Wasser ist ein kostbares Gut und für uns heute selbstverständlich. Aber nicht alle Menschen auf der Welt haben jederzeit ungehinderten Zugang zum Wasser. Heute entscheiden sogar Gerichte über mögliche Privatisierung von Wasservorkommen. Das lebensspendende Elixier war auch in Bremerhaven ein Streitthema, und das schon vor über hundert Jahren. Und das ist einer der Gründe für den Bau eines Wasserturms. Ein ganz besonderer seiner Art ist der Wohnwasserturm Wulsdorf.

Ein wenig (Stadt-)Geschichte vorweg. Die 1827 gegründete Seestadt entwickelt sich rasch. Die Versorgung der Bevölkerung stellt eine Herausforderung dar. Die heutigen Stadtteile Lehe und Geestemünde, die eng an Bremerhaven grenzen, sind noch eigenständig. So dicht, wie sie beieinanderliegen, so weit entfernt scheint die Zusammenarbeit. Lehe und Geestemünde gehören zum königlich-preußischen Hannover und Bremerhaven zu Bremen. Daher verfügen alle drei Orte eine eigene Versorgung. Aber keiner der Drei ist finanziell und logistisch auf Dauer in der Lage, dies weiter zu gewährleisten.
Wasser – ein kostbares Gut
1884 beschließt die Stadtverordnetenversammlung den Bau eines Wasserwerks. Die Entscheidung basiert auf der der Wut der Bürger*innen. Durch die Fusion der bis dahin konkurrierenden Wasserlieferanten Eilt und Schwoon, verdoppeln die Anbieter die Wasserpreise. Geestemünde ist unabhängig und bezieht 2.000 m³ Wasser pro Tag aus Bexhövede. Der zuständig Netzbetrieb für Strom-, Gas-, Wasser- und Wärmeversorgung nimmt 1927 den nächsten Wasserversorgungsbetrieb in Wulsdorf in Betrieb. Und das ist nicht nur ein notwendiger Wasserlieferant, sondern auch noch das erste Hochhaus an der Unterweser (Gebiet: Flussabschnitt von Bremerhaven bis Bremen).

Wohnen im Wasserturm
Wulsdorf grenzt an den Fischereihafen an. Dieser wird in den 1920er Jahren ausgebaut. Wasser- und Wohnungsbedarfe steigen in Wulsdorf und dem Fischereihafen rasant. Was liegt da näher, als bei neuen Bau, Wasserturm uind Wohnhaus zu kombinieren? In nur fünfzehn Monaten entsteht 1927 der eckige Stahlbetonbau nach den Plänen vom Stadtbaurat Wilhelm Eduard Kunz und dem Hochbauamtsleiter Heinrich Mangel.

Wasserturm und Betonschiff
Die Baukosten belaufen sich auf 420.000 Reichsmark. Die Firma Paul Kossel & Cie. KG, Beton- und Eisenbetonbau-Unternehmung führt den Bau aus. Der erfahrene Bauunternehmer mit Sitz in Bremen hat Filialen in Geestmeünde und Bielefeld, Braunschweig, Dortmund, Hamburg, Hannover, Köln, Oldenburg, Osnabrück und Wilhelmshaven. Neben Wassertürmen gehören zu den Bauprojekten Rathaus, Friedhof, Kaufhaus, Mühle und vieles mehr. Eins der eigenwilligsten Bauprojekte gehört heute zum Deutschen Schifffahrtsmuseum. Das Betonschiff „Paul Kossel“ ist im Außengelände des Museums zu sehen.

In Zeiten der Stahlknappheit wird auf Stahlbetonschiffe gesetzt, aber trotz kostensparendem Serienbau, Widerstandsfähigkeit des Materials und geringem Pflege- und Reparaturaufwand setzt sich diese Bauweise nicht durch.

Ein avantgardistischer Wohnwasserturm
Der 33 Meter hohe Stahlbetonbau bekommt eine Klinkerverblendung. Die Bauweise ermöglicht es, Innenwände individuell zu setzen. Statt großer Büroräume werden 24 Zwei- und Dreizimmer-Wohnungen geschaffen. Über den Wohnetagen befinden sich der Tropfboden und die Wasserbehälter mit 1.500 m³ Wasser. 1950 bis 1952 entstehen im Dachgeschoss weitere Wohnungen und ein Wäschetrockenboden. Das imposante Gebäude ist nicht nur zweckdienlich, und auch ein Werk avantgardistischer Architektur. Seit 1978 steht der Bau unter Denkmalschutz. Erst 1996 wird er außer Betrieb gestellt. Das Wahrzeichen Bremerhaven-Wulsdorfs ist heute noch bewohnt. Neben dem Schwoon’schen Wasserturm und den Wassertürmen Geestemünde und in der Langener Landstraße ist er der vierte noch erhaltene Wasserturm in der Seestadt.
