Leuchtende Farben, dynamische Sujets, idyllische Landschaften – die Holzschnitte von Christian Mühlner (1916-2008) sprechen eine eigene Sprache. In der neuen Sonderausstellung im Historischen Museum Bremerhaven offenbart sich das ganze Können des talentierten Sellstedter Künstlers. Mit seinen zeitlosen Werken gelingt es ihm, den vermeintlich aus der Mode gekommenen Holzschnitt in ein ganz neues Licht zu rücken.
Der Titel – ein Widerspruch?
Im Ausstellungstitel „Exakte Phantasien“ treffen zwei scheinbar gegensätzliche Begriffe aufeinander: „exakt“ und „Phantasie“. Das aus dem Altgriechischem stammende Wort Phantasie beschreibt etwas Urmenschliches, die kreative Fähigkeit sich etwas vorzustellen, eine innere Welt zu erzeugen, ohne Einschränkungen, individuell, frei. Das Wort exakt (v. lat. exactus „genau“) begegnet uns dagegen eher in mathematischen oder technischen Kontexten: etwas ist akkurat, wissenschaftlich korrekt oder präzise. Inwiefern kann also Phantasie exakt sein und warum benennen wir danach eine Ausstellung?
Wie alles begann
Für die Erklärung begeben wir uns ein Jahr zurück. Im Juli 2019 überlässt die Galeristin Silke Trolldenier dem Historischen Museum Bremerhaven eine umfangreiche Sammlung mit Werken von Christian Mühlner. Silke Trolldenier stellte dessen Arbeiten über Jahrzehnte in ihrer Galerie am Wehlhamm in Butjadingen aus. Zum Dank bekam sie immer wieder Werke des Künstlers geschenkt. Daraus entstanden ist eine Sammlung von über 250 Holzschnitten, Aquarellen, Druckstöcken und persönlichen Zeugnissen von Christian Mühlner, die nun Teil unserer Museumssammlung ist.
Ein Leben für eine Berufung
Wer ist Christian Mühlner? Als es darum ging, auf der Grundlage dieser Stiftung eine Ausstellung zu kuratieren, haben wir uns genau diese Frage gestellt. Je mehr wir uns mit dem Künstler und seinem Werk auseinandersetzten, desto schwieriger gestaltete es sich, auf diese Frage eine eindeutige Antwort zu finden. Warum? Christian Mühlner blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Er ist Förster, Redakteur, Illustrator, Pädagoge, Holzschneider – auf einen einzigen Beruf will er sich nicht beschränken. Der Grund dafür ist eine tiefe Verbundenheit zur Natur und allen Lebewesen, die er Zeit seines Lebens empfindet. Diese Berufung sorgt dafür, dass er nie müde wird, sich und andere für einen sinnvollen Naturschutz zu begeistern.
Wie Mühlner zum Holzschneiden kam
Mit diesem Wissen erscheinen all seine Tätigkeiten wie eine logische Konsequenz. Aus der Neugierde für alle Lebensvorgänge in der Natur lässt sich Christian Mühlner nach dem Schulabschluss 1933 zum Revierförster ausbilden.
Der aufkommende Zweite Weltkriegs ist auch für Mühlner eine Zäsur, die für ihn als Soldat mit der Gefangenahme durch englische Truppen in Italien und einer dreijährigen Kriegsgefangenschaft in Ägypten endet. Mühlner, der schon von klein auf eine große Faszination für den afrikanischen Kontinent hegt, startet hier seine ersten Versuche als Künstler. Er hält alle Pflanzen und Tiere in der Umgebung des Gefangenenlagers in exakten Zeichnungen fest und stellt sogar eine kleine Zeltausstellung mit Aquarellen für seine Mitgefangenen auf die Beine. Per Zufall lernt er dort den Grafiker Bruno Skibbe (1906-1975) kennen, der ihm die alte Kunst des Holzschneidens beibringt. In der Retrospektive wird die Gefangenschaft für Mühlner so zu einer Zeit der Besinnung und des Innehaltens mit vielen neuen Eindrücken.
Der notorische Naturschützer
Zurück in Deutschland studiert Christian Mühlner Lehramt in der Fächerkombination Biologie und Kunst. Sein größter Antrieb ist es, den Schüler*innen die Natur und Lebewesen in ihrer Umgebung näher zu bringen. Um sich das Studium zu finanzieren, schreibt und zeichnet er ab 1949 für die Jugendzeitschrift „Der kleine Tierfreund“. Bis in die 1970er Jahre gestaltet er das Gesicht der Zeitschrift maßgeblich mit. In seinen Beiträgen berichtet er oft von eigenen Erfahrungen und Reiseerlebnissen. Die jungen Leser*innen lernen darin Nützliches über die Tier- und Pflanzenwelt und warum es diese zu schützen gilt. Der Lehrerberuf führt Christian Mühlner schließlich nach Sellstedt an eine Grundschule. Diese leitet er bis zu seiner Pensionierung 1978.
Holzschneider aus Leidenschaft
Im Ruhestand widmet sich Christian Mühlner endlich voll und ganz seiner Kunst. Er ist Holzschneider durch und durch. Der Holzschnitt und insbesondere der Farbholzschnitt sind neben Aquarellen seine bevorzugten künstlerischen Ausdrucksmittel. Die alte Technik des Holzschneidens beherrscht Mühlner in Perfektion. Als passionierter Lehrer engagiert er sich besonders für die Vermittlung des alten Handwerks. Mühlner liebt es, vor seinen Bildern stehend, interessierten Menschen mit erklärenden Worten die Technik zu demonstrieren.
Für denselben Zweck erstellt er sogar eine Anleitung mit eigenen Illustrationen. Darin erklärt er kurz und knapp, was ein Holzschnitt ist: „Natürlich ist jeder Holzschnitt ein ‚Hochdruck‘ – es druckt also, was ‚hoch‘ in der Holzplatte, dem Druckstock, stehen blieb. Was herausgeschnitten wurde, druckt nicht.“ Schritt für Schritt beschreibt Christian Mühlner, wie er beim Drucken von Holzschnitten mit Wasserfarben vorgeht. Von der Entwicklung des Entwurfs und dem genauen Ablauf bei der Übertragung der Zeichnung auf den Druckstock über das Herausschneiden der nicht druckenden Flächen bis zum Druckverfahren selbst.
Der mehrfarbige Holzschnitt
Um einen mehrfarbigen Holzschnitt zu erzeugen, werden bei dem Druck mehrere Druckstöcke der Reihe nach aufeinander gepasst. Erst im Zusammenspiel ergibt sich das fertige Bild. Das bedeutet, für jede eingesetzte Farbe wird ein eigener Druckstock benötigt.
Bei jedem dieser Druckstöcke werden die in der entsprechenden Farbe zu druckenden Elemente des Motivs separat aus der Platte geschnitten. Die einzelnen Platten werden erst unmittelbar vor dem Druck per Hand eingefärbt. Es ist also nicht ungewöhnlich, wenn für einen einzigen Farbholzschnitt bis zu zwanzig (und mehr) Druckstöcke im Einsatz sind. Wer hätte gedacht, dass es für einen einzelnen Farbholzschnitt so viel Mühe und Aufwand bedarf? Aber es lohnt sich! Jeder Handabzug ist ein Unikat.
Exakte Phantasien
Zurück zu unserer Ausgangsfrage, was hinter dem Namen unserer Sonderausstellung steht. Als gelernter Förster ist Christian Mühlner ein genauer Beobachter der Natur. Inspiration findet er in allem Lebendigen, was ihn umgibt. Pflanzen, Tiere und Bauwerke aus der Region oder den Ländern seiner zahlreichen Studienreisen zählen zu seinen bevorzugten Motiven.
Bei genauerer Betrachtung seiner Bilder fällt die besondere Exaktheit des Dargestellten ins Auge. Für Mühlner ist das Naturvorbild bei seinen Arbeiten bindend:
„Der Stamm der Eiche, das Blattwerk eines Krautes müssen mit der gleichen Sorgfalt erfasst werden wie der Habitus eines bestimmten Insektes oder eines Vogels. In allem wirkt der gleiche höchste Geist.“
Auf der anderen Seite steht die künstlerische Überhöhung des Objektes, der Mühlner sich als kreativer Kopf nicht verschließen möchte. „Daraus entstehen für mich gelegentlich Schwierigkeiten… die beiden Sichtweisen zu verbinden“, schreibt Mühlner und dennoch bleibt er in seiner Haltung strikt: Phantasie ist wesentlich für die Gestaltung eines Bildes, aber es muss eine ‚exakte‘ Phantasie sein.“ In dem Zitat bringt der Holzschneider seine künstlerische Grundhaltung auf den Punkt. Für uns war klar, „Exakte Phantasien“ könnte als Titel für eine Ausstellung über Leben und Werk von Christian Mühlner nicht treffender sein.
Die Sonderausstellung
Nach intensiven Wochen der Vorbereitung ist es endlich soweit. Wir stehen in unserem leeren Sonderausstellungssaal und beginnen mit der Hängung der ausgewählten Exponate. Mit Leitern und Zollstöcken ausgestattet, bringen wir die gerahmten Holzschnitte und Aquarelle an die Wände. Dieser Vorgang ist jedes Mal aufregend, denn erst jetzt zeigt sich, ob Auswahl und Anordnung der Exponate im Raum die gewünschte Wirkung entfalten. Ausgehend von den prägnantesten Motivgruppen der Sammlung gliedert sich die Sonderausstellung in neun verschiedene Themenbereiche. Daraus ergibt sich ein Querschnitt durch das facettenreiche Gesamtwerk des Holzschneiders Christian Mühlner.
Neben der hiesigen Vogelwelt und einheimischen Pflanzen zeigen Mühlners Holzschnitte und Aquarelle maritime Szenerien sowie idyllische Plätze in der nahen Umgebung. Dazu gesellen sich Landschaftsansichten, die von den Studienreisen des Holzschneiders in ferne Länder zeugen. Phantasievolle Motive mit Bezug auf literarische Werke von Franz Kafka (1883-1924) und regionalhistorische Ereignisse belegen darüber hinaus die vielseitigen Ausdrucksmöglichkeiten des Holzschnitts.
Ein besonderes Highlight der Sonderausstellung ist die Kunstpublikation „Windvögel in der Nacht“. In dem 1983 erschienenen Buch mit einer limitierten Auflage von 300 Exemplaren wurden drei fast in Vergessenheit geratene Wattenmeer-Sagen des Erzählers Martin Luserke (1880-1968) neu aufgelegt. Christian Mühlner beteiligte sich an dem Gemeinschaftsprojekt mit 23 atmosphärischen Holzschnitten und stellt damit auch sein Können als Illustrator meisterhaft zur Schau.
Alles anders durch Covid-19
Die Eröffnung unserer Sonderausstellung „Christian Mühlner. Exakte Phantasien“ war bereits für die Mitte des vergangenen Monats November geplant. Durch die coronabedingte Schließung unseres Hauses sowie aller Museen und Kultureichrichtungen in Deutschland wurden diese Pläne hinfällig. Dieser Beitrag soll dabei helfen, die Wartezeit bis zur Wiedereröffnung zu verkürzen und Neugierde zu wecken. Nun bleibt uns nichts anderes übrig als abzuwarten und gemeinsam darauf hinzufiebern bis die Museen wieder öffnen können und unsere Sonderausstellung für alle Besucher*innen zugänglich sein wird.
Als kleinen Vorgeschmack für ein bisschen „Mühlner“ zu Hause haben wir aus dem Holzschnitt „Oldenburger Haus“ eine weihnachtliche Kunst-Klappkarte gestaltet. Erhältlich ist sie für 2,00 € im Shop auf unserer Homepage und in den Geschäften Janssen Maritimes, Buchhandlung Memminger, Galerie G. v. Häfen und Buchhandlung Huebener in Bremerhaven.
Von Maja Dreyer
Bernd Traue
Moin Miteinander.
Wird es einen neuen Anlauf für die Ausstellung geben?
Würde mich sehr freuen.
Mit freundlichen Grüßen aus München. Bernd Traue