10:00 Uhr morgens volles Haus im JUB am Elbinger Platz. Alle Beteiligten haben sich für die erste Probe zusammengefunden, um das Konzept der Bühnenadaption eines großen deutschen Literaturklassikers zu besprechen: Erich Kästners Das doppelte Lottchen. Für die Umsetzung der Geschichte um die berühmten Zwillinge Louise und Lotte zeichnet sich das Inszenierungsteam bestehend aus dem Regisseur Jens Kerbel und dem Kostüm- und Bühnenbildner Toto verantwortlich. Die beiden haben schon bei vielen Stücken miteinander gearbeitet. Eine weitere Kooperation stellt die Fusion aus Künstler:innen aus dem Schauspiel und dem Jungen Theater dar, die sich bei diesem Stück die Bühne teilen werden.
Aus der Zeit
Während ich die illustre Runde mit meiner Kamera umkreise, um Fotos für unsere Social-Media-Kanäle und diesen Blogbeitrag zu schießen, umreißt Kerbel grob den Ausgangspunkt für ihre Fassung des doppelten Lottchens und stellt die für ihn und seinen Kollegen wichtigsten Aspekte der Romanvorlage heraus. Vor allem die Entstehungszeit spielt eine wichtige Rolle in der Umsetzung. Erich Kästners Roman, der 1949 veröffentlicht wurde, aber schon ein paar Jahre vorher entstand, war seiner Zeit voraus. Dem ungebrochenen Familienglück anderer Literatur stellte der Autor eine realitätsnahe Familiensituation in Form von alleinerziehenden Eltern entgegen, die heutzutage, wenn man sich die Statistiken anschaut, aktueller denn je scheint.
Einen weiteren Bruch stellte das Frauenbild dar, dass weibliche Charaktere nicht mehr bloß als vermeintliches Anhängsel des Gatten darstellte, sondern selbstbestimmt und unabhängig zeigt und die Eigenschaften vorweisen, die zuvor meist männlichen Protagonisten vorbehalten waren. „Protagonisten“ bzw. „Protagonistinnen“ ist dabei das Stichwort, da es im doppelten Lottchen zwei weibliche Hauptrollen gibt. Das ist in den 50ern in der Jugendliteratur zu diesem Zeitpunkt noch eher ein Novum. Auch wenn der Stoff in seiner ursprünglichen Form bestehen bleibt, will Regisseur Kerbel auch Neues wagen und stellt das zuckersüße Ende in seiner Fassung in Frage. Welchen Ausgang die Geschichte nehmen wird, soll aber hier natürlich noch nicht verraten werden.
Die Alpen an der Nordsee
Ausstatter Toto berichtet begeistern von den Plänen für die Bühne und die Kostüme. Eine bewegliche Drehbühne soll es geben, welche die unterschiedlichen Räume und Landschaften zwischen den Städten München, Wien und malerischen Bergwelten beherbergt. Die verschiedenen Szenarien sollen teilweise wie eine spielerische Zirkuswelt wirken, die Spaß macht – und besonders die kleinen Zuschauer anspricht: „Die Bühne soll wie ein Spielplatz sein, bei dessen Anblick, die Kinder am liebsten auf die Bühne springen und mitmachen wollen“, sagt er.
Kerbel und Toto legen in ihrer Inszenierung besonders Wert auf die Epoche, in der das Original spielt. Wie in einer Zeitkapsel soll dieser Aspekt in zum Beispiel den Kostümen seinen Ausdruck finden, aber auch für die Geschichte selbst sei das essenziell da, wenn die Geschichte zu sehr modernisiert werde, sie in Zeiten von Smartphones gar nicht funktionieren würde.
Besonders auffällig ist das Zeitzeugnis aber in den Kostümen zu beobachten, die zum einen den 50ern entstammen und zusätzlich mit Dirndl und Lederhosen süddeutsches Flair versprühen. Die zeitliche und auch räumliche Ferne macht zumindest den Look des Stücks fremdartig und aufregend für die Kinder fügt Toto hinzu.
In der Schneiderei durfte ich bereits einen Blick auf eine kleine Auswahl der Kostüme werfen, die Ausstatter Toto aus seinem Fundus mitgebracht und die noch angepasst und mit Details und Accessoires versehen werden. Hierbei konnte ich den Einsatz einer Apparatur erleben, die mir unbekannt war, aber im Schneiderhandwerk ständig zum Einsatz kommt: der „Abpuster“. Dieser dient dazu, Markierungen, die beim Anpassen der Kleidung mit Kreide aufgetragen werden, wieder zu entfernen – mal wieder was dazu gelernt.
Die Verwandlung der Schauspielerinnen in das Zwillingspaar und ein Sneak-Peak auf die Kostüme wird es demnächst auf den Social-Media-Kanälen des Stadttheaters zu sehen geben und das Endergebnis der Proben, wenn Das doppelte Lottchen auf der Bühne im Großen Haus am 17. November Premiere feiert.
Familienstück zur Vorweihnachtszeit / von Erich Kästner für die Bühne bearbeitet von Henning Bock und Jürgen Popig / ab 6 Jahren
Premiere: 17. November 2023 // Großes Haus
Karten und Termine:
https://stadttheaterbremerhaven.de/junges-theater/programm/das-doppelte-lottchen/
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