Am 1. Oktober wird der International Coffee Day gefeiert. Wusstet Ihr, dass einst deutsche Auswanderer Kaffeeplantagen in Brasilien und anderen Ländern Mittel- und Südamerikas bearbeiteten oder sogar gründeten? Ich nicht – das habe ich im Deutschen Auswandererhaus gelernt.
Geröstet, gemahlen, gefiltert – mit Zucker oder ohne, schaumig-italienisch oder schwarz wie die Nacht. Geschmäcker sind bekanntermaßen sehr verschieden. In einem sind sich die Deutschen aber einig: Kaffee ist ihr beliebtestes Genussmittel, knapp zwei Drittel genießen ihn fast täglich. Kein Wunder also, dass sie ihrem liebsten Wachmacher seit dem Jahr 2006 einen eigenen Feiertag gewidmet haben. Um die braune Bohne hat sich ein globales Geschäft entwickelt, das Länder und Kontinente miteinander verbindet – leider nicht immer zu fairen Bedingungen für die Kaffeebauern. Der Kaffee in deutschen Tassen stammt aus afrikanischen und asiatischen Ländern, allen voran aber aus Lateinamerika. Wenig überraschend ist, dass das weltweit führende Erzeugerland Brasilien dabei auch der mit Abstand wichtigste Kaffeelieferant für Deutschland ist. Erstaunlich aber ist ein umgekehrter, weniger augenfälliger Zusammenhang: Kaffeeplantagen in Brasilien und anderen Ländern Mittel- und Südamerikas wurden oft von deutschen Auswanderern bearbeitet oder gar gegründet.
Mit Erich Koch-Weser nach Brasilien
Seit dem 17. Jahrhundert wanderten deutsche Siedler verstärkt nach Lateinamerika aus – zwar in viel geringeren Zahlen als beispielsweise in die Vereinigten Staaten, ihr Einfluss ist dennoch bedeutsam: Oft handelte es sich um Bauern, die öde Landstriche erschlossen, oder um vertriebene kulturelle Eliten. Erich Koch-Weser war gewissermaßen beides: Geboren am 26. Februar 1875 in Bremerhaven, stieg er nach einem Jura- und Volkswirtschaftsstudium zu einem der wichtigsten Politiker seiner Zeit auf. 1919 bis 1921 war er Innenminister, 1920 Vizekanzler und von 1928 bis 1929 Justizminister der Weimarer Republik. Aufgrund der jüdischen Abstammung seiner Mutter und der politischen Ansichten, die er vertrat, bekam Koch-Weser unter den Nationalsozialisten jedoch bald Probleme. So wurde ihm nicht nur die Zulassung als Notar und Rechtsanwalt vorübergehend entzogen, auch sein Buch „Und dennoch aufwärts“ wurde verboten und bei den Bücherverbrennungen im Mai 1933 verbrannt. Im Oktober desselben Jahres machte sich Koch-Weser auf den Weg in seine Heimatstadt Bremerhaven – von dort legte am 25. November der Ocean Liner „Madrid“ ab, der Familie Koch-Weser in ihre neue Heimat Brasilien brachte. Noch heute erzählen im Deutschen Auswandererhaus, direkt am Neuen Hafen in Bremerhaven, verschiedene Erinnerungsstücke von Erich Koch-Weser und seiner Auswanderung. So zum Beispiel auch ein Telegramm, das die Familie zum Abschied an ihre Freunde schickte. Die Worte „Wir wollen die nächsten Jahre in der deutschen Kolonie Roland, Nord Paraná, Brasilien leben“ täuschen darüber hinweg, dass die Koch-Wesers vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten flohen.
Vom Bremer Roland zur Kolonie Rolândia
Nach einer abenteuerlichen Reise kam die Familie schließlich im Süden Brasiliens an – die Kolonie , benannt nach dem Bremer Roland, bot deutschen Auswanderern günstig Land zum Kauf an. Eine handgemalte Karte, die Koch-Wesers damals neunjähriger Sohn Erich seinem Onkel per Post schickte, gewährt mir – und natürlich auch den anderen Besuchern des Deutschen Auswandererhauses – einen Einblick in die brasilianische Urwaldsiedlung, die um 1944 vierhundert Familien zählte. Zwanzig Prozent von ihnen hatten Deutschland aus politischen Gründen verlassen. In Rolândia gründeten sie Plantagen, viele von ihnen bauten Kaffee an – wie auch Familie Koch-Weser auf ihrem Landgut „Fazenda Janeta“. Neben Fachwerkhäusern und dem alljährlichen Oktoberfest erhält auch der Kaffee eine Verbindung in die alte Heimat: 1957 spendeten Bremer Kaffee-Kaufleute eine Nachbildung des Bremer Roland, die seither in Rolândia steht.
Deutsche Agrarsiedlungen wie Rolândia gibt es in ganz Lateinamerika – oft gaben die deutschen Einwanderer wichtige Impulse in der Wirtschaft der Einwanderungsländer. In Costa Rica war es beispielsweise der Deutsche Georg Stiepel, der den Grundstein für die florierende Kaffeewirtschaft des Landes legte, als er 1832 mit dem Kaffee-Export nach Chile und von dort nach Europa begann. Auch in Nicaragua war der wichtigste Kaffeepionier ein Deutscher: 1850 war Luis Elster der Erste, der in Matagalpa Kaffeepflanzen anbaute. Damit begründete er nicht nur die Erschließung dieser berühmten Kaffeeregion, er inspirierte auch deutsche Siedler in Guatemala dazu, sich der Kaffeekultivierung zu widmen. Auch im mexikanischen Chiapas waren europäische und besonders deutsche Auswanderer stark in den Kaffeeanbau involviert.
Die Geschichte des Kaffees im Deutschen Auswandererhaus
Die Geschichten der deutschen Lateinamerika-Auswanderer sind im Deutschen Auswandererhaus mit zahlreichen Auswandererführern, Briefen und Karten dokumentiert. Eine von ihnen ist die des früheren Bremerhavener Bürgermeisters und späteren Kaffeebauern Erich Koch-Weser. Persönliche Objekte erzählen in dem Erlebnismuseum die Lebenswege von 18 der über sieben Millionen Auswanderer, die zwischen 1830 und 1974 von Bremerhaven aus in ein neues Leben aufbrachen, sowie von 15 verschiedenen Einwandererfamilien, die in den vergangenen 300 Jahren nach Deutschland kamen.
Nach dieser Spurensuche lasse ich die realen, zum Teil sehr emotionalen Schicksale der Migranten, die ich in diesem Museum quasi „persönlich“ kennen gelernt habe, in Ruhe Revue passieren – natürlich bei einer guten Tasse Kaffee im Museumsrestaurant „Speisesaal“. Und was finde ich dort? Einen Flyer, der mich auf eine Sonderveranstaltung zum Internationalen Tag des Kaffees am 1. Oktober hinweist.
Von Lea Bergmann, Frankfurt/Oder
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