Tanz ist die verborgene Sprache der Seele. (Martha Graham)
Bei den Theaterführungen erzählen wir häufig von den Musiktheater- und Schauspielproben. Es gibt zunächst Leseproben und dann Einzel- und Ensembleproben im Schauspiel; die Sängerinnen und Sänger, Musikerinnen und Musiker studieren ihre Parts oft einzeln oder mit dem Repetitor am Klavier ein, bevor in den Endproben alles zusammengeführt wird. Wie aber die Arbeit im Tanz funktioniert, habe ich Sergei Vanaev gefragt. Er ist Chefchoreograf und Ballettmeister am Stadttheater Bremerhaven.

Vanaev, der erst kürzlich mit seiner Version der BREMER STADTMUSIKANTEN Premiere im Großen Haus des Stadttheaters feierte, ist seit 14 Jahren in Bremerhaven engagiert. DIE BREMER STADTMUSIKANTEN ist die neuste seiner mittlerweile über 100 Produktionen.
Seine Arbeit beschreibt er als einen autodidaktischen Prozess. Er muss sich neben dem Trainieren, Organisieren und Choreografieren ständig weiterbilden; viel lesen, recherchieren und anschauen. Denn alle seine Stücke sind Uraufführungen. Sie entstehen bei ihm durch intuitive Formen und innere Bilder, die er plötzlich im Kopf hat, erzählt er mir. Es ist ein fließender Prozess, der nicht mit klaren Arbeitsschritten zu beschreiben ist – beeinflusst auch von unterbewusster Inspiration und etwas, was sich wahrscheinlich am ehesten mit „künstlerischer Eingebung“ bennen lässt. Manchmal hört er Musik und sieht plötzlich ein ganzes Stück vor seinem inneren Auge, das er dann genau so mit seinem Ensemble umsetzen kann.
Tanz ist Leben – Leben ist Tanz
Der Ballettchef hat selber fast 20 Jahre lang professionell getanzt. Mit zehn Jahren wurde er an einer der renommiertesten Ballettschulen der Welt angenommen, der Bolschoi-Ballett-Akademie in Moskau. Er tanzte am Moscow Classical Ballet und war Solotänzer im Ensemble der Deutschen Oper am Rhein in Düsseldorf. Nach weiteren Engagements in Bonn und Dortmund, wo er erste Assistenzen und Choreografien übernahm, wurde er Chefchoreograf und Ballettmeister in Bremerhaven.

Das Ensemble hat sich in diesen Jahren oft verändert. Am Theater arbeiten derzeit Menschen aus ca. 20 Nationen. Im Ballettensemble tanzen in dieser Spielzeit eine Russin, zwei Ukrainer, eine Kanadierin, drei Italiener, eine Spanierin und eine Taiwanesin. Dass die Harmonie auf der künstlerischen Seite stimmt, ist für Sergei Vanaevs Arbeit unabdingbar. Man arbeitet den ganzen Tag lang sehr körperlich zusammen, daher ist es auch wichtig, dass es menschlich passt. Um alle kreativen Strömungen zu bündeln und zu einem perfekten Endergebnis auf der Bühne zu führen, muss er sein Ensemble genauestens auswählen und zusammenstellen.
Ballettalltag
Die Ballettsprache ist eigentlich Französisch – so funktioniert das Training mit den Positionsbezeichnungen im Tanz über alle Sprachen hinweg. Kommuniziert wird jedoch meist auf Englisch, da dies die Sprache mit dem größten gemeinsamen Nenner ist.
Die zeitgenössische Compagnie beginnt ihre Arbeit jeden Tag mit einem klassischen Training. Die ersten ca. anderthalb Stunden pro Tag dienen dem Aufwärmen und sind stets gleich aufgebaut: Erst das Training an der Stange, es folgen Übungen für die Balance und dann Sprünge. Nach einer 20- bis 30-minütigen Pause werden dann ca. fünf weitere Stunden pro Tag die aktuellen Stücke geprobt, meist unterbrochen von einer einstündigen Mittagspause. Falls am Abend eine Vorstellung angesetzt ist, fällt die Pause am Nachmittag etwas länger aus. Aber natürlich ist das Theater ein Abend- und Wochenendbetrieb – denn nur dann haben die meisten Menschen Zeit für Kulturgenuss. Ferien haben die Tänzerinnen und Tänzer dafür wie fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sechs Wochen lang im Sommer.
Die Tänzerinnen und Tänzer haben neben der Ensemblearbeit an einem Mehrspartenhaus nicht nur ihre eigenen Ballettpremieren, sondern tanzen auch in Opern, Operetten und Musicals mit. Und als Besonderheit steht in Bremerhaven seit nunmehr neun Jahren zum Ende jeder Spielzeit der Tanzabend EGO ZOOMING im TiF – Theater im Fischereihafen auf dem Spielplan. Hier zeigen die Ensemblemitglieder eigene choreografische Arbeiten, die sie z.T. selbst tanzen oder mit ihren Kolleginnen und Kollegen einstudieren. Ein Abend, der mich im vergangenen Jahr bereits total begeistert hat und auf den ich mich in dieser Spielzeit schon wieder sehr freue. Gerade diese kleineren Formate und Nebenprojekte sind es, die den Spielplan des Stadttheaters so besonders machen – wenn auch oft nicht mit weniger Arbeit als eine große Produktion.
Manche der Choreografien aus EGO ZOOMING werden auch bei der großen BALLETTGALA zum feierlichen Abschluss der Spielzeit gezeigt, zu der auch in diesem Jahr wieder hochkarätige internationale Tanzcompagnien eingeladen sind.
Ilario, Jacopo und Lidia proben dafür bereits im Ballettsaal. Eigentlich haben sie heute ihren freien Tag, fangen aber schon an, Ilarios Choreografie für EGO ZOOMING zu erarbeiten. Während Lidia an der Stange ihre Beine dehnt, erzählt sie mir ein wenig von ihrem Ballettalltag.
Es ist Lidias sechste Spielzeit hier am Haus. Die gebürtige Russin tanzt seitdem sie denken kann. Als kleines Kind noch „zum Spaß“, ein bis zweimal pro Woche. Seitdem sie acht Jahre alt ist gehört das tägliche Training zu ihrem Leben. Sie hat eine Ballettschule in Moskau besucht und verbringt oft auch ihre freien Tage im Ballettsaal, um zu proben.
Lidia hat in dieser Spielzeit ihr erstes Stück im JUB! inszeniert und choreografiert. DER IGEL IM NEBEL ist ein Tanztheater für Kinder ab 5 Jahren und nimmt das Publikum mit auf eine Reise zur wahren Freundschaft. DIE BREMER STADTMUSIKANTEN empfehlen wir ebenfalls für Kinder ab 5 Jahren – aber auch für Erwachsene!
Mehr Tanz gibt es bis zum Spielzeitende noch zu sehen in dem zweiteiligen Ballettabend RITUAL (UA) / LE CHAT NOIR und ab dem 8. Juni bei EGO ZOOMING im TiF – Theater im Fischeihafen.
Alle Termine findet ihr unter www.stadttheaterbremerhaven.de.