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Von Seeleuten und Seemannsheimen

Was machen Seeleute, wenn sie nicht auf schwankenden Planken stehen? Dieser Frage gehe ich bei meinem Besuch im Seemannsheim in Bremerhaven auf den Grund, das […]

Frau blickt durch Fernglas auf den Hafen
22. Juni 2020
7 min Lesezeit
Ich stehe vor dem Seemannsheim (c) Andreas Larmann

Was machen Seeleute, wenn sie nicht auf schwankenden Planken stehen? Dieser Frage gehe ich bei meinem Besuch im Seemannsheim in Bremerhaven auf den Grund, das jetzt wieder Seeleute und Gäste begrüßt. Mein täglicher Arbeitsweg führt mich daran vorbei, aber heute betrete ich es zum ersten Mal und werde mit einem Lächeln an der Rezeption begrüßt.

Freundliche Mitarbeiter an der Rezeption des Seemannsheims in Bremerhaven (c) Tanja Albert
Diakon Dirk Obermann und Lea Schlüter begrüßen mich mit einem Lächeln im Seemannsheim in Bremerhaven (c) Tanja Albert

Hell und gemütlich

Gemeinsam mit Diakon Dirk Obermann nehme ich Platz in einer der gemütlichen Sitzecken. Das ist wirklich einladend hier. Helle Möbel, frische Tulpen auf den Tischen, bunte Flaggen aus aller Herren Länder an der Decke. Über der Rezeption zeigen mehrere Uhren die Zeiten in fernen Ländern an. Neben mir eine Schrank mit Fächern zum Aufladen von Handies und an der Wand zwei Schreibtische mit Rechner und Internetzugang.

Sitzecke und Internetarbeitsplätze im Seemannsheim (c) Tanja Albert
Hell und gemütlich präsentieren sich Sitzecke und Internetplätze im Seemannsheim (c) Tanja Albert

Sehen und gesehen werden

Dirk weist mich auf die beiden hellrot leuchtenden Original-Dekorationen hin, die über der Tür angebracht sind. Wie die meisten Stücke hier im Haus, haben auch die beiden eine eigene Geschichte. Als Dankeschön hatte die Mannschaft der „Kruzenshtern“ dem Seemannsheim einen Rettungsring als Erinnerung geschenkt. Als dann Seeleute der „Sedov“ zu Gast waren, war ihr Ehrgeiz gepackt. Aufwendig ließen sie einen Rettungsring ihres Windjammers aufarbeiten. Eine Delegation samt Presseteam überreicht das Original dem Seemannsheim als Dankeschön für die gute Gastfreundschaft. Seitdem zieren beide den Aufenthaltsraum.

Rettungsringe über der Tür im Seemannsheim Bremerhaven (c) Tanja Albert
Rettungsringe der „Kruzenshtern“ und „Sedov“ im Seemannsheim (c) Tanja Albert

Wie alles begann

Dirk erzählt mir, dass die Deutsche Seemannsmission (DSM) vor fast 125 Jahren gegründet wurde. Vier Jahre später wird das erste Seemannsheim am heutigen Standort in der Schifferstraße errichtet und muss schon bald wegen der großen Nachfrage erweitert werden. 1944 wird das Haus bei einem Bombenangriff völlig zerstört und 1950 neu aufgebaut.

Die Taschen voll Geld

Ich erfahre von Dirk, warum überhaupt ein Seemannsheim erforderlich war. Früher waren die Liegezeiten der Schiffe viel länger als heute. Die Seeleute gingen mit Taschen voll Geld an Land und gaben es gleich mit beiden Händen wieder aus. Wenn sie pleite waren, fielen sie den Heuerbasen in die Hände. Heuerbasen boten Seeleuten in ihrer Not Logis und Kost und brachten sie so in Abhängigkeit. Die Heuerbasen suchten anschließend eine Heuer für die Seeleute, die sie nicht ausschlagen konnten, da sie die Schulden mit horenden Wucherzinsen zurückzahlen mussten. Um diese Abhängigkeiten zu unterbinden, gründeten die DSM und die deutschen Reeder daraufhin die erste Heuerstation und bauten die ersten Seemannsheime. Heute findet man sie in fast allen deutschen Seehäfen. Es gibt aber auch etliche Seemannsheime im Ausland, nämlich in den Häfen, die regelmäßig von deutschen Reedereien angelaufen werden.

Herein in die gute Stube

Seemänner verbringen Wochen und Monate an Bord. Kein Wunder, dass sie sich da einen Tagestreffpunkt außerhalb ihres Schiffes wünschen. Die DSM erkannte dieses Bedürfnis und eröffnet 1978 die „Gute Stube“, den deutschlandweit ersten Seemannsclub, im Gatehouse II auf dem Containerterminal. Dieser für die Seeleute gut zu erreichende Treffpunkt wird so gut angenommen, dass er zum Vorbild für Einrichtung in anderen Häfen wird. Ein voller Erfolg!

Der Letzte macht die Tür zu

Zur Blütezeit der Deutschen Hochseefischerei lagen bis zu zweihundert Fischereiboote im Fischereihafen Bremerhaven. Also wurde an diesem Standort ebenfalls ein Seemannsheim, extra für Fischer errichtet. Als der Einbruch der Deutschen Hochseefischerei Bremerhaven erreichtet, gab es dafür keinen Bedarf mehr. 1979 schließt das Seemannsheim für Fischer im Fischereihafen seine Türen. Aber schon zwei Jahre später erweitert das Seemannsheim im Stadtzentrum sein Angebot um den „Internationalen Seemannsclub“. Jetzt gibt es also auch einen Tagestreffpunkt für Seeleute direkt in der Innenstadt. Allein im vergangenen Jahr konnten rund 20.000 Tagesgäste verzeichnet werden.

Die Zeiten ändern sich

Heute haben sich die Liegezeiten der Schiffe deutlich gegenüber früher verkürzt. Oft übernachten die Seeleute an Bord, nutzen aber gern und häufig den Tagestreffpunkt. Das Seemannsheim ist stets am Puls der Zeit und reduziert daher die Bettenzahl auf 37, um dafür die Räumlichkeiten des „Internationalen Seemannsclubs“ zu erweitern.

Zimmer im Seemannsheim Bremerhaven (c) Tanja Albert
Moderne Zimmer laden zum Übernachten ein (c) Tanja Albert

Guck‘ mal, wer da schläft

„Wer schläft eigentlich im Seemannsheim?“, frage ich Dirk. „Die Zimmer werden meist für einen Crewwechsel benötigt“, erzählt er mir. Das heißt, ein Teil der Mannschaft wird ausgetauscht. Und so müssen die Frauen und Männer oft schon einen Tag früher anreisen, wenn es ihre Reiseverbindung nicht anders hergeben, oder einen Tag überbrücken, bis sie ihren Heimflug antreten können. Manchmal kommen aber auch Angehörige, um ein Familienmitglied bei einem Stop-over zu treffen. Oft sind das Eltern, die ihren Sohn besuchen, der zur See fährt. Im vergangenen Jahr konnte das Seemannsheim 7.000 Übernachtungen zählen. Nicht schlecht, bei gesamt 36 Betten in 26 Zimmern.

Die Mühen werden belohnt

Im Seemannsheim tut sich etwas. 2013 wird es aufwändig renoviert. 2015 wird die DSM vom „International Seafarers Welfare and Assistance Network“ (ISWAN) in London zum „Seafarer Centre of the Year“ ausgezeichnet. Und 2016 wird der Hafen von Bremerhaven zum „Port of the Year“ gekührt. Zu recht, wie ich finde, wenn ich mich hier und in den Häfen so umschaue. Ich kann verstehen, dass sich Seeleute aus der ganzen Welt hier wohlfühlen. Das liegt nicht nur an der hübschen Einrichtung. Die Hauptberuflichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter und die „Bufdis“ (Berufsfreiwilligendienst) sind mit Herz und Seele bei der Sache.

Was kann ich Gutes für Dich tun?

…nach diesem Motto ziehen hier alle an einem Strang. Das fängt mit einem Lächeln zum Empfang an. Seeleute erhalten am Tresen kostenfrei Kaffee und können hier Snacks und Drogerieartikel kaufen. Klar, dass das Sortiment die Dinge umfasst, von denen die Mitarbeiter wissen, dass die Seeleute sie lieben. So kaufen die philipinischen Seeleute immer gleich mindestens zehn Tafeln Schokolade. Sie sind verrückt nach Schokolade! Für die chinesischen und vietnamesischen Seeleute umfasst das Angebot Instantsuppe in asiatischen Gewürzen und Geschmacksrichtungen.

Alle sind willkommen

Wer kennt das nicht? Speisen fremder Länder zu probieren, ist spannend und interessant. Aber auf Dauer sehnt man sich dann doch nach heimischen Gerichten. Wie muss es dann erst den Seeleuten gehen, die oft monatelang von zu Hause weg sind? Zwar gibt es in der Seestadt Bremerhaven viele internationale Restaurants, aber nicht immer ist die Leibspeise dabei. Aber auch darauf ist das Seemannsheim eingestellt. Übernachtungsgäste haben die Möglichkeit, selbst in einer Küche zu kochen. Hier gibt es sogar einen Kühlschrank und Küchenschränke mit abschließbaren Fächern. So kann jeder seine persönlichen Zutaten sicher aufbewahren. Ich bin begeistert! Ich glaube, solch einen abschließbaren Kühlschrank mit einzelnen Fächern wünscht sich auch so mancher WG-Bewohner.

Kühlschrank mit abschließbaren Fächern (c) Tanja Albert
Hier kommen keine Lebensmittel weg! Kühlschrank mit abschließbaren Fächern im Seemannsheim (c) Tanja Albert

Alle packen mit an

Mindestens einmal im Jahr geht es hier im Seemannsheim zu wie im Taubenschlag. Denn Weihnachten verteilt die Seemannsmission Geschenke an die Seeleute. Allein im letzten Jahr wurden hier 1.300 Geschenke liebevoll verpackt und an die Besatzungen übergeben. Was für eine tolle Aktion! Früher waren es Wandkacheln mit unterschiedlichen Motiven. Eine Auswahl davon ziert heute die Wand im Frühstücksraum. Heute gibt es eher praktische Dinge, wie wärmende Mützen. Und obwohl die Zeit der Kacheln lange zurückliegt, finden sie immer noch Anhänger, die auf Internetplattformen darauf bieten.

Wandkacheln im Seemannsheim Bremerhaven (c) Tanja Albert
Solche Kacheln wurden früher zu Weihnachten an die Seeleute verschenkt (c) Tanja Albert

Alle werden gebraucht

Seid Ihr jetzt ebenso begeistert von der Arbeit und dem breiten Angebot und habt etwas Zeit übrig? „Die DSM sucht immer ehrenamtliche Helfer“, erzählt mir Dirk. Interessierte wenden sich an: bremerhaven@seemannsmission.org oder Tel: 0471 43013. Und junge Menschen können hier gern ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) absolvieren und dabei Menschen aus der ganzen Welt kennenlernen. Nähere Informationen findet Ihr hier.

Tipp:

Wer einmal nicht im üblichen Hotel oder Appartment übernachten möchte, kann auch gern eine Nacht im Seemannsheim buchen. Hier besteht die Möglichkeit, mit Seeleuten aus der ganzen Welt ins Gespräch zu kommen. Nicht-Seeleute zahlen nur einen geringfügig höheren Preis. Also auf nach Bremerhaven!

[bre_box title=“Tag des Seefahrers“ style=“soft“ box_color=“#002c4c“ title_color=“#FFFFFF“ radius=“5″]Am Donnerstag, 25. Juni 2020, ist wieder „Day of the Seafarer“. Seit genau zehn Jahren wird weltweit an diesem Tag in besonderer Weise der aufopferungsvollen Arbeit aller Seeleute auf den Schiffen gedacht und deren Arbeit gewürdigt. Ohne die Seeleute könnten wir keine Produkte kaufen, weil über 90 % des Welthandels über die Weltmeere transportiert und abgewickelt wird. [/bre_box]

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Tanja Albert

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