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Hereinspaziert ins Tivoli!

Ehemaliges Kino, Varieté-Theater und Großraumdisko – ich habe schon einiges vom ehemaligen Tivoli-Lichtspielhaus an der Grazer Straße gehört und mich schon lange auf einen Besuch […]

Portrait Frau aus dem Kulturamt
26. Aug. 2021
6 min Lesezeit
Man sieht die himmelblaue Decke des Saals. Ein Kranz goldener Engel ist beleuchtet und bildet eine Kuppel.

Ehemaliges Kino, Varieté-Theater und Großraumdisko – ich habe schon einiges vom ehemaligen Tivoli-Lichtspielhaus an der Grazer Straße gehört und mich schon lange auf einen Besuch gefreut. Am 03. Juli ist es soweit: Das Tivoli öffnete im Rahmen des Kultursommers Bremerhaven seine Pforten für interessierte Besucher:innen.

Das Tivoli für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen und künstlerisch zu bespielen, ist Teil des Projekts „Sehnsuchtsorte“ vom Kulturamt Bremerhavens.  Das Projekt soll Sehnsuchtsorte Bremerhavens erschließen, die ein wichtiger, manchmal vergessener Teil der Stadtidentität sind. Es ist ein Sehnsuchtsort von mehreren und wird, wie auch schon der Kultursommer, im Rahmen des Programms „Kultursommer 2021“ durch die Beauftrage der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) mit Mitteln aus NEUSTART KULTUR gefördert. Grundsätzlich ist es aber allen Beteiligten ein großes Anliegen, das große Gebäude im Dornröschenschlaf endlich wieder den Menschen in Bremerhaven zugänglich zu machen und zu zeigen.

Vorfreude und viele Erinnerungen

An dem Julitag werden mehrere Führungen angeboten und die Veranstaltung ist schnell ausgebucht. Das Interesse ist groß und viele Bremerhavener:innen verbinden schöne und aufregende Erinnerungen mit dem Tivoli. Eine ältere Nachbarin gerät direkt ins Schwärmen über Kinobesuche in den 50er Jahren, als ich ihr von meinem Besuch im Tivoli erzähle. Sie kann sich noch gut erinnern, wie günstig (nur ein paar wenige Pfennige!) und vergnüglich ein Kinobesuch war. Voller Vorfreude radele ich zum Tivoli, einem großen von außen undurchschaubaren Gebäudekomplex in Bremerhavens Mitte.

In großen Schaukästen hängen über Eck Drucke alter Fotoaufnahmen, die die Geschichte des TIVOLI dokumentieren.
Die noch erhaltenen Schaukästen erzählen die Geschichte des Hauses. (c) M. Abeling

Begrüßt werden wir in einem Vorraum des Tivolis von projizierten historischen Aufnahmen Bremerhavens aus den 50ern und 60ern, die wir erstmal auf uns wirken lassen – und von Moritz Schmeckies, Koordinator des Kreativhauses Goethe 45. Er ist einer von 4 Guides, die heute durch das alte Gebäude führen. Er wird uns die nächste Stunde durchs Tivoli führen, über schmale Treppen durch verschiedene Räume und Säle. Direkt zu Beginn weist er uns daraufhin, bei der Gruppe zu bleiben, da es noch einige baufällige Teile des Gebäudes gibt und nicht alle Stellen gesichert sind. Die Aufregung steigt!

Vom Biergarten zum größten Kino zwischen Hamburg und Hannover

Los geht es über eine breite Treppe in ein Foyer und die Entdeckungsreise in die Vergangenheit kann starten: In den Schaukästen sieht man Plakate und Fotoaufnahmen  – von den Anfängen des Tivolis Ende des 19. Jahrhunderts als prunkvolles Gebäude. Damals war es nicht mehr als ein Biergarten, der dann aber schnell wuchs. Wir verfolgen die Geschichte des Hauses über alte Veranstaltungsplakate und Fotoaufnahmen vom beschädigten Tivoli nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg bis zur Wiederöffnung und Umnutzung seit Ende der 1940er Jahre.

Doch die Führung durch das Tivoli ist nicht nur eine rein historische Führung. Durch verschiedene künstlerische Acts wird die Geschichte des Gebäudes lebendig. So begrüßt uns ein Conférencier im Frack und berichtet uns reimend von den Glanzzeiten des Tivoli. 

Alle waren im Tivoli

An einer unrenovierten Wand hängen zahlreiche schwarz/weiß Portraits. Eine Künstler:innengarderobe ist eingerichtet.
Die Stars von damals begleiten die Gäste. (c) M. Abeling

Nach einem kräftigen Applaus geht es über eine kleine Treppe weiter nach oben und wir gelangen in einen größeren Saal in der ersten Etage. Hier hängen die Porträtaufnahmen verschiedener Schauspielgrößen der damaligen Zeit an der Wand, u.a. Caterina Valente, Zarah Leander und Heinz Erhardt. Alle waren hier und haben mit ihren Auftritten ein weit überregionales  und großes Publikum begeistert. Das Tivoli war auf jeden Fall ein Ort der großen Bühnen- und Filmkunst, aber nicht nur. Es beheimatete auch ein Casino, einen Biergarten, ein Karate-Studio und das berühmt berüchtigte Enterprise, eine Disko mit einer der modernsten Lichtanlagen der 80er Jahren in Europa. Damals sogar die Hamburger:innen noch nach Bremerhaven zum Tanzen und Weggehen gefahren.   

Das Herzstück

Über eine Treppen nach unten werden wir zum Herzstück des Tivoli geführt. Der Saal mit einer großen Bühne, knarzenden Dielenboden und einer magischen Lichtstimmung fasste eins 1262 Personen. An der Decke ist noch die verzierte Rahmung einer vorher sehr üppig gestalteten Stuckdecke zu erkennen. Man kommt aus dem Staunen und Umherschauen gar nicht mehr heraus. Dann erklingt orientalische Musik aus einer Ecke und zwei Bauchtänzerinnen von der Tanzoase Fata Morgana beginnen zu tanzen – wie damals im Astoria-Varieté, denke ich!

Es ist der große Saal im TIVOLI zu sehen. Er ist festlich beleuchtet.
Der Saal pellt sich langsam wieder aus dem Ei. (c) M. Abeling

Auch der Saal hat schon eine Menge erlebt, u.a. sollen sogar einst drei Elefanten über die Bühne geführt worden sein und hinter der Bühne zurück, um eine ganze Herde zu simulieren. 1964 schließt das Tivoli, in den 1970ern entstehen Pläne für „40 Boutiquen für die Frau“ nach amerikanischem Vorbild, mit einem langen Springbrunnen in der Mitte. Allerdings scheitert der Plan und so ist dieser Saal in der jetzigen Form erhalten geblieben. „Glücklicherweise“ denke ich und betrachte noch ein bisschen weiter die tolle Deckenbeleuchtung.

Enterprise

Das Enterprise ist ein Ort, den viele der Besucher:innen noch aktiv erinnern und erlebt haben. 1995 schließt es endgültig seine Tore. Insbesondere die bemerkenswertgroße Lichtanlage lässt es überreginal und deutschlandweit bekannt sein. Heute können wir das Enterprise nicht betreten. Aber Paul Steffens, der den Gebäudekomplex 2017 erworben hat, hat sich eine tolle Lösung überlegt: durch Bullaugen kann man in den Raum des Enterprise schauen. Außerdem gibt es eine Projektion mit Bildaufnahmen aus der Discozeit, so dass alle trotzdem einen guten Eindruck bekommen.

…und es geht weiter!

Mir ist das Tivoli bisher nur als vergessener Sehnsuchtsort begegnet, ein Ort mit vielen Gesichtern und Geschichten. Dies merkt man auch immer wieder auf der Führung. Erinnerungen einiger älterer Besucher:innen kommen auf. Menschen, wie ich, die erst wenige Jahre in Bremerhaven wohnen oder das Tivoli nur aus Erzählungen kennen, sind fasziniert von diesem Ort der vielen Orte. Auch wird während der Führung immer wieder deutlich, dass bereits viel recherchiert wurde. Aber es gibt noch viele Geschichten zu erzählen und Zeitzeugen werden gesucht. Wenn ihr also eine Anekdote über das Enterprise, die Kinoära, dem Karate-Studio oder noch ganz unbekannte Orte habt, meldet Euch gerne beim Kulturamt!

Falls ihr die Veranstaltung im Juli verpasst habt, gibt es noch einmal eine Chance das Tivoli am 02. Oktober zu besuchen. Anmelden könnt ihr Euch ab dem 06. September hier. Wer es bis dahin nicht aushalten kann, kann auch in der Langen Nacht der Kultur am 04.09. im Tivoli vorbeischauen. Dann kommt ihr in den Genuss einer Filmvorführung über Bremerhaven und seine Hafenbecken.

Text von Saskia Mosler

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Annika Jaeger

Kulturamt Bremerhaven Ursprünglich dem Ruhrgebiet entwachsen, bin ich schon einige Zeit unter dem weiten, norddeutschen Himmel zuhause – aber nun ganz frisch: Bremerhaven! Begleitet mich auf neuen Wegen – immer im Gepäck: Neugier, Spaß und die Sehnsucht nach frischem Wind!

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