Freiwilligendienst im Historischen Museum kann eine spannende Sache sein. Leon von Hassel und Paul Rohde erleben das gerade. Sie konnten sogar Ausstellungen machen. „Keine Selbstverständlichkeit“, sagt Museumsdirektor Kai Kähler und freut sich gleich über zwei sehenswerte Ergebnisse.
Freiwilligendienst im Museum
Museen sind aufregend, oder? Ich selber entdecke bei jedem Besuch in einem Museum irgendetwas Neues, das ich dann so interessant finde, dass ich unbedingt mehr darüber erfahren möchte. Es ist fast so etwas wie eine Sucht, die Bildung schafft und meinen eigenen Horizont nachhaltig erweitert. Manchmal stolpere ich bei meinen Besuchen in Museen auch über Ausstellungsstücke, die so alt, schön oder so bemerkenswert sind, dass ich dann alles andere um mich herum vergesse und sofort auf „Zeitreise“ gehe. Ich mag das. Was für ein Glück also, dass ich in einem Museum arbeite. Dann auch noch in einem, das immer wieder abwechselnde Sonderausstellungen zeigt, die zwar alle einen historischen Bezug haben aber dennoch ganz unterschiedlich sein können. Da lernt man nie aus.
Empfehlenswerte Ansichten
Aktuell sind dort beispielsweise zwei Ausstellungen zu sehen, die nicht nur wegen ihrer tollen Exponate sehr zu empfehlen sind, sondern auch wegen ihrer „Macher“. Sie wurden nämlich von jungen Menschen gestaltet, die in unserem Museum ihren Freiwilligendienst absolvieren. Zum Umfang eines solchen Dienstes gehört ein selbst erarbeitetes Projekt. Was mag da in einem Museum näherliegen, als an einer eigenen Ausstellung zu arbeiten? Die Bezeichnung Projekt ist in diesem Fall auf jeden Fall nicht übertrieben gewählt. In unserem Fall waren die beiden Freiwilligen, unterstützt durch das Museumsteam, über Monate damit beschäftigt. Die Ergebnisse sind entsprechend professionell und absolut sehenswert.
Bremerhaven ist Ansichtssache
Bei Leon von Hassels Galerieausstellung: „Bremerhaven ist Ansichtssache – Fotografien von 1860 bis heute“ kam die Idee zur Ausstellung von Leon. Der 22-Jährige ist gebürtiger Bremerhavener, lebt jedoch in Bad Bederkesa. Durch seinen Großvater, der noch in der Stadt wohnt und den er als Kind sehr oft besucht hat, hat der fotobegeisterte junge Mann allerdings eine starke Bindung an Bremerhaven. Die gemeinsamen Radtouren mit seinem Opa durch die Innenstadt und ganz Lehe sind in seiner Erinnerung bis heute sehr präsent. Als Leon sich nach dem Abitur für ein Freiwilliges Soziales Jahr entscheidet, fällt seine Wahl sofort auf der Historische Museum Bremerhaven.
Alte Ansichten neu entdeckt
Da Leon auch noch gerne fotografiert, lag es auf der Hand, etwas mit Fotografien zu machen. Die Idee einer Gegenüberstellung von historischen und aktuellen Fotografien habe er schon länger gehabt. Das Ziel war die gegenwärtige Situation aus genau derselben Perspektive zu fotografieren, aus der die historischen Aufnahmen gemacht worden waren. Als er damit bei Direktor Kähler vorstellig wurde, rannte er offene Türen ein. Gemeinsam wurde ein Projektrahmen gesetzt und die Ausstellung besprochen. Dann ging es los. Unterstützt von Mitarbeiter*innen des Museums durchforstete Leon zunächst das Fotoarchiv des Hauses und fand prompt eine große Auswahl an historischen Bildern von Fotografen wie Georg Rogge, Helene Schüler, Hermann Schlüter, Johannes Fleck und Wolfhard Scheer. Besonders schwierig wurde dann jedoch die Auswahl, denn das Fotoarchiv des Museums ist umfangreich, die Fläche für die Ausstellung jedoch begrenzt.
Zeitreisen zu den Ansichten
Als nächstes folgte der praktische Teil. Leon musste die Standorte finden und aufsuchen, an denen einst die Fotograf*innen gestanden haben, um die Originalfotos aufzunehmen. Ausgerüstet mit einer Klappleiter und einer Kamera unter dem Arm machte er sich also daran, die historische Perspektive, so gut es möglich war, zu fotografieren. Nachdem Leon alles im Kasten hatte, ging es an die Bildbearbeitung und die Texterstellung. Herausgekommen ist ein spannendes Fotopotpourri von Gegenüberstellungen aus einst und jetzt, das den gewählten Titel: „Bremerhaven ist Ansichtssache“ vollkommen zu Recht trägt. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 12. Juni. Ein Besuch ist absolut empfehlenswert. Es gibt auch einige Führungen, die von Leon von Hassel selbst geleitet werden. Entsprechende Hinweise dazu gibt es auf der Internetseite des Historischen Museums.
Wunder gibt es immer wieder
Ebenfalls bis zum 12. Juni zeigt das Museum eine kleine, aber sensationelle Kabinettausstellung mit dem Titel: „Das Wunder von Heerstedt. Ausgegraben –„vernichtet“ – gestiftet“. Maßgeblich verantwortlich ist Paul Rohde. Er leistet gerade einen Bundesfreiwilligendienst im Haus. Bevor ich hier weiter ins Detail gehe, vielleicht eine kleine Information darüber, was der Bundesfreiwilligendienst eigentlich ist. Für all diejenigen unter euch, die mit der Gnade der späten Geburt gesegnet sind und somit keinen Wehrdienst leisten mussten, hier eine kleine Erklärung.
Freiwillig etwas für die Gesellschaft leisten
Der Bundesfreiwilligendienst hat seinen Ursprung in der Zeit der allgemeinen Wehrpflicht in der Bundesrepublik. Diese verpflichtete bis zum Jahr 2012 alle wehrtauglichen jungen Männer, direkt nach Ende der Schulpflicht, zum Dienst an der Waffe. Wer das nicht wollte, konnte „verweigern“ und stattdessen einen Wehrersatzdienst ableisten, auch Zivildienst genannt – beispielsweise im Krankenhaus, Seniorenheim oder einer gemeinnützigen Einrichtung. Als die Wehrpflicht 2012 ausgesetzt wurde, konnten junge Menschen zwar immer noch freiwillig zur Bundeswehr gehen, aber die Pflicht eines alternativen Zivildienstes verschwand praktisch über Nacht. Dadurch verloren viele Einrichtungen ihre „Freiwilligen“, die inzwischen zu wichtigen Stützen der Gemeinnützigkeit geworden waren und nun bitter fehlten. Um Abhilfe zu schaffen, wurde der Bundesfreiwilligendienst (BFD) eingerichtet. Zusammen mit dem „Freiwilligen Sozialen Jahr“, dass es schon vorher gab, bietet er jungen Menschen die Option einer Orientierung nach der Schule. Zugleich stellen beide Angebote eine wertvolle Leistung für unsere Gesellschaft dar.
Das Wunder von Heerstedt
Doch zurück zu Paul und seinem „Wunder von Heerstedt“, einer Ausstellung, die schon alleine wegen ihrer Geschichte höchstes Augenmerk verdient. Sie zeigt Teile des Inhalts eines sogenannten „Fürstengrabes“ aus der Nordischen älteren Bronzezeit (1500-1200 v. Chr.). Es handelt sich also um Fundstücke, die 3200 bis 3500 Jahre alt sind. Was sie über dieses bemerkenswerte Alter hinaus zu etwas ganz Besonderem macht, ist der Umstand, dass die Grabbeigaben 75 Jahre lang als vernichtet galten und nun auf wundersame Weise ihren Weg in das Historische Museum zurückgefunden haben.
Wundersame Entdeckung
Doch erzählen wir von Anfang an: 1938 entdecken Bauern in der Nähe von Heerstedt beim Abtragen eines Hügels ein Steingrab – eine so genannten „Steinkiste“. Unter Leitung des damaligen Direktors des Morgenstern-Museums, Dr. Barnim Lincke, wurden die Überreste des Verstorbenen und diverse Grabbeigaben geborgen. Der mehr als bemerkenswerte Fund umfasste ein Schwert, ein Beil, einen Dolch, eine Fibel, einen Fingerring und Teile einer schon stark beschädigten Holzschale. Allein der Fund der Schale war schon bemerkenswert, da Holz extrem selten so lange erhalten bleibt. Das Römisch Germanische Zentralmuseum in Mainz übernahm die Funde, wo sie weiter untersucht und Abgüsse von ihnen hergestellt wurden. Kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges kamen die Funde zurück nach Bremerhaven, von wo aus sie ins Marschenhaus im Speckenbüttler Park ausgelagert wurden.
Wunderbare Rückgabe
Bei einem Brand 1946 wurden die Funde, sowie fast alle anderen Sammlungsgegenstände des Morgenstern-Museums, die dort eingelagert waren, vernichtet. Die Gipsreproduktionen der Funde wurden von 1961 an im neuen Morgensternmuseum an der Kaistraße ausgestellt. Beim Umzug in das heutige Historische Museum an der Geeste verließen sie die Ausstellung und wurden im Magazin eingelagert. Der archäologische Schatz aus der Steinkiste war also verloren. So zumindest glaubte es die Fachwelt noch bis zum letzten Jahr. Dann plötzlich meldete sich jemand im Historischen Museum, der einen Teil des Heerstedter Fundes gerne zurückgeben wollte. Mehr wird an dieser Stelle aber nicht verraten. Den Rest erfahrt ihr im Museum, wenn ihr herkommt, um euch das Wunder mit eigenen Augen anzuschauen.
Wunderbare Möglichkeit
Nicht nur für das Museum, sondern auch für den 19-jährigen Paul Rohde erwies sich die Rückgabe der Grabbeigaben aus der Heerstedter Steinkiste als ausgesprochener Glücksgriff. Als großer Fan von Fantasy-Serien wie „Game of Thrones“ war er von den Fundstücken sehr angetan und machte sich sofort daran, tief in die Recherche zur Bronzezeit einzusteigen. Da Paul zu diesem Zeitpunkt noch kein Projekt für seinen BFD ausgewählt hatte, lag die Lösung nah, dass er eine kleine Ausstellung über die Objekte und ihren wundersamen Weg zurück ins Museum entwickeln könnte. Die von ihm gestaltete Kabinettausstellung zeigt die über Skizzen rekonstruierte Fundsituation samt Gipsreproduktionen aus Mainz sowie die drei wieder aufgetauchten originalen Fundstücke aus dem Steingrab.
Wunderbare Orientierung
Für den geschichtsinteressierten Nordenhammer, der im Sommer eine Ausbildung zum Steuerfachangestellten beginnen wird, endet somit ein spannendes Jahr im Museum mit einer aufregenden Ausstellung aus seiner Hand. Welcher andere Neunzehnjährige kann schon so etwas für sich verbuchen? Der Bundesfreiwilligendienst ist für Paul zu weit mehr geworden als zu einem Orientierungsjahr zwischen Schule und Beruf. Er, genau wie Leon auch, können jedem nur wärmstens empfehlen, einen Freiwilligendienst zu absolvieren. Der Gewinn für sich und andere ist riesengroß. Ich kann dem nur beipflichten und darüber hinaus einen Besuch im Historischen Museum Bremerhaven empfehlen. Ganz generell. Aber auch speziell, um die Ausstellungen von Leon und Paul anzuschauen. Bis zum 12. Juni gebt es noch die Gelegenheit dazu. Wir freuen uns auf euch. Leon und Paul auch.
Text: Marco Butzkus
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