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Warum ist das ein Kunstwerk? Darum!

Und das soll Kunst sein? Was macht Kunst aus? Und wann ist ein Kunstwerk ein Kunstwerk? Mit diesen Fragen wurden wohl schon so einige Museumsführer […]

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20. Mai 2020
6 min Lesezeit

Und das soll Kunst sein? Was macht Kunst aus? Und wann ist ein Kunstwerk ein Kunstwerk? Mit diesen Fragen wurden wohl schon so einige Museumsführer und Galeristen konfrontiert. Einige geraten in Erklärungsnot und greifen irgendwann auf die bekannte Aussage „Kunst kommt von Können“ zurück. Ich habe gelernt, dass es nicht auf alles eine passende Antwort gibt und das mit dem Richtig oder Falsch erschwert die Sache deutlich. Warum Kunst nicht unbedingt von Können kommt, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich versuche es dennoch. 

Kunst?

Die elementaren Kunstfragen werden nicht nur denen gestellt die beruflich in der Kunstwelt unterwegs sind, sondern auch denjenigen, die voller Enthusiasmus in Kunstaustellungen gehen. Selten besuche ich alleine in Kunstvereine, Galerien oder Museen, meistens schleppe ich jemanden aus meinem Freundeskreis oder ein Familienmitglied mit. Es dauert in der Regel nicht lange bis ich höre: „Das kann ich auch!“ 

Das kann ich auch!

Manchmal ergeht es mir nicht anders. Der Gedanke taucht auf, wenn ich im Museum vor einem Stapel blauer Bücher stehe. Oder vor zerrissenen Leinwänden. Oder vor einem angelehnten Garagentor, das in einem Baumarkt keine Kunst, sondern ein einfaches Garagentor ist. Dann heißt es: gedanklich herantasten. Was sehe ich wirklich? Daher gebe ich auf den Spruch „Das hätte ich auch machen können“ zwei mögliche Antworten und beide sind jedes Mal ein Stimmungskiller.

Erstens: „Es war nicht deine Idee.“

Meine erste Antwort lautet reflexartig „Hast du aber nicht gemacht“. Die Kunstgeschichte funktioniert hier nämlich wie das Patentamt: Wer eine Idee hat und sie realisiert, der hat es erfunden. Wenn ein Künstler nun etwas neu definiert, dann ist alles was dem gleicht eine Imitation. Dabei ist völlig egal, ob etwas schwierig oder einfach war. Kunst wäre nicht Kunst wenn es nicht auch hier eine kunsthistorische Ausnahme gäbe: die Künstlerin Elaine Sturtevant. Sie sah, wie Andy Warhol das Gesicht von Marilyn Monroe auf ganz viele Bilder druckte und dachte: Das kann ich auch! Und machte es ihm nach. Andy Warhol war von der Künstlerin so beeindruckt, dass er ihr dafür sogar sein Drucksieb lieh. Sturtevant machte also genau das Gleiche, und trotzdem etwas völlig Neues. So dreist hatte vorher noch niemand die Kopie zum Kunstwerk erklärt. Und weil Elaine Sturtevant es gemacht hat, kann sowas natürlich nicht wiederholt werden.

Warum es nicht deine Idee war

Lange war das anders. Die Römer haben die Statuen der Griechen kopiert. Im Mittelalter malten eigentlich alle das Gleiche. Kunst kam damals von Können. Auch in der Renaissance, einer Zeit, in der ein Künstler ein Universalgenie sein sollte. Der Wandel kam als die Künstler nicht mehr ausschließlich nur für die Kirche oder ein Königshaus arbeiteten. Plötzlich konnten sie malen und erschaffen, was sich verkaufen ließ. Es gab keine festen Regeln mehr. Ein gutes Beispiel hierfür: Anfang des 20. Jahrhunderts malte Kasimir Malewitsch mehrfach ein schwarzes Quadrat und Marcel Duchamp stellte einen Flaschentrockner in die Galerie. Jeder konnte seine eigenen Regeln aufstellen und es kam nicht mehr unbedingt auf das Handwerk an.

Schwarzes Quadrat im Notizblock, schwarzer Farbstift auf Bütten, 2020.
Dies ist meine Interpretation von Malewitsches schwarzem Quadrat. Eine gelungene Kopie. Leider, war es nicht meine Idee. (c) Kim Rothe

Der Künstler entscheidet

Jedes Jahrhundert hat seine Regelbrecher. Ich gebe zu, es lässt sich schwer über ein schwarzes Quadrat diskutieren. Ansätze dafür wären wie treffend hier die Wirklichkeit abgebildet oder wie virtuos der Farbauftrag ist. Ein Quadrat in Schwarz kann eigentlich jeder malen. Der aufmerksame Betrachter der Quadrate wird jedoch feststellen, dass keines dem anderen gleicht und es in Wirklichkeit auch nicht gleichschenklig ist. Bei einem Flaschentrockner gestaltet sich das schon viel schwieriger. Es ist ein Gebrauchsgegenstand, der allein durch die Wahl des Künstlers in den Rang eines Kunstwerkes erhoben wird. Dieses Thema füllt ganze Bücher. Entscheidend ist hier die Idee und die naive Umsetzung. Weil sie so gearbeitet haben wie niemand vor ihnen, befinden sich die meisten Werke heute im Museum. Genauso verhält es sich mit einem Garagentor. Nicht das Kunstwerk zeigt das Garagentor, sondern das Garagentor zeigt das Kunstwerk. Ja ich weiß, es wird komplexer. Aber eine Antwort kommt noch.

Ausstellungsraum im Kunstmuseum Bremerhaven in der 3 Etage. Links an der Wand steht das Garagentor von Andreas Slominski mit dem Titel Neighbourhood aus dem Jahr 2013.
(c) Kim Rothe

Zweitens: „Nein, das kannst du nicht!“

Warum nicht? Wie soll es ich schonend ausdrücken: du bist halt kein Künstler! In meinem Freundeskreis ist es zumindest keiner. Wie ich versucht habe zu erklären: der Künstler entscheidet was Kunst ist, was Marcel Duchamp an seinem Flaschentrockner ausdrucksvoll bewiesen hat. Durch ihn sind schließlich die Ready-Mades entstanden. Es folgt die Frage, wer entscheidet, wer ein Künstler ist. Das tun Kunstexperten. Warum können sie das entscheiden? Weil wir ihnen vertrauen. Lasst es mich erklären.

Warum du es nicht kannst

Vor einigen Jahren habe ich einen Text in einer Fachzeitschrift gelesen, der mich bis heute hinsichtlich dieses Themenfeldes geprägt hat. Leider weiß ich nicht, wer ihn verfasst hat, aber er hat die Welt der Kunst wie folgt beschrieben: Kunstwerke haben ihre eigene Sprache. Sie kommunizieren nicht nur mit ihren unmittelbaren Betrachtern, sondern auch untereinander. Mit Werken, die es vor ihnen gab und mit jenen, die es in Zukunft durch sie geben wird. Der Autor stellt sich vor, dass sich Kunstwerke wie Bewohner einer sehr großen Stadt verhalten. Sie leben und kommunizieren, einige beeinflussen sich untereinander und andere nicht. Als Betrachter tauchst du in diese Welt ein und je länger du dich dort aufhältst, lernst du dich in ihr zu bewegen, dich in ihr richtig zu verhalten. Durch deine Auseinandersetzung mit den Werken erlernst du auch deren vielseitige Sprachen. Und das alles macht dir als Betrachter deutlich, dass die Welt in der du lebst, nur eine von vielen möglichen ist. Durch neue Sichtweisen erhältst du die Freiheit eigene Ideen zu entwickeln und wählen zu können, welches Lebensmodell du verfolgen möchtest. Wenn du an diesem Punkt angelangt bist, erkennst du auch diejenigen, die nur so tun als ob. Wie im menschlichen Dasein sind es oft die Menschen, die sehr viel reden, ohne wirklich was zu sagen. Und so reden, wie alle anderen.

Eine andere Ansicht. Schriftzug des Kunstmuseums auf dem Boden im Foyer. (c) Kim Rothe

Meine Sicht der Dinge

Das war meine Sicht auf die Dinge, auf die Kunstwerke und meine Reaktion auf die Aussage: Das kann ich auch! Mit mir ins Museum zu gehen ist vermutlich nicht immer leicht. Aber die Welt der Kunst ist so komplex wie einzigartig. Und ehrlich: einfach kann doch Jeder?! Als letztes möchte ich euch noch ein Beispiel geben, das etwas ganz Besonderes aussehen kann, als hätte es jeder machen können.

Zum Ende ein Kunstwerk

Félix González-Torres hat ein Werk geschaffen, das im Prinzip jeder überall aufbauen kann: Kauft ganz viele Bonbons und schüttet sie auf einen Haufen. Ziemlich simple oder? Oder auch nicht. Einige Museen haben diese Idee übernommen. Allerdings mussten sie den Künstler vorher um Erlaubnis fragen und dafür Geld bezahlen. Von den Bonbons darf sich jeder (Museums-)Besucher so viele mitnehmen, wie er möchte. Denn sie werden immer wieder aufgeschüttet. Da das Gesamtgewicht der Inszenierung die wichtigste Rolle spielt. Sie alle zusammen müssen soviel wiegen wie der Partner von Félix González-Torres, der zum Zeitpunkt der Erstausstellung an Aids erkrankt war. Es ist eigentlich ein ganz einfaches Kunstwerk, aber es ist voller Liebe und Trauer.

Neugierig geworden? Mein Tipp: Besucht das Kunstmuseum und die Kunsthalle in Bremerhaven doch einfach mal und findet selbst eine Antwort auf die Eingangsfrage oder stellt einfach Neue.

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Informationen zu den Ausstellungen in der Kunsthalle und im Kunstmuseum: www.kunstverein-bremerhaven.de

Standorte: Kunstmuseum Karlsburg 1 und Kunsthalle Karlsburg 4.

Die Kunsthalle ist nur während der Ausstellungen geöffnet.

Das Kunstmuseum
Dienstag bis Freitag, 11 bis 18 Uhr
Samstag, Sonntag und an Feiertagen, 11 bis 17 Uhr

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Kim Rothe

Assistentin der Geschäftsführung, Hotels Adena und Amaris.

Ohne das leise Poltern des Hafens fühle ich mich nicht heimisch. Meistens sind es die Kleinigkeiten, die eine Stadt und das Leben in ihr ausmachen.

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