Mittwoch. Angaangaq Angakkorsuaq soll kommen. Ein Name wie ein unendlich weit entferntes Sternenbild im Universum. Wer heißt denn so?
Jemand, der aussieht wie sein Onkel. Denn das bedeutet dieser uns völlig fremd klingende Name. Auf grönländisch. Aber das erfahre ich erst später, von ihm selbst.
Angekündigt wird Angaangaq im Rahmen eines Projekts, der „Earth-Choir-Kids – unsere Stimme für das Klima“. Kinderliedproduzent Reinhard Horn, der vor Kameras gemeinsam mit dem grönländischen Inuit ein Lied einsingen möchte, mit entsprechender Kulisse im Klimahaus Bremerhaven.
Am Anfang stehen die Zweifel…
Am Vortag des Termins erzähle ich einer Journalistin der Nordsee Zeitung vom bevorstehenden Termin mit einem grönländischen Schamanen. Mit großen Augen schaut sie mich an und fragt ungläubig „Aber doch nicht Angaangaq?!“ Sie erzählt von ihm. Ich hingegen umarme keine fremden Männer. Auch ihn nicht. Ich reagiere mit Stirnrunzeln.
„Mal schauen, wen er hier so alles von Wehwehchen heilen kann“, töne ich und schaue belustigt auf meine Kolleginnen und Kollegen, die von der Sache Wind bekommen haben und auch längst wissen, dass der grönländische Besucher ein berühmter Inuit-Schamane ist. Noch verbuche ich den Termin unter „wird bestimmt lustig“. Wird´s dann auch. Aber anders.
Donnerstag. Angaangaq kommt mit dem Kamerateam und Projektleiter, Kinderliedermacher Reinhard Horn. Nicht in Walrosslederkostüm oder Robbenlederdress, sondern im Anzug. Ich erwische mich bei albernen Vorurteilen. Aber er hat doch da diesen großen weißen Zahn an einer Kette um den Hals baumeln…? Wirklich?!
Vertreter der nordischen Naturvölker
bei den Vereinten Nationen
Im Niger: Erste Filmaufnahmen, Angaangaq wartet. Er ist ein netter älterer Herr um die 75, mit fremdem Aussehen (Pardon für die mangelnde Fachkenntnis und fehlende Präzision), längeren grauen Haaren und – natürlich – gegerbter Haut.
Er wartet auf seinen Einsatz und plötzlich und ungefragt legt er los. Angaangaq geht, nein, schreitet – oder besser – wandelt – durch den Raum. Und singt. Es klingt genau, wie man sich den Gesang eines grönländischen Schamanen eben so vorstellt. Und, das muss ich zugeben, es klingt echt erhaben!
Dann kommt er auf mich zu, stellt sich kurz vor und umarmt mich. Verstehe, das macht man als Schamane so. Sein Name bedeute, der, der so aussieht wie sein Onkel. Und er sähe wirklich so aus wie sein Onkel, sagt er. Ich freue mich das erste Mal über meinen Namen (meine vielen Onkel mögen es mir verzeihen) und komme mit dem irgendwie beeindruckenden Mann ins Gespräch, auf englisch natürlich. Ja, er reagiert auf vieles ganz anders als wir und man spürt in jeder Sekunde, dass er einem der Naturvölker des Nordens entstammt. Aber sofort merke ich auch: Der Mann hat einen tollen Humor! Er, der als Vertreter der indigenen Menschen des Nordens bei den Vereinten Nationen und sein ganzes Leben als Keynote Speaker wo sonst noch überall spricht, erklärt mit rührend einfachen Worten, dass Klimaschutz Herzenssache sein muss. Aber mal ganz anders:
„Wir müssen das Eis in unseren Herzen schmelzen, damit wir uns begegnen können und verstehen, was wir gemeinsam tun müssen, um den Klimawandel zu bekämpfen“.
Die Aufgabe seines Lebens
Angaangaq entstammt einer spirituellen Heilerfamilie aus Kalaallit Nunaat. „Melting the Ice in the Heart of Man„ ist die große Aufgabe, die ihm seine Mutter schon als Kind mit auf den Lebensweg gegeben hat. Also nochmal zum Mitschreiben, denk ich. Der Mann aus dem Eis möchte, dass wir das Eis in unseren Herzen schmelzen, damit wir das echte Eis retten? Ich bin ja eher der realistische Typ, aber der Mann macht mich neugierig. Und er sagt dann noch:
„Die größte Entfernung im Leben des Menschen ist nicht die von hier nach dort, sondern die von seinem Verstand zu seinem Herzen.“
Vielleicht mal ein ganz anderer Ansatz, um Klimaleugnern zu begegnen. Wir können alle lernen…
Dann „betrommelt“ und „besingt“ er den Raum wie man das eben so macht als Schamane und es fällt auf: Obwohl er aus einer völlig anderen Kulturlandschaft stammt als die Menschen in unserer Inszenierung in der Sahelzone, dass seine Musik sogar zu der hier dargestellten Szenerie und Akustik passt bzw. ihr irgendwie ähnelt. Während unseres Gangs durch die Reise entlang des achten Längengrads schnappt er sich immer wieder Menschen in der Umgebung, nimmt sie mit in seinen durch die „Qilaut“ abgeschotteten Raum und „besingt“ sie (ich hab als Laie kein anderes Wort dafür, er „chanted“ heißt es, glaube ich, in der Fachsprache). Niemand wagt, das Angebot abzulehnen. Jetzt ist unsere Azubi Merle dran.
Kein Eis schmilzt ohne erstmal nen Kaffee!
Mittagspause. Einladung in das Klimahaus-Restaurant. „Alles vegetarisch“, sage ich voller Stolz. „Vegetarisch? Alles?“, fragt Angaangaq leidvoll. Zwei Schamanenaugen lachen mich an. Nein, eigentlich lachen sie mich aus. „Tofu?“ Er lacht sich tot, ich mache mich lächerlich. Was isst man nochmal in Grönland?
In die Reisestation Antarktis soll es gehen. Klar, dass sich Angaangaq hier irgendwie ein wenig zu Hause fühlt. Aber er weigert sich. Er würde jetzt nirgendwo hingehen. Zumindest nicht ohne einen großen Pott Kaffee zuerst. Großartiger Humor! Im Eis angekommen singt Angaangaq mit großer Freude seine Playback-Parts für das Gesangsprojekt der jungen Leute zum Klimaschutz ein. Dabei unterstützt er mit seinen Gesängen den Song auf eine – ich muss es zugeben – coole Art und Weise!
Intermezzo: Der grönländische Inuit fühle sich Deutschland sehr verbunden seit er als junger Mann bei Verwandtschaft in München gelebt habe. In Schwabing. „Ausgerechnet“, denke ich und aufgrund meiner flapsigen Art entfährt mir kurz „Oh, lots of pubs and girls – did you like it“? Sein gegerbtes, gütiges Gesicht legt sich in Falten, er kommt kaum aus dem Lachen raus. Ich muss da etwas getroffen haben. Ein Schamane, aber alles andere als weltfremd.
Die Zweifel sind „geschmolzen“:
Umarmung und Hoffnung
auf ein Wiedersehen
Zum Schluss ein Besuch in der gerade entstehenden Sonderausstellung des Klimahauses, „Das letzte Eis“. Dem Mitglied der „Mother-Earth-Delegation“ bei den Vereinten Nationen fällt wieder einmal auf, wie ähnlich die Probleme der Menschen weltweit sind. Die Ausstellung zeigt u. a. schwindendes Eis und schmelzende Gletscher in Alaska und in der Schweiz. Angaangaq erinnert sich sofort an die Kindheitsbesuche bei seiner Großmutter, die in der Nähe eines Gletschers in Kangerlussuaq lebte und sagt sorgenvoll:
„Für die Menschen war es damals unvorstellbar, als sich aus dem Gletscher heraus und sogar im Winter plötzlich ein Fluss bildete. Völlig irreal, denn kein Gletscher der Welt gibt im Winter bei Minustemperaturen Wasser ab. Heute wissen wir, was mit unseren grönländischen Gletschern los ist“.
Als wir uns verabschieden ist es merkwürdigerweise MIR ein Bedürfnis Angaangaq zu umarmen.
Mehr über Angaangaq Angakkorsuaq unter www.icewisdom.com
oder über seinen Verein www.icewisdom.com/de/aanakasaap-illua
Das Projekt „Earth Choir Kids“ findet man unter https://earth-choir-kids.com/
Schreibe einen Kommentar