Am 13. Mai ist Muttertag. Es ist das erste Mal, dass ich selbst Mutter bin. Meine kleine Tochter ist erst ein paar Wochen alt und noch immer bin ich völlig überwältigt von meinen Muttergefühlen und davon, was es bedeutet Mutter zu sein. Eigentlich wollte ich eine ganz gelassene Mama werden. Nun wird mir jedoch auf einmal klar, dass meine Muttergefühle echte Instinkte sind. Instinkte lassen sich nun mal nicht so einfach abschalten oder steuern. Schließlich sorgt der Mutterinstinkt dafür, dass es dem eigenen Nachwuchs gut geht und ihm nichts passiert. Das hat die Natur gut eingefädelt und sorgt so für den Fortbestand der eigenen Art.
Der Mutterinstinkt in der Tierwelt
Aber wie ist es mit dem Mutterinstinkt bei anderen Säugetieren? Jede Tierart hat ihre eigene faszinierende Strategie entwickelt, um ihren Nachwuchs groß zu ziehen. Dabei ist nicht überraschend, dass die Anzahl der Jungtiere eine entscheidende Rolle für das Verhältnis zwischen Mutter und Kind spielt. Abhängig davon ob die Mütter viele oder wenige Nachkommen produzieren, unterscheiden Wissenschaftler zwischen den sogenannten R- und K-Strategen. Aber was hat es mit diesen beiden Strategien auf sich und wofür steht überhaupt R und K?
Unterschiedliche Fortpflanzungsstrategien: Die R- und K-Strategen
„R“ steht für Rate. R-Strategen zeichnen sich durch eine sehr hohe Reproduktionsrate aus. Sie bringen also viele Nachkommen zur Welt. Die Mütter investieren relativ wenig Aufwand in die Aufzucht der Jungtiere, was daran liegt, dass die Nachkommen schnell selbstständig werden und nach kürzester Zeit selbst Jungtiere zur Welt bringen. Häufig wird so ein Überschuss an Nachkommen produziert. Die Nahrung in einem Lebensraum reicht dann leider oft nicht aus, um alle Jungtiere groß zu ziehen. Zusätzlich fallen einige Jungtiere Räubern zum Opfer. Die Sterblichkeitsrate unter den Nachkommen ist also sehr hoch.
„K“ steht für Kapazität. Im Gegensatz zu den R-Strategen setzen die K-Strategen bei der Jungtieraufzucht nicht auf Quantität, sondern auf Qualität. Sie bringen also nicht viele, sondern nur ein oder zumindest sehr wenige Jungtiere zur Welt. Die Jungen brauchen lange bis sie selbst geschlechtsreif werden und ihre Mütter investieren somit sehr viel Zeit und Mühe in ihre Aufzucht.
Auf den ersten Blick könnte man nun meinen, dass K-Strategen die liebevolleren Mütter sind. Aber ist dies wirklich der Fall? Gut, dass sich unter unseren Zoo-Müttern sowohl K- als auch R-Strategen befinden, die uns das Gegenteil beweisen!
Massenhafte Liebe bei den Lemmingen
Unsere Steppenlemminge sind typische R-Strategen mit einer sehr hohen Reproduktionsrate: Sie bringen fünf Mal im Jahr durchschnittlich sechs bis acht, mitunter sogar bis zu 12 Jungtiere zur Welt! Nach nur drei Wochen sind die Kleinen völlig selbstständig und können sich schon nach vier Wochen selbst fortpflanzen. Dass Lemminge nur so wenig Zeit mit der Aufzucht ihrer Jungtiere verbringen, ist jedoch auch ihrer geringen Lebenserwartung von nur maximal drei Jahren geschuldet. Äußerst liebevolle Mütter sind sie allemal: Die Jungtiere kommen nackt und blind zur Welt und sind völlig abhängig von der Fürsorge ihrer Mama. Nach der Geburt wird jedes Einzelne von ihnen abgenabelt und ausgiebig trocken geleckt. Das Lecken des gesamten Körpers regt den Kreislauf an, hilft bei der Verdauung und fördert die soziale Bindung zwischen den Tieren. Jedes einzelne Jungtier wird liebevoll gesäugt, gewärmt und die Mutter frisst sogar den Kot der Jungtiere, um das kuschelige Nest sauber zu halten.
Gar nicht affig: Echte Mutter-Kind-Bindung bei den Schimpansen
Typische K-Strategen sind unsere Schimpansen. Sie bringen meist ein einzelnes Jungtier zur Welt um das sie sich, genau wie wir Menschen, aufopferungsvoll kümmern. So war es auch ein echtes Ereignis für unsere Schimpansendame Jenny, als vor 9 Jahren ihr Sohn Ndutu geboren wurde. Ndutu klammerte sich das erste halbe Jahr fest an Jennys Bauchfell und war die ganze Zeit bei ihr. Die Zeit danach liebte er es auf ihrem Rücken zu reiten. Erst mit circa einem Jahr fing er an herumzulaufen und spielend die Welt zu entdecken. Ganze 4 Jahre lang säugte Jenny ihren Kleinen und auch anschließend blieb er noch eng bei seiner Mutter. Mittlerweile ist Ndutu mit seinen 9 Jahren geschlechtsreif und damit erwachsen. Eine liebevolle Beziehung zu seiner Mutter hat er aber noch immer. Häufig kann man die beiden beobachten wie sie sich gegenseitig das Fell pflegen und engen Körperkontakt genießen.
Wie die Karnickel: Effektive Jungtieraufzucht bei den Schneehasen
Unsere Schneehasendame Inga ist erst letztes Jahr Mama dreier Schneehasenbabys geworden. Typisch für R-Strategen war Ingas Muttersein nur von kurzer Dauer: Die Kleinen sind Nestflüchter. Sie kommen bereits behaart zur Welt und sind schon nach circa drei Wochen völlig selbstständig. Nach einem Jahr sind Schneehasen geschlechtsreif und können dann ebenfalls zwei bis drei Mal im Jahr bis zu fünf Jungtiere pro Wurf zur Welt bringen. Die Kleinen wurden nur alle 24 Stunden in der Nacht von ihrer Mama Inga gesäugt! Nun könnte man behaupten, dass sich die Fürsorge der Schneehasenmama eben – typisch für R-Strategen – stark in Grenzen hält. Doch im Gegenteil: Schneehasen verstecken ihre Jungtiere in kleinen Erdmulden und achten akribisch darauf, dass diese nicht von Räubern entdeckt werden. Das Nest sucht die Mutter nur einmal täglich, im Schutz der Dunkelheit auf. So verringert sie das Risiko, dass es von Räubern entdeckt wird. Schneehasen beweisen also: Man muss keine Helikoptermutter sein, um seinen Nachwuchs erfolgreich zu beschützen.
Bärenstarke Mutterliebe
Die bekannteste Mutter im Zoo ist wahrscheinlich die Eisbärendame Valeska, die wir zu den K-Strategen zählen können. Trächtige Eisbärinnen ziehen sich in eine Schneehöhle zurück. Geschützt vor Räubern und der eisigen Kälte bringen sie ein bis vier Jungen zur Welt, die sie dort den Winter über säugen. Erst im Frühjahr verlässt die Bärin mit ihrem Nachwuchs die Höhle – es vergehen also Monate der Fastenzeit während der die Bären nur von ihren Fettreserven lebt.
Eine Schneehöhle gibt es bei uns im Zoo zwar nicht, dafür aber einen schallisolierten Wurfstall, den Valeska als Wurfhöhle nutzte, als sie vor zwei Jahren ihr Tochter Lili und vor fünf Jahren Lale zur Welt brachte. Bei beiden Geburten war es unglaublich faszinierend zu sehen, wie vorsichtig die starke und 300 Kilogramm schwere Bärin mit dem im Vergleich winzigen, 600 Gramm schweren Bärenbaby umging. Liebevoll und fürsorglich wärmte sie es mit der eigenen Körperwärme und hielt es beim Saugen an der Brust vorsichtig zwischen ihren großen Tatzen. Selbst bei Lale machte die damals unerfahrene Valeska intuitiv alles richtig. Circa zwei Jahre werden Eisbären von ihren Muttern geführt. Bei Lili war sie viel entspannter, routinierter, traute ihrer „Zweitgeborenen“ viel mehr zu und machte ihr bereits nach etwas über einem Jahr unmissverständlich klar, dass es Zeit ist ihren eigenen Weg zu gehen. Vielleicht hatte Valeska ja gelernt wie wichtig es ist, als Mutter auch loslassen zu können.
Die Mutter-Kind Beziehung ist ein Wunder der Natur
Jede Tierart und bestimmt auch jede Mutter hat ihre eigene Strategie um ihren Nachwuchs groß zu ziehen. Dabei ist es jedoch völlig egal, ob sie als R- oder K-Stratege relativ gesehen viel oder wenig Mühe in die Jungtieraufzucht steckt. Letztendlich folgen alle Mütter dem Instinkt ihre Kinder bestmöglich zu schützen, bis diese auf eigenen Beinen stehen.
Viele Mütter wollen keinen Muttertag als Anerkennung dafür, dass sie sich 365 Tage im Jahr für ihre Kinder aufopfern. Das verstehe ich. Doch die leidenschaftliche Beziehung zwischen Müttern und ihren Kindern ist etwas ganz besonderes. In der Tierwelt genauso wie bei uns Menschen. Sie ist ein echtes Wunder der Natur. Und das gilt es zu feiern.
Ich jedenfalls werde gleich meine Mutter anrufen. Vielleicht hat sie am 13. Mai noch nichts vor und zur Feier des Tages Lust auf einen Ausflug in den Zoo mit mir und ihrer Enkeltochter.
Autorin: Dr. Antje Mewes
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