Harald Lesch begeistert 250 Zuhörer im Klimahaus Bremerhaven 8° Ost
Harald Lesch im Klimahaus.
Erste Zuschauer warten schon einige Minuten vor den Drehkeuzen, es ist kurz nach halb sechs. Mittendrin wartet einer, der den Eingang sucht. Es ist der Star des Abends, Prof. Dr. Harald Lesch. Natürlich mittendrin, möchte man meinen, denn sowas wie Personenkult kennt der vielleicht bekannteste deutsche Wissenschaftler nicht. So begrüßt er schon mal die Anwesenden samt Frau und Familie, legt seine Sachen nieder und raus geht´s wieder, zum Radiointerview.
Dass Harald Lesch im Klimahaus Bremerhaven auftritt, ist zurückzuführen auf eine Zusammenarbeit mit der Hochschule Bremerhaven. Diese konnte ihn zum Abschluss ihrer Klimawoche für einen spannenden Vortrag gewinnen.
18:00 Uhr: „Von der Eiszeit zur Heißzeit“ reist er mit 250 Zuhörern im Foyer des Klimahauses und es wird von Beginn an eine rasante Fahrt. Keine Präsentation im Hintergrund lenkt ab von dem, was der Mann zu sagen hat. Es geht schnell durch die Erd- Menschheits- und Klimageschichte und dann läuft der TV-Professor erst richtig auf zu großer Form: Er kommt auf die drohende Heißzeit zu sprechen und natürlich auf die vom Menschen hervorgerufene Klimakrise.
„Wir können den Fingerabdruck der Menschheit am Treibhauseffekt festnageln, und den Effekt haben wir seit 1990 verdoppelt!“ So haut er den Zuhörern die Fakten um die Ohren. Und bleibt dennoch irgendwie verflixt charmant, dieser Fernseh-Professor.
Wir reden hier von eisenharter Physik!
Schnell hält er dem Menschen den Spiegel vor. Dieses Wesen nähme nun mal unwiederbringlich Einfluss auf das Klima, alleine, weil er das Feuer beherrsche. Schon vor 8.000 Jahren könne man aus heutiger Sicht feststellen, so Lesch, dass der Mensch mit der Landwirtschaft angefangen hat. Methan- und Kohlendioxid-Zyklen hätten seither angefangen, sich zu verändern. Und in den letzten 150 Jahren gäbe es kein Halten mehr, alle diese Kurven schössen nach oben und wir sind mittendrin. Er bringt es eben auf den Punkt wie kein anderer, dieser TV-Professor. Er berichtet von Interessengruppen, denen das abschmilzende Eis der Arktis entgegenkäme, die leugnen würden, dass sich durch das Schmelzen der Eismasse der Meerwasserspiegel erhöht. Schließlich sei dieses Eis ja schon vorher dagewesen. Wieder sind die Lacher, nicht nur die der erfahrenen Cocktailtrinker, auf seiner Seite.
Und Lesch macht gleich deutlich, dass man Klimaforschungsergebnisse nicht relativiert betrachten kann: „Wir reden hier von eisenharter Physik. Natur ist eine absolute Größe, die funktioniert, wie sie funktionieren muss. Das ist nicht interpretierbar“, warnt er bärbeißig vor Stimmen, die den Klimawandel auch nur im Ansatz relativieren wollen. Und jetzt klingt Harald Lesch nicht mehr wie der freundliche Professor, er haut diese Sätze raus ins staunende Foyer des Klimahauses wie ein intellektueller Clint Eastwood.
Welche Lösungsansätze er als Wissenschaftler sieht? Vor der Nutzung neuer Energien steht demnach, oh Wunder, zunächst einmal das Zauberwort „Energieeinsparung“. Lesch ermahnt zur Entschleunigung, zum Langsamwerden, erinnert an die Siebziger, als die Menschen langsamer Auto fuhren, einfach, weil das Benzin viel teurer war.
Dann hält er ein fulminantes Plädoyer für die uneingeschränkte Nutzung eben dieser Erneuerbaren.
Das Klimapaket? So etwas verhandelt man nicht in der Nacht!
Und wie kommen wir dahin? Der Pragmatiker Harald Lesch rät den Menschen, sich auf sich selbst zu verlassen in dieser Krise. Denn was er von den aktuellen Bemühungen der Politik hält, damit hält er dann nicht lange hinterm Berg.
„Resultat der Politik ist ein Klimapaket, das …“ – Schweigen, süffisantes Kichern, irres Gelächter, Verzweiflung.
Ein weiterer, unmissverständlicher, Hinweis folgt:
„Wenn es darum geht, ein Klimapaket zu verabschieden und die Bundesregierung setzt sich in einer Nachtsitzung zusammen, dann ist das, unabhängig davon, was diese Herrschaften jemals über den Klimawandel gewusst haben, eine biorhythmisch außerordentlich ungünstige Situation. Sowas kann man machen, wenn es darum geht über Zahlen zu verhandeln, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Das ist dann ne Sache, die für 18 Monate mal ne Regelung bringt. Hier handelt es sich um eine Entscheidung, die für Dekaden wichtig ist. So etwas verhandelt man nicht in der Nacht. Und das alleine verrät, wie wenig sie das Thema Klima wirklich interessiert!“
Da sitzt eine Sachkompetenz, Sie fassen es nicht!
Wissenschaftler Lesch rät den Zuhörern dringend, sich nicht zu sehr auf die gewählten Politiker zu verlassen und selbst aktiv zu werden. Er gibt aber jede Menge Tipps, wo und wie verlässliche Informationen zum Klimageschehen zu beziehen sind und hat dann auch ein lobendes Wort für eine ganz spezielle Berufsgruppe übrig:
„Das Tollste, was ich in meiner Beratungsgeschichte für die Politik kennengelernt habe, sind die Frauen und Männer, die in den Ministerien arbeiten und zwar unterhalb der Ebene der gewählten Personen. Da sitzt eine Sachkompetenz, Sie fassen es nicht! Im Umweltministerium, Landwirtschaftsministerium, überall, die sind hervorragend. Viele von ihnen arbeiten seit Jahrzehnten in diesem Bereich, das sind die Kenner des Metiers. Aber an der Spitze dieser Ministerien scheint die Sachkompetenz fast exponentiell einzubrechen! Das ist wirklich eine schlimme Sache.“
Rrrumms. Die Ohrfeige sitzt. Was folgt, ist ein kleiner Seitenhieb auf den externen Beraterwahnsinn in der Bundespolitik, gekoppelt an die Tatsache, dass da in den Ministerien eigentlich schon genau der Sachverstand sitzt, den „wir gewählt haben.“
Es ist mucksmäuschenstil im Foyer des Klimahauses. Im Hintergrund hört man nur das Quitschen eines Filzstiftes. Eine „Graphic Recorderin“ verewigt sehr künstlerisch die Kernaussagen des Wissenschaftlers auf einem Flipchart. Ein Blick auf ihr Kunstwerk lässt die Zuhörer wenigstens für Sekunden zur Ruhe kommen.
Ein Rechtsstaat, der nichts verbietet? …
Weiter geht´s. Lesch mahnt mehrfach zu mehr Einmischung. Er fordert eine stärkere Rolle des Staates und wird immer deutlicher:
„Ein Rechtsstaat, der nichts verbietet – „wie soll das funktionieren?“ Er fordert den Staat auf, zu in Richtung Energiewende zu investieren, die Schwarze Null nicht länger zu vergöttern. „Das sind Investitionen in diejenigen, die noch gar nicht da sind. Stellen Sie sich mal vor, unsere Großeltern hätten sich genauso verhalten, in diesem Land nicht investiert?… Wir haben 30 Jahre Neoliberalisierung der globalen Wirtschaft hinter uns. Die hat uns Wohlstand in immer kleineren Gruppen gebracht, und die verbrauchen immer mehr Energie.“
Über 42 Grad. Jeden Tag.
Ganz ruhig geht Harald Lesch dann ein auf das, was alle fürchten, das „Business-As-Usual-Szenario“: „Wenn ich jetzt einen Vortrag halten würde mit Präsentation, würden Sie sehen, wie oben in der Arktis die Temperaturen elf, zwölf Grad wärmer wären wie jetzt. Natürlich längst ohne Eisbären. Und dann würde ich eine Karte zeigen über die Welt. Und Sie würden die „Anzahl der Tage über dem tödlichen Limit“ kennenlernen. Und Sie würden sehen, dass die Business-As-Usual-Szenarien den gesamten Äquatorialbereich unseres Planeten quasi unbewohnbar machen. Über 42 Grad. Jeden Tag.“ Auch ohne Präsentation bekommen die Zuhörer die Bilder kaum wieder aus den Köpfen…Und die gebannt lauschenden Menschen im Foyer scheinen die 42 Grad gerade zu spüren, sie atmen ganz leise.
Wenn es eine zentrale Botschaft an das Publikum gäbe, was wäre das? „Ein sinnvolles Leben war für die alten Griechen ein Leben auf dem Marktplatz, ein Leben für die Gemeinschaft“ schließt der bekannteste TV-Professor Deutschlands. „Ich glaube nicht, dass sich heute ohne den Druck von der Straße etwas politisch in Deutschland tut. Ich flehe Sie an: MACHEN SIE POLITISCH DRUCK!“
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