Ich bummel für mein Leben gern durch die Straßen. Und immer wieder führt mich mein Weg in der Langen Straße vorbei am Hotel Columbus. Das rostrot gestrichene Haus sieht so ganz anders aus als die modernen Neubauten in den Havenwelten. Kein Wunder, denn es stammt aus dem letzten Jahrhundert. Was verbirgt sich wohl für eine Geschichte hinter diesem Hotel? Neulich wurde meine Neugier endlich gestillt, denn ich traf mich mit Kai Heuer, der dritten Generation des Hotelgründers Helenus Lübben. Gespannt betrete ich das Haus!
Ein Haus mit Geschichte
Kai empfängt mich in der Columbus Lounge mit den roten Samtmöbeln. Wow, das sieht man heute nicht mehr allzu oft. Gemütlich sinke ich in das Sofa ein und lauschen Kais Erzählungen.
Der Stolz des Norddeutschen Lloyd
Im April 1924 lief die „Columbus“, der Stolz des Norddeutschen Lloyds, vom Stapel. Künftig sollte sie als Flaggschiff der Reederei zwischen Bremerhaven und New York verkehren. Mit 21,5 Knoten und 236 Metern Länge war sie seinerzeit das schnellste und größte Schiff der Handelsflotte und bot Platz für 1.889 Passagiere. Auf Grund der sinkenden Auswandererzahlen wurde sie bald als Kreuzfahrtschiff eingesetzt, das besonders bei den Amerikanern sehr beliebt war.
Muss i denn…
Die Bordkapelle spielt diesen Evergreen von Elvis Presley als die „Columbus“ am 20. Juni 1939 Bremerhaven verlässt. Keiner der an Bord Befindlichen ahnt zu diesem Zeitpunkt, dass der stolze Kreuzliner zu seiner letzten Fahrt in See sticht. Unter ihnen befindet sich auch Helenus Lübben, der leitende Obersteward aus Wesermünde, dem heutigen Bremerhaven. Kai erzählt mir, dass Helenus der Großvater seiner Frau Sabine ist.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges
Auf der Kreuzfahrt durch die Karibik gerät der deutsche Kreuzliner im Spätsommer 1939 in den Zweiten Weltkrieg. Eine Rückkehr nach Bremerhaven ist damit ausgeschlossen. Kapitän Wilhelm Dähne nimmt Kurs auf Kuba, wo er die Passagiere von Bord lässt. Die Mannschaft bleibt an Bord. Unter ihnen auch Helenus, obwohl er jetzt nicht mehr als Steward für die Gäste benötigt wird. Anschließend setzt der Kapitän seine Fahrt fort mit Ziel Vera Cruz (Mexiko), wo das Flaggschiff des Norddeutschen Lloyd acht Wochen vor Anker liegt. Ich stelle mir diese lange Wartezeit zermürbend vor. Praktisch eingesperrt auf einem Schiff, vor Anker liegend in einem fremden Land mit der Frage „wohin können wir?“.
Durchbruch wagen
Der Kapitän steht vor einer schwierigen Entscheidung. Verlässliche Informationen hat er nicht. Als Hauptverantwortlicher muss er eine Wahl treffen. Am 12. Dezember teilt er seiner Mannschaft mit, dass er den Durchbruch nach Deutschland wagen will. Am 14. Dezember lässt er die Leinen losschmeißen und tritt die riskante Fahrt gen Heimat an.
Das bange Hoffen
Doch der Ozeanriese bleibt nicht lange allein und wird von einem Zerstörer gejagt und von amerikanischen Kriegsschiffen beschattet. Ich stelle mir vor, wie die Mannschaft immer wieder ängstlich an Deck stehend Ausschau hält. Die Verfolger treiben die „Columbus“ den Briten in die Arme. Nach viertägiger Verfolgsfahrt nimmt der britsche Zerstörer „Hyperion“ das Schiff ins Visier. Ich kann mir kaum vorstellen, wie verzweifelt der Kapitän nach einem Ausweg gesucht haben muss. Gleichzeitig muss er die Fassung vor seiner Mannschaft wahren, um keine Unruhe ausbrechen zu lassen. Und was mag die Besatzung in dieser Zeit für Sorgen und Ängste ausgestanden haben? Mitten auf dem Atlantik, weit weg von jedem Land in der Unterzahl gegenüber einer Übermacht?
Die Sonne trügt
Der 19. Dezember ist ein sonniger Tag. Die See ist spiegelglatt. Doch der friedliche Schein trügt. Die „Hyperion“ nimmt die „Columbus“ unter Beschuss. Die Geschützraketen blitzen grell auf. Bedrohlich hört die Besatzung die Feuersalven. Geschütze schlagen nahe des Schiffes ein und lassen das Wasser hoch aufspritzen. Todesangst setzt ein! Die Briten fordern die „Columbus“ zum Stoppen auf. Was in diesem Fall zu tun ist, ist allen an Bord klar. Schiff in Brand stecken und versenken. Kapitän Wilhelm Dähne gibt den Befehl, alle Seeventile zu öffnen. Mitten auf dem Ozean versenkt er eines der nobelsten und elegantesten Kreuzfahrtschiffe der Welt in 4.000 Meter Tiefe.
Rette sich wer kann
Rettungsboote werden zu Wasser gelassen. Menschen hängen außenbords an Strickleitern. Drei Heizer schaffen es nicht, den Flammen zu entkommen. Als letzter verlässt der Kapitän das sinkende Schiff. Auch Helenus versucht verzweifelt sein Leben zu retten. Was müssen sich für Szenen an Bord abgespielt haben? Versuchte die Mannschaft zivilisiert von Bord zu gehen oder brach Panik aus? Ich mag es mir nicht ausmalen! Helenus erreicht eines der Rettungsboote, doch was dann? Ein amerikanischer Kreuzer nimmt die Schiffbrüchigen an Bord und bringt sie nach Ellis Island, von wo aus sie später nach Angel Island kommen.
Was geschieht mit uns?
Ein Großteil der Besatzung kehrt 1940 über San Francisco, Japan und Sibirien in die Heimat zurück. Nicht so Helenus. Die Amerikaner erkennen sein Sprachtalent. Er spricht fünf Sprachen fließend, was sich als großer Nutzen für die Botschaft erweist. Helenus bleibt bis zum Ende des Krieges in Tokio und kehrt erst 1947 mit einem Gefangenentransport nach Bremerhaven zurück.
Das Wohl des Gastes im Blick
Einst war Helenus an Bord eines modernen Kreuzliners ausgelaufen, um den Schiffsgästen unvergessliche und komfortable Aufenthalte zu bereiten. Der Weltkrieg macht auch vor der „Columbus“ nicht halt. Das Schiff, an dem Menschen einen unvergesslichen Urlaub erleben sollen, wird zum vom Feinden gejagten Schiff. Am Ende verliert die „Columbus“ das Rennen und wird versenkt. Jahre später kehrt Helenus in seine Heimat zurück, in der nichts auf ihn wartet.
Step by step
Er lässt sich in der Langen Straße nieder, wo er ein Zimmer untervermietet. 1950 kommen zwei weitere Zimmer hinzu. Serviceorientiert wie er ist, fällt es ihm leicht, die Wünsche und Bedürfnisse der Gäste aufzuspüren, die sich wohlfühlen sollen. Bald steigt die Nachfrage nach Zimmern. Helenus kann das heutige Hotel Columbus als Pensionsbetrieb eröffnen. Wie seinerzeit üblich, gibt es neben den Gästezimmern Gemeinschaftstoiletten und -waschräume. Leichtsinnig ist Helenus nie. Daher baut er den Pensionsbetrieb immer nur dann Stück für Stück aus, wenn ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Das Verhältnis zur Nachbarschaft und Geschäftsleuten in der Langen Straße ist gut. Alle schätzen seine Zuverlässigkeit. Mit dem Ausbau des Beherbergungsbetriebs schafft Helenus auch wichtige Arbeitsplätze. Helenus hat nicht nur das Wohl des Gastes im Auge, sondern auch das seiner Angestellten. Diese bleiben dem Betrieb jahrelang treu.
Wie der Vater so der Sohn
Helenus Sohn Claus tritt in die Fußstapfen seines Vaters, der im Mai 1950 verstirbt. Er übernimmt den Betrieb. Und auch er fährt vorher zur See. An Bord arbeitet er als Koch. Ebenso wie sein Vater ist er umsichtig. Das von der Pension zum Hotel umgewandelte Haus wird stets gepflegt. Und Investitionen werden immer dann getätigt, wenn das Geld vorhanden ist. Die Familie ist von jeher darauf bedacht, Werte zu erhalten. Riskante Spekulationen sind hier fehl am Platz. Es gilt unter anderem, die Arbeitsplätze der Angestellten zu sichern. Als gelernter Koch kommen die Kochkünste nicht nur den Gästen zu Gute, sondern auch dem Personal beim gemeinsamen Mittagessen.
Die dritte Generation
Aus der Ehe mit seiner Frau Marianne gehen die beiden Töchter Claudia und Sabine hervor. Beide treten in die Fußstapfen der Eltern und werden zu Hoteliers. Claudia führt ein Haus in Zeven. Ihre jüngere Schwester Sabine führt das Hotel Columbus viele Jahre gemeinsam mit ihrem Vater weiter und baut es aus. Claus Lübben verstirbt 2019. Sabine und ihr Mann führen das Haus im Sinne ihrer Vorfahren mit viel Liebe weiter. Heute verfügt das traditionsreiche Haus mit dem individuellen Charakter und vielen Erinnerungsstücken der Familie über 40 Zimmer. Die Gäste schätzen das Persönliche. Hier wird jeder Gast mit seinem Namen angesprochen. Das Personal kennt die Vorlieben seiner Stammgäste und der Kaffee wird hier noch im Silberkännchen serviert. Zeugnisse der Gästezufriedenheit sind in den Fluren zu lesen. Hier hängen zahlreiche Dankesschreiben von Geschäftsreisenden und Urlaubern, die alle gern wiederkommen.
Wer auch einmal im Hotel Columbus übernachten will, kann gleich hier buchen.
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