Deutsch, amerikanisch, israelisch-palästinensisch, philippinisch, polnisch und flämisch sind einige Nationalitäten, die bei den Mitarbeitern im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven vertreten sind. Jeder einzelne bildet einen kleinen Teil, der das Team des einzigen Migrationsmuseums in Deutschland vervollständigt. Anlässlich des Internationalen Tages der Migration am 18. Dezember 2017 möchte ich heute mehr dazu erfahren, wie das Deutsche Auswandererhaus zum Migrationsmuseum geworden ist, und einen Blick hinter die Kulissen werfen. Dafür spreche ich mit Dr. Simone Eick. Sie ist seit 2006 Direktorin des Deutschen Auswandererhauses Bremerhaven und selbst studierte Migrationshistorikerin – Das Interview führte Elena Klein.
Frau Dr. Eick, das Deutsche Auswandererhaus ist das erste Migrationsmuseum in Deutschland. Als das Museum im August 2005 eröffnet wurde – war es da schon ein Museum zum Thema Migration? Wie und wann ist es zu einem solchen geworden?
Nein, 2005 war es noch kein Migrationsmuseum. Das war noch vor der Debatte, die wir nach der „Flüchtlingskrise“ hatten und vor der Debatte, die durch das Sarrazin-Buch ausgelöst wurde. Das eine oder andere Mal hörte man schon den Satz, Deutschland sei ein Einwanderungsland, aber das war überhaupt noch kein Konsens. Was wir damals gedacht haben ist, dass wir die Geschichte der deutschen Überseeauswanderung als Folie nehmen, um den Leuten zu erklären, dass es immer die gleichen Ursachen für Menschen gibt, die Entscheidung zu treffen: Ich verlasse meine Heimat.
Aus- und Einwanderung zu einer Einheit verbinden
Hat Ihre Überlegung, die deutsche Überseeauswanderung als Folie zu nutzen, den gewünschten Effekt erzielt?
Nicht wie gewünscht: Zum einen scheint die deutsche Überseeauswanderung für die Menschen weit weg. Dabei denken sie an das 19. Jahrhundert. Die meisten wissen gar nicht, dass bis heute über 100.000 Deutsche jedes Jahr auswandern. Hier findet eine Romantisierung statt, weshalb die Auswanderung immer als Erfolgsgeschichte scheint. Die Einwanderungsgeschichte nach Deutschland wird hingegen nicht als Erfolgsgeschichte betrachtet. Mit den Auswanderern identifiziert man sich gerne und mit den Einwanderern hat man gewisse Schwierigkeiten. Es gibt Gruppen, da funktioniert das besser, wie beispielsweise bei den Hugenotten oder den Italienern. Dann gibt es andere, die ziemlich viele rassistische Vorurteile haben, zum Beispiel gegenüber Türken oder den Russlanddeutschen. Da haben wir gemerkt: Wir brauchen einen zweiten Ausstellungsteil zum Thema Einwanderungsgeschichte.
Eben klang es bereits kurz an: Derzeit zeigt das Museum die Geschichte der Auswanderung von den Mennoniten aus Krefeld, die 1683 aus dem deutschen Gebiet auswanderten, und ab den Hugenotten aus Frankreich, die als Glaubensflüchtlinge seit 1685 nach Brandenburg einwanderten. Lassen sich hier zwischen den Ausstellungsteilen Brücken schlagen?
Diese zeitliche Überschneidung führt bei vielen Besuchern zu einem Überraschungseffekt: „Ach, das wusste ich jetzt gar nicht, das mit den Hugenotten und das mit den Pietisten“. Wir haben versucht, mit dem Einwanderungsteil einen Moment zu schaffen, nämlich 1973 in einer Ladenpassage, wo man Spuren von Einwanderung findet. Doch wir bleiben nicht nur im Jahr ´73, sondern zeigen dort Objekte, die bis ins Jahr 2015 reichen, aber eben auch zurück bis 1709. Der Brückenschlag sind unsere Biographiepaare. Der Besucher wird von einer Geschichte an die Hand genommen und durch das Museum geführt.
Wieso hat man sich bei der Konzeption für einen biographiegeleiteten Ansatz entschieden? Was sind die Vorteile und vielleicht auch manchmal die Nachteile davon?
Das Hauptproblem ist für Historiker eigentlich immer, wenn sie Biographie- und Alltagsgeschichte betreiben – dass man durch die Brille eines Einzelnen nur einen sehr begrenzten Blick auf die Ereignisse werfen kann und dass man die gesellschaftlichen und politischen Ursachen dieser einen Biographie nicht überstülpen kann. Das heißt, dass man sich als Besucher in einem begrenzten Zeitraum bewegt, also meinetwegen 1880 bis 1914, damit man die politischen und gesellschaftlichen Ursachen für diesen Zeitraum mitbekommt. Auf der anderen Seite sind die Vorteile, dass die Leute sehr schnell anfangen, sich mit den sie begleitenden Biographien zu identifizieren. Das funktioniert besonders bei Kindern, die stehen im Foyer und sagen soetwas wie:
„Ich bin Carl, wer bist du?“.
Als wir das Ganze konzipiert haben, haben wir intensiv diskutiert: Wen nehmen wir? Uns war klar, dass wir Geschichten brauchen, die einen besonderen Dreh haben: Wo ist dieser Aha-Moment? Zum Beispiel bei Carl Laemmle, einem gelernten Kaufmann, der von Laubheim nach New York ging, war es nicht abzusehen, was passiert. Er war einer von vielen, vielen jungen Männern, die in diesem Zeitraum rübergegangen sind. Der Aha-Moment bei ihm, dass er 1901 das erste Mal ins Kino geht, total geflasht ist, und anfängt, eine Kinokette aufzubauen. Es müssen ja nicht immer die Universal Studios in Hollywood wie bei Laemmle sein, aber es gibt auch kleine Überraschungsgeschichten.
Im Erweiterungsbau ist der Besucher selbst dazu angehalten, auf Entdeckungstour zu gehen und anhand eines kleinen Heftchens nach Erinnerungsobjekten zu suchen, die etwas mit einer eingewanderten Person zu tun haben. Welcher Sinn verbirgt sich dahinter?
Die Idee ist, dass man vom geführten Besucher zum wieder selbstständigen Bürger dieses Landes wird. Dass man mit offenen Augen durch die Welt geht und sieht: Es gibt überall Spuren von Einwanderung in Deutschland. Dass man wieder aus der passiven Rolle des Museumsbesucher heraustritt und sagt: „Okay, es ist sehr offensichtlich, dass dieses Land ein Einwanderungsland ist!“ – man muss nur genau hingucken. Manchmal aber auch nicht. Wenn man im Supermarkt vor der Nudelpackung mit „Mirácoli“ steht, dann ist klar: Irgendwie haben wir etwas mit Italien zu tun.
Passend zum Internationalen Tag der Migranten am 18. Dezember gibt es am Ende des Rundgangs einen Bereich mit dem Titel „Studio Migration“. Wieso trägt dieser Ausstellungsraum diesen Namen und was kann der Besucher dort entdecken?
Der Name ist Programm. Neben einem Aufnahmestudio soll sich der Raum in Zukunft so entwickeln, dass „Studio“ auch ein Ort ist, wo man etwas ausprobieren kann. Wir machen derzeit Besucherbefragungen und dort warten zwei Wissenschaftler und sprechen mit den Besuchern – das kommt sehr gut an. Jetzt gerade beispielsweise zum Thema AfD. Da ist ein Bedürfnis, sich auszutauschen und wir wollen einen Raum schaffen, wo man angstfrei über etwas reden kann. Ein Museum ist glaube ich ein ganz guter Ort, denn im Museum fühlt man sich geborgen. Und dann planen wir, den Besucher noch mehr aufzufordern, uns teilhaben zu lassen, an dem, was sie denken: Wie findet man es zum Beispiel, dass man im Alter von einer nicht-deutschsprechenden Pflegekraft gepflegt wird? Auf der anderen Seite läuft jetzt ein Tandemprojekt, wo wir Deutsche, die syrische Flüchtlinge begleiten, gemeinsam interviewen. Wie hat das eure Sicht auf euer Land verändert? Was denkt der Deutsche jetzt über Deutschland, wenn er es die ganze Zeit dem Syrer erklären muss?
Wenn Sie es knapp zusammenfassen müssten: Wieso sollten die Menschen ein Museum zum Thema Migration wie das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven besuchen?
Weil es unsere Geschichte ist, egal, ob ich deutsch bin oder nicht. Alle, die hier in diesem Land, in den Grenzen dieses Landes leben: Es ist Teil ihrer Geschichte.
Schreibe einen Kommentar