Es gibt nur wenige Ausstellungen, die einen nicht loslassen und mit denen man sich auch nach dem Besuch weiterhin gedanklich beschäftigt. Die aktuelle Ausstellung TIDE in der Kunsthalle Bremerhaven gehört zu diesen einprägsamen Erlebnissen. Dafür gibt es natürlich ganz unterschiedliche Gründe. Bei mir sind oft diese erforderlich: Entweder das Dargestellte beeinflusst mich nachhaltig oder die Darstellungsweise überrascht mich. Und beides trifft auf die Kunst-Ausstellung von Aurel Dahlgrün zu, die noch bis zum 16. Januar 2022 in der Kunsthalle Bremerhaven zu sehen ist.
Was diese Ausstellung so besonders macht?
So einiges. Hauptsächlich aber, weil der gebürtige Berliner und Konzeptkünstler Aurel Dahlrün (*1989) die Kunsthalle Bremerhaven unter Wasser gesetzt hat und er damit das Publikum überrascht und auch etwas verwirrt. Mir erging es zumindest so. Überrascht darüber, dass mir der so bekannte Raum auf einmal dermaßen übermächtig gegenüberstand und verwirrt, dass dies alleine durch eine große Wasserfläche verursacht wurde.
Wie er das gemacht hat?
Indem er im Hauptraum ein großes, flaches Becken errichtet und dieses mit Wasser aus der Wesermündung gefüllt hat. Behilflich war ihm dabei die ortsansässige Feuerwehr. Am Ende wurden in die Kunsthalle ca. 4.800 Liter gepumpt. Im Laufe der Ausstellung wird das Wasser allmählich verdunsten und was zurückbleibt sind kleine Salzkristalle. Es ist also ein Werk, dass sich langsam aber stetig verändern wird.
Warum er das macht?
Weil sich der Künstler Aurel Dahlgrün während seines Stipendienaufenthaltes in Bremerhaven mit den Gezeiten auseinandergesetzt hat. Dabei ist für das Publikum nicht nur das Zusammenspiel von Erde und Mond faszinierend, sondern auch das Element Wasser an sich.
Die Reflexion auf einer Wasseroberfläche zeigt deutlich, dass sie die Urform des Abbildes ist. Dabei ist sie eine nicht fassbare Realität. Denn sobald ich die Oberfläche des Wassers berühren sollte, verschwimmt und verzerrt dieses Abbild. Die Hälfte der Umgebung ist im wahrsten Sinne mehr Schein als Sein.
Dann ist auch mein Gefühl, dass der Hauptraum durch die Spiegelung massiv und zugleich leicht und fragil wirkt, gar nicht so falsch. Das ist es auch, was mich so sehr beeindruckt und mich im Nachhinein beschäftigt. Das Wasser, nicht nur als ein Element anzusehen ohne das es kein Leben geben würde (was natürlich beeindruckend genug ist), sondern auch als ein wandlungsfähiges Material. Flexibel, fließend, ursprünglich, amorph und anpassungsfähig.
Muss ich in diese Ausstellung?
Ja, unbedingt! Neben der Installation zeigt der Künstler Dahlgrün im Kabinett seine Werkreihe „RetinaI-III“ aus dem Jahr 2021. Es sind großformatige Papierarbeiten, die Abdrücke von Wasseroberflächen zeigen. In dem verdunkelten Kabinett hängen sie schwerelos an der Wand. Alle drei Arbeiten wirken wie ein jahrhundertaltes Fragment, dass gerade erst entdeckt und durch einen Lichtspot ins rechte Licht gerückt wurde. Die Inszenierung hat etwas majestätisch.
Falls die Arbeiten noch nicht ausreichend überzeugen konnten, dann vielleicht die Person Aurel Dahlgrün: In Berlin geboren ist er in Schweden aufgewachsen und hat seine Jugend zeitweise in Brasilien verbracht. Er studierte von 2011 bis 2018 an der Kunstakademie Düsseldorf bei dem US-amerikanischen Fotografen und Konzeptkünstler Christopher Williams. 2014 erhielt er das Friedrich J.H. Schneider Stipendium, 2015 den Hogan Lovells Kunstförderpreis und 2018 den Düsseldorfer Ehrenhofpreis mit einer anschließenden Einzelausstellung im Kunstpalast Düsseldorf. Und nun ist er in Kunsthalle Bremerhaven zu sehen.
Weiter Informationen zu der Ausstellung und zu den aktuellen Corona Maßnahmen findet ihr unter: www.kunstverein-bremerhaven.de.
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