Vor einigen Tagen sprachen wir in einer unserer wöchentlichen Dienstbesprechungen über das Thema „Target-Training“ bei den Eisbären. Für mich „Neu-Land“, denn ich kenne dies nur im Zusammenhang mit den Robben. Unsere beiden „Robben-Mädels“ Pam und Carmen betreiben diese Art des Trainings in Perfektion. Aber bei Eisbären? Neugierig geworden bitte ich Frank, einen unserer beiden Eisbärenpfleger, dieses Training als stumme Begleiterin beobachten zu dürfen. Das Training findet nur hinter den Kulissen statt, Besucher können nicht zuschauen.
Morgens um 8.00 Uhr auf zu den Eisbären! Bewaffnet mit Fisch und Mayonnaise.
Am letzten Donnerstag ist es dann endlich soweit und ich kann euch sagen, das ist ein echtes Schauspiel! Früh in den Morgenstunden bin ich mit Frank zum Training verabredet. Treffpunkt: der Nachtstall von unserer Eisbären-Dame Valeska. Die Utensilien für das Training: Ein Target, ein Eimer mit Fisch und Mayonnaise. Denn: Eisbären lieben Mayonnaise! Ein Target müsst ihr euch so vorstellen: Ein Besenstiel, an dem am Ende ein Tennisball befestigt ist. Der Pfleger nutzt in diesem Fall das Target, um den Ball an das Gitter zu halten, damit das Tier, egal ob Robbe oder Eisbär, mit seiner Schnauze dagegen stößt. Dieser Prozess soll helfen, das Tier in bestimmte Positionen zu bringen. Beim Berühren des Balles mit der Schnauze ertönt ein Pfiff (durch eine Pfeife) von dem Tierpfleger. Eine Bestätigung für das Tier „Ich habe alles richtig gemacht.“ Zur Belohnung gibt es was zu futtern. Einen Fisch, natürlich mit Mayonnaise verfeinert.

Valeska, die gute Schülerin.
Und los geht‘s: Valeska wartet auf das Kommando mit einer Ruhe, die man bei einem Eisbären wohl eher nicht erwarten würde. Die erste Übung, der erste Kontakt mit dem Tennis-Ball. Frank berührt mit dem Target das Gitter und animiert Valeska „Komm‘ Valeska, Target“ zu reagieren. Zunächst bewegt sie den Kopf nach links und rechts, ziert sich ein bisschen, um dann jedoch den Kopf zu heben und ihre Schnauze durch das Gitter an den Ball zu drücken. Ein Pfiff ertönt und schon schiebt Frank den ersten Fisch mit Mayonnaise durch das Gitter, den Valeska gierig verschlingt. Ein Eisbär im Mayonnaise-Rausch! Lecker … denkt der Eisbär, nicht ich.
Eisbär-Mann Lloyd weiß genau, was Frank von ihm erwartet.
Noch beeindruckender geht es bei unserem Eisbär-Mann Lloyd weiter. Zunächst der gleiche Ablauf, ergänzt um eine neue Übung. Frank hebt neben dem Target die flache Hand und spricht Lloyd gut zu, seine linke Pfote nach vorne zu heben und quasi durch das Gitter zu schieben. Lloyd braucht einen Moment, um darüber nachzudenken, entscheidet sich dann doch, hebt die Pfote und schiebt sie (soweit es die Absperrung zulässt) durch das Gitter. Ein Moment, der bei mir Gänsehaut verursacht! Warum? Mir wird bewusst, dass Frank und ich nur wenige Zentimeter entfernt, natürlich durch ein Gitter getrennt, neben einem der größten Landraubtiere der Erde stehen und dieser gerade Frank seine Tatze gegeben hat. Eine unheimlich berührende Geste, denn die Verbundenheit der beiden ist nahezu spürbar.

Training macht Spaß!
Dabei bleibt Lloyd so unglaublich ruhig und zum ersten Mal kann ich nachempfinden, warum einige Besucher den Wunsch oder den Gedanken haben, mit einem Eisbären kuscheln zu wollen – ich habe in diesem Moment nämlich auch das Bedürfnis, einmal in das „vermeintlich“ kuschelige Fell zu fassen und zu sagen „Hast Du fein gemacht!“ Soweit kommt es natürlich nicht, denn der Eisbär gehört nicht umsonst zu den besonders gefährlichen Wildtieren.
Parodontose-Behandlung bei einem Eisbären.
Wenn ihr denkt, das war schon der spannendste Teil des Trainings, kann ich nur sagen weit gefehlt. Die nächste Übung ist die „Zahnuntersuchung“. Dafür hält Frank seine Hand ans Gitter und spreizt Zeigefinger und Daumen, um Lloyd so zu signalisieren, dass er seinen Kopf seitlich zum Gitter halten und dann das Maul ganz weit öffnen soll. Schon blitzen die weißen, riesigen Zähne hervor. Scheinbar ganz geduldig und so lange, wie Frank diese Geste macht, zeigt Lloyd uns seine Zähne. Ziel ist es, dass unser Doc sich in Zukunft die Zähne bei Lloyd und Valeska anschauen kann, ohne sie dafür in Narkose zu legen. Ich bin beeindruckt, da ich nie erwartet hätte, dass es möglich ist, einem Eisbären so etwas beizubringen. Super gemacht, Frank!

Training ja oder nein?
Das Training mit den Eisbären erfordert viel Ruhe und Geduld, denn im Gegensatz zu unseren Robben, sind diese (angepasst an ihre Statur) etwas dickfälliger und der Lernprozess dauert länger. Aber warum gehört dieses Training eigentlich zu einer modernen Tierhaltung? Erinnert es mit dem Ball nicht eher an das Einüben von Kunststückchen? Passt das zusammen, wenn man in einem Zoo gerade das nicht vermitteln möchte?
Blutabnahme leicht gemacht.
Unbedingt! Denn dieses Training ist nicht zur Unterhaltung der Besucher gedacht, sondern hat einen ganz anderen Hintergrund. So sollen zum Beispiel Untersuchungen am Tier, wie Blutabnahmen – bei einem Eisbären geht das tatsächlich sehr gut an der Pfote zwischen den Krallen – oder die Zahnkontrolle am geöffneten Maul vorgenommen werden können, ohne das Tier in Narkose legen zu müssen. Eine Narkose ist, wie bei einem Menschen auch, immer ein Risiko, das so minimiert werden kann. Das Ganze hat somit rein gar nichts mit „Kunststückchen üben“ zu tun, sondern ist eine sinnvolle Aufgabe fürs Tier. Und wenn ich Frank so beobachte, auch für den Tierpfleger.

[bre_note note_color=“#0e78ad“ text_color=“#ffffff“]
Mehr zum Thema „Training im Zoo“ findet ihr hier:
zoo-am-meer-bremerhaven.de/tiertraining
[/bre_note]