Tanker, Kreuzfahrtschiffe, Traditionssegler rollen in einer gigantischen Welle auf die Besuchenden zu – wer die neue Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) betritt, hört in Gedanken sofort Schiffshörner hupen und Planken knarzen und wird direkt an die Pier katapultiert. Ein Tauchgang in fünf maritime Wissenswelten.
Wann immer ich auf das Meer sehe, erspähe ich Schiffe in der Ferne. Gut versetzt zueinander kreuzen sie sich gemächlich. Dass es auf den Ozeanen Stau geben kann wie auf einer Autobahn, erfahre ich in der neuen Dauerausstellung „Schiffswelten – Der Ozean und wir“ im Deutschen Schifffahrtsmuseum. Die Schau im sanierten Bangert-Gebäude verdeutlicht mir Zusammenhänge aus der Fernsicht und zoomt zu Details zwischen Steuerrad und Maschinenraum.
Gleich am Eingang schippern sie im Schwarm auf mich zu und laden zum Staunen und Schiffegucken ein. Das Intro aus mehr als 1.500 Wasserlinienmodellen im Maßstab von 1:1250 macht Eindruck und trumpft mit der ganzen Vielfalt der Schiffe auf.
Eine Schiffsparade begrüßt
Bei dieser Parade kommt mir eine Ahnung, wie sehr unser Leben durch die Wasserfahrzeuge bestimmt ist. Ohne Schiffe gäbe es keine Entdeckung der Kontinente und es wären weit weniger Waren in unseren Supermärkten. Schiffe bestimmen unseren Alltag, faszinieren Alt und Jung, wecken romantische Erinnerungen und verdecken die harte Arbeit an Bord. In dem Schiffsschwarm fahren Fähren neben Containerschiffen und Massengutfrachter hinter Mehrzweckschiffen. Alle Gefährte stammen aus dem 21. und 20. Jahrhundert – doch es lohnt sich, die Reihen genauer zu scannen.
Suchspiel für Aufmerksame
Zwei Ausreißer segeln im Strom mit – zumindest einer davon, ist mir sehr vertraut: Die Bremer Kogge aus dem 14. Jahrhundert, deren Original im Nebenhaus steht, behauptet sich selbstbewusst als Miniatur neben den Großen. In einer Nebenvitrine hat sich eine römische Galeere geschummelt, die noch mit Muskelkraft betrieben wurde. Wer sichtet die beiden historischen Stars in der Hadré-Schiffsmodell–Sammlung? Letztere ist übrigens zum ersten Mal öffentlich zu sehen. Aus den 9.000 Exponaten wurden mehr als 1.500 für die große Parade ausgewählt.
Das Tor zur Werft in den Schiffswelten
Wer es schafft, dem Welthafen den Rücken zuzuwenden, dem stehen fünf Wissenswelten rund um die Themen „Schiffbau„, „Schiffsausrüstung„, „Umwelt„, „Physik“ und „Forschungsschifffahrt“ offen. Das riesige Werfttor lädt dazu ein, nicht nur einen sonst für viele Menschen verborgenen Arbeitsbereich zu erkunden – ich kann in den „Schiffswelten“ sogar bei den ersten Geburtsstunden im Leben eines jungen Schiffes dabei sein. In der DSM-Werft wird mit den Dimensionen gespielt – inmitten des rostroten Industrie-Charmes fühle ich mich winzig. In der Werft wird gehämmert, geschweißt und genietet – wahre Schwerstarbeit steckt in der Konstruktion eines Schiffes. Und wer hat schon eine Vorstellung davon, wie groß die heutigen Kreuzfahrtliner und Containerschiffe sind? So groß, dass ich den Kopf in den Nacken legen muss.
Ein Skandal und Bananenfett
Im letzten Werftabschnitt wird es feierlich. Der Stapellauf und die Taufe sind prestigeträchtige Ereignisse, bevor es auf See geht. An der Medien-Station ist Platz für ungewöhnliche Side-Facts. Zur Taufe der Kaiserlichen Rennjacht METEOR III sollte am 25. Februar 1902 in New York eigentlich der deutsche Söhnlein-Schaumwein „Rheingold“ verwendet werden. Ein Champagner-Importeur tauschte die Flasche heimlich gegen einen französischen Champagner von Moët & Chandon aus und löste damit einen regelrechten Skandal aus, erfahre ich dort.
Wenige Meter schaue ich auf einen Topf mit einer weichen Masse: Stapellauffett. Es ist wichtig, damit das Schiff gut ins Wasser gleiten kann. Im Zweiten Weltkrieg war in den USA Fett zeitweise ein rares Gut. So auch, als 1941 die SS CAPE LOOKOUT vom Stapel laufen sollte. Um die Ablaufbahn zu schmieren, fetten die Arbeiter sie mit knapp drei Tonnen Bananen ein.
Alle an Bord
In der Mitte des Bangert-Bau behauptet sich das 34 Meter lange Forschungsschiff – in jeder Hinsicht ein Exponat der Superlative. Eigens gebaut für die Ausstellung ist es das erste Schiff, das im Museum getauft wurde und seither DSM EXPLORER heißt. Auf drei Decks gibt es für mich enorm viel zu entdecken. Im Laborcontainer kann ich Bohrkerne untersuchen, ein Schiff beladen und in der Lauschecke privaten Momenten von Forschenden zuhören, die an Bord der POLARSTERN waren. Unbedingt erlaubt ist der Blick in das Tagebuch von Kapitän von Fritz Spieß. Ich erfahre wie es war, als er 1925 nach dem Tod des Expeditionsleiters Alfred Merz in dessen Position nachrückte und fortan bis 1927 für die Deutsche Atlantische Expedition mit der METEOR verantwortlich war.
Früher Schildkrötenrennen – heute Yoga
Wie waren Forschungsexpeditionen früher und wie sind sie heute? An der Medien-Station an Deck kommt leicht digitaler Seegang auf, als ich versuche, die schwankenden Bilder zu verstehen. Ich sehe Aufnahmen und historische Fotografien der vier wichtigen deutschen Forschungsexpeditionen: Gemeint sind die Expeditionen mit den Schiffen GRÖNLAND (1868), der VALDIVA (1898-1899) und der METEOR (1925-1927) sowie die MOSAIC-Expedition (2019-2020) mit dem Eisbrecher POLARSTERN. Innerhalb von mehr als 150 Jahren Forschungsschifffahrt hat sich einiges geändert, beispielsweise das Leben an Bord: Früher vertrieb sich die Crew die Zeit unter anderem mit Schildkrötenrennen. Heute gibt es auf der POLARSTERN für die wenigen freien Stunden ein Solarium, Fitnesscenter und ein Schwimmbad. Von der POLARSTERN-Crew ist via Video zu erfahren, dass Chöre und Bands gegründet wurden und Eisbaden am Nordpol eine besondere Ablenkung ist.
Mit Flaggen grüßen
Wieder von Deck wage ich nun einen Wissenstauchgang in die Bereiche „Ausrüstung“, „Physik“ und „Umwelt“. In diesen Bereichen lerne ich, welche Form ein Schiff haben muss, um schwimmfähig zu sein. Welche Art von Segel ich nutzen kann und was ich in Seenot tue. Witzig: In einer der Familienkisten, die verstreut in jedem Bereich stehen und vor allem junge Gäste animieren, maritim kreativ zu werden, stecken zwei gelb-rote Flaggen. Mit ihnen und dem Flaggen-ABC kann ich ganz ohne Worte „moinen“ und vor allem außerhalb der Hörweite grüßen. Ein Mädchen hat sich von der Nachbarbox schon auffordern lassen, eine Galionsfigur zu zeichnen. Daneben tätowiert ein Mädchen den Arm ihres Bruders vorsichtig. Ein Vater versucht sich mit seinem Sprößling darin, Seemannsknoten zu binden.
Rendezvous mit Martha
Apropos Galionsfiguren: Sie galten lange als fester Ausrüstungsgegenstand von Schiffen und dürfen in der Ausstellung natürlich nicht fehlen. Galionsfiguren – häufig Frauen oder starke Tiere – sollten Unheil und Gefahren abwehren. Die große DSM-Sammlung wird in den Schiffswelten von Martha vertreten. Sie ist neben dem Forschungsschiff das zweite im Museum getaufte Exponat. Als Beifund aus dem Meer gefischt, kam sie schiff- und namenlos ans Haus. Das Museumsteam gab ihr den Namen Martha und einen neuen Heimathafen in den Schiffswelten.
Energiebündel aus der Tiefsee
Das Wissenshighlight in dem Bereich „Umwelt“ ist für mich die Info zur Manganknolle. Nur faustgroß und schwarz-braun lenkt die Tiefseeperle mit verblüffender Unscheinbarkeit von sich ab, denn: Die kleinen Ressourcenkugeln haben es in sich und sind begehrt. Wir alle nutzen Smartphones und Laptops ganz selbstverständlich, wissen aber nicht wirklich, dass für deren Herstellung seltene Edelmetalle benötigt werden, die in hochkonzentrierter Form in den Kügelchen vorkommen. Sie wachsen am Meeresgrund und wecken Begehrlichkeiten. Noch hat der Tiefseebergbau nicht begonnen, doch der Meeresboden ist bereits aufgeteilt unter den großen Nationen. Deutschland hat ein Feld zwischen Mexiko und Hawaii.
Botschaft in See stechen lassen
Menschen leben seit jeher vom Fischfang aus dem Meer, aber holen wir nicht zu viel aus dem Wasser? Die Idee des Tiefseebergbaus und das rostige Scherbrett lassen mich nachdenklich werden. Drei Meter hoch ist die Vorrichtung, die in den Hunderte Meter langen Fischfangnetzen nur ein kleines Puzzle darstellt und sie offenhält. Was geben wir dem Meer eigentlich zurück, um das ökologische Gleichgewicht zu bewahren? Bisher nicht viel. Im Gegenteil, wir lassen zu viel dort, was nicht ins Meer gehört. Neben Mikroplastik verseuchen Weltkriegsmunition am Grund der Nord- und Ostsee die Unterwasserwelt.
Was wünsche ich mir also für das Meer? Nach der Expedition durch die Wissenswelten kann ich an einer Station ein Papierschiffchen basteln, meinen Wunsch reinschreiben und es symbolisch in See stechen lassen auf der Fensterbank des Bangert-Baus. Die Flotte soll stetig wachsen. Welchen Wunsch habt ihr?
14. bis 18. August: Maritime Tage im DSM mit Wassersport und Yoga
24. Augsut: Radrennen an Bord der Seefalke
Weitere Informationen: www.dsm.museum/kalender
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