsetzung einer tollen Idee und wir hoffen jetzt schon auf Sonnenschein. Es geht darum, gemeinsam neue Wege zu gehen und zu tanzen – und ich kann Euch schon ganz nahe legen: Haltet euch den 1. Mai 2019 frei – und zwar nicht nur, um mit der Gewerkschaft zu demonstrieren.
toula limnaios sind wieder in Bremerhaven:
22.02.2019 – volto umano – Theater im Fischereihafen
23./24. 02.2019 – Workshop mit cie.toula limnaios
und zusätzlich: 01.05.2019 – freihalten!
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