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Sonderausstellung: Es lebe der Sport!

Unsere Sommerausstellung „Es lebe der Sport! Bremerhaven in Bewegung“ widmet sich der vielfältigen Sportgeschichte Bremerhavens. Wir zeigen die Entwicklung vom ersten Turnverein 1859 bis zu […]

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21. Juli 2022
8 min Lesezeit
Turnhalle der Schillerschule 1956

Unsere Sommerausstellung „Es lebe der Sport! Bremerhaven in Bewegung“ widmet sich der vielfältigen Sportgeschichte Bremerhavens. Wir zeigen die Entwicklung vom ersten Turnverein 1859 bis zu den Erfolgen in Basketball und Eishockey im 21. Jahrhundert. Erfolgreiche Sportler*innen und Mannschaften, aber auch leidenschaftliche Fans und begeisterte Menschen im Breitensport machen Bremerhaven zu einer Sportstadt.

Leibesübungen für alle: Der Schulsport

Egal ob sportbegeistert oder bewegungsfaul: Am Schulsport kommt niemand vorbei. Für jede*n ist dieses Fach mit Erinnerungen verbunden – vielleicht an müffelnde Umkleiden, an Erfolge bei Turnieren, an Bundesjugendspiele und Schulsporttage oder die lästige Einteilung von Mannschaften. In Bremerhaven führte der Turnpionier Justus Carl Lion 1859 in einer Realschule den Turnunterricht ein. Zum Pflichtfach wurde es in der Stadt in den 1880er Jahren.

Von Anfang an spielte der Gedanke, dass Sport einen Ausgleich zum vielen Stillsitzen bilden sollte, eine wichtige Rolle.

Die Körpererziehung ist der geistigen Ausbildung gleichzusetzen. Nur planmäßige, tägliche Leibesübungen können die Sitzschäden des übrigen Unterrichts ausgleichen.

Lehrplan für die Oberstufe der Bremerhavener Volksschulen (1932)

Turnen oder Sport? Die Anfänge der Leibesertüchtigung in Bremerhaven

Turner am Barren vor der Turnhalle des Geestemünder Turnvereins
Turner am Barren vor der Turnhalle des Geestemünder Turnvereins (Archiv Geestemünder Turnverein, Fotograf*in unbekannt)

Der eben erwähnte Justus Carl Lion gründete übrigens 1859 mit 64 Gleichgesinnten auch den (ersten) Turnverein Bremerhaven. Das Turnen der Schüler auf dem Vorplatz der Schule hatte so viele Schaulustige angelockt, dass nun auch Erwachsene turnen wollten. In der Folge entstanden in den umliegenden Orten Geestendorf, Geestemünde und Lehe weitere Turnvereine.

Zu dieser Zeit bestand Turnen vor allem aus starren Ordnungsübungen, bei denen alle auf das Kommando des Vorturners einheitliche Bewegungen ausführten. Lion dagegen trat für ein natürliches Turnen ein, war für das Individuelle und gegen gekünstelte Schrittfolgen.

Neben den sogenannten Frei- und Ordnungsübungen kamen bereits Geräte zum Einsatz, wie Reck und Barren. Auch Reiten, Fechten, Schwimmen, Laufen und Werfen zählten damals zum Turnen.

Sport (engl. „Spiel, Belustigung“), im Freien ausgeführte Tätigkeit zur Förderung der körperlichen Leistungen, verbunden mit dem ehrgeizigen Bestreben, auf einem bestimmten Gebiet Hervorragendes zu leisten.

Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1907

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam der Sport aus England und brachte nicht nur neue Formen der körperlichen Ertüchtigung wie Tennis, Leichtathletik und Fußball nach Deutschland, sondern auch den Wettbewerbsgedanken und das Leistungsprinzip. Sportvereine entstanden, so wie der Fußballclub Bremerhaven im Jahr 1899, der zu den sechs ältesten Fußballvereinen Deutschlands zählt.

Sport und Politik: Gleichschaltung im Dritten Reich

Sport ist immer auch politisch. Besonders deutlich wurde das während des Dritten Reiches. Wehrertüchtigung, Disziplin und Gehorsam spielten bei den Nationalsozialisten eine wichtige Rolle. Alle Turn- und Sportvereine mussten sich zwischen Auflösung oder „Gleichschaltung“ entscheiden. Für Letzteres, also eine Umgestaltung des Vereins nach Maßgabe der NSDAP, entschieden sich die meisten Vereine.

Die Freie Turnerschaft Geestemünde ging allerdings einen anderen Weg und entschied sich schweren Herzens am 10. Juni 1933 für die Selbstauflösung. Mit welcher Weitsicht dieser Arbeiterturnverein diese Entscheidung traf, ist äußerst beeindruckend. Die Begründung war so brisant, dass der damalige Schriftführer eine Abschrift des Protokolls im Garten vergrub und erst nach dem Zweiten Weltkrieg wieder herausholte. Dieses einzigartige Dokument ist in unserer Ausstellung zu sehen.

Abschlussprotokoll der Freien Turnerschaft Geestemünde von 1933
Das handgeschriebene Abschlussprotokoll zur Selbstauflösung der Freien Turnerschaft Geestemünde vom 19. Juni 1933 (Leihgabe aus Privatbesitz, Fotograf: Leon von Hassel)

Wir haben jedenfalls die Gewißheit, nichts dazu beigetragen zu haben, was nun ist und kommen wird. Was ist und kommen wird, dafür trägt das Volk selbst die Verantwortung. Denn es hat sich seiner Verfassung nicht würdig erwiesen und wird seinen Unverstand noch mit Tränen und Blut bezahlen müssen.

Abschlussprotokoll der Freien Turnerschaft Geestemünde, 19. Juni 1933

Wiederaufbau, Neuanfang und Olympia: Von den 1950er bis zu den 1970er Jahren

In der Nachkriegszeit erfreute sich Sport in Bremerhaven rasch großer Beliebtheit als unbeschwerte Freizeitbeschäftigung. 1956 wurde das Stadtbad mit einem 10-Meter-Sprungturm und angeschlossener Milchbar eröffnet. Und am wichtigsten war Fußball: Auf dem „Zolli“ (Zollinlandplatz) feierte Bremerhaven ’93 sensationelle Erfolge vor begeistertem Publikum. In der Saison 1954/55 ging es sogar um die Deutsche Meisterschaft.

Fußballspiel auf dem Zollinlandplatz
Die Fußballspiele von „Bremerhaven `93“ lockten in den 1950er Jahren Tausende Zuschauer*innen auf den Zollinlandplatz, „Zolli“ genannt. (Archiv Historisches Museum Bremerhaven, Fotograf: Georg Rogge)

Ganz im Zeichen der Olympischen Sommerspiele 1972 in München, Augsburg und Kiel standen die 1970er Jahre in Bremerhaven. Neue Sport-, Schwimm-, Schul- und Bezirksportanlagen, das Nordsee-Stadion und eine Stadthalle wurden gebaut. Und mit dem Olympischen Sport-Club Bremerhaven entstand 1972 ein Großverein, der als einziger das Olympia-Logo führen dufte. Damit nicht genug: Die Sitzschalen im Nordsee-Stadion sind die gleichen wie die im Olympia-Stadion in München. In unserer Ausstellung kann man auf zweien auch probesitzen.

Ausdauer und Fitness für alle: Vom Trimm-Dich-Gedanken zum Fitnessstudio

Die Deutschen sind zu dick: Das stellte man nicht nur aktuell im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fest, sondern schon Ende der 1960er Jahre. Der Deutsche Sportbund startete daher1970 die Kampagne „Trimm Dich – durch Sport!“ Die Figur Trimmy und Werbespots im Fernsehen sollten dazu animieren, sich in der Freizeit zu bewegen. Denn: „Ein Schlauer trimmt die Ausdauer“. Wer seine Erinnerung auffrischen oder erfahren möchte, wie man vor 50 Jahren Sport schmackhaft machen wollte, kann sich an vier Medienstationen in unserer Ausstellung die vergnüglichen Werbespots in Reimform ansehen.

In den 1980er Jahren wurde Sport individueller. Statt Übungsstunden in einer festen Gruppe mit anschließendem geselligen Beisammensein im Vereinsheim besuchten viele lieber ein Fitnessstudio. Selbstoptimierung hieß die Devise. Viele Frauen entdeckten Aerobic für sich – schweißtreibende Choreographien zu motivierender Musik sorgten für einen regelrechten Hype.

Frauen trainieren 1989 auf dem Trampolin.
Im Fitnessstudio „Chic 2000“ trainierten im Jahr 1989 Frauen auf dem Trampolin. (Foto: Archiv Nordsee-Zeitung Bremerhaven)

Neben der chronologischen Entwicklung widmet sich unsere Ausstellung auch einigen weiteren Themen. Ein paar Beispiele gefällig?

Zwischen Verboten und Emanzipation: Frauen und Sport

Einschränkungen bei der sportlichen Betätigung von Frauen gab es von Anfang an und sie sind bis heute noch nicht vollständig abgeschafft. In Bremerhaven war es wieder einmal Justus Carl Lion, der an einer privaten Mädchenschule in Geestemünde auch Turnen für Mädchen einführte. Der erste Turnverein, der Turnen für erwachsene Frauen im heutigen Stadtgebiet anbot, war 1896 der Geestemünder Turnverein.

Frauen mussten unbedingt Anstand und Sitte bewahren. Das Spreizen der Beine und das Zur-Schau-Stellen des weiblichen Körpers war lange verpönt. Für uns heute unvorstellbar, turnten die ersten Damen doch in Korsetts und langen Röcken. Der Bremerhavener Turnlehrer Otto Legel befreite die Frauen Anfang des 20. Jahrhunderts vom Korsett. Erst in den 1920er Jahren trugen Frauen kurze Hosen und Leibchen, mit denen sie sich besser bewegen konnten.

Die Angst vor einer „Vermännlichung des weiblichen Körpers“ war groß. Die falsche Annahme, der weibliche Körper sei für Sport gar nicht gemacht und zum Erhalt der Gebärfähigkeit seien nur leichte Bewegungen sinnvoll, hielt sich bis in die 1950er Jahre.

Im Fußball galt das sogar noch länger: Schon in den 1920er Jahren spielten mancherorts in Deutschland Frauen Fußball. Doch 1955 verbot der Deutsche Fußballbund (DFB) seinen Vereinen, Plätze für Frauenfußball zur Verfügung zu stellen und Damenfußballabteilungen zu gründen.

Im Kampf um den Ball verschwindet die weibliche Anmut, Körper und Seele erleiden unweigerlich Schaden, und das Zurschaustellen des Körpers verletzt Schicklichkeit und Anstand.

Deutscher Fußballbund 1955

Dennoch spielten Frauen weiter Fußball, aber unter schwierigen Bedingungen. Noch bevor der DFB das Verbot am 31.12.1970 aufhob, gründeten im August 1970 der TSV Wulsdorf und der SC Sparta Damenfußballmannschaften. Die Frauen des TSV Wulsdorf waren schnell erfolgreich. Beim bundesweiten Wettbewerb um den Goldpokal 1973 schafften es die Wulsdorferinnen bis ins Halbfinale. Am 19. Mai 1973 spielten sie vor 1500 Zuschauer*innen in der Bezirkssportanlage gegen Bayern München 0:0. Das Rückspiel verloren sie dann allerdings mit 0:3 in der bayerischen Hauptstadt. Olympisch wurde Frauenfußball übrigens erst 1996.

Plakat zum Goldpokal 1973 im Damenfußball
Im bundesweiten Wettbewerb um den Goldpokal im Damenfußball erreichte der TSV Wulsdorf 1973 den vierten Platz. (Leihgabe TSV Wulsdorf, Fotografin: Astrid Ottens)

In der Heringstopfglitsche: Das Fischereihafenrennen

Wenn es um Sport in Bremerhaven geht, darf das Fischereihafenrennen nicht fehlen. Das legendäre Straßenrennen war „laut, echt, roh“. Vor 70 Jahren fiel erstmals der Startschuss für ein Motorradrennen der besonderen Art zwischen Packhallen, Strohballen und Fischkisten. Vor Beginn des Rennens musste die Straße erst einmal nach Nägeln abgesucht werden. Straßenbahnschienen und ein Belag aus Blaubasalt machten die Fahrbahn bei Regenwetter zur gefährlichen „Heringstopfglitsche“. Schon bald war das Rennen Kult und lockte Tausende Besucher*innen an. Auf einer 1,4 Kilometer langen Strecke mitten in einem Industriegebiet drehten bis zu 300 Fahrer – und manchmal auch Fahrerinnen – in neun verschiedenen Klassen lautstark ihre Runden. 1990 war erst einmal Schluss, von 2000 bis 2017 gab es eine Neuauflage. Seitdem ist das letzte Straßenrennen Norddeutschlands Legende.

Theo Schick und Friedel Staschel beim Fischereihafenrennen 1988
Theo Schick und Friedel Staschel beim Fischereihafenrennen 1988 (Archiv Nordsee-Zeitung Bremerhaven, Fotograf: Lothar Scheschonka)

Die Bremerhavener Quadriga: Tennis, Tanzen, Basketball und Eishockey

Im Saal stellen wir die sogenannte Quadriga des Bremerhavener Sports vor. Vier Sportarten, in denen die Seestadt-Sportler*innen in der Ersten bzw.  Zweiten Bundesliga vertreten sind. Es geht um die Erfolge des Bremerhavener Tennisvereins BTV, der Latein-A-Formation der Tanzsportgemeinschaft Bremerhaven, des Tanzpaars Horst und Andrea Beer, im Basketball und der Eulen und Fishtown Pinguins im Eishockey.

Nicht nur die Erfolge stehen im Mittelpunkt: Mit großen Fotos, signierten Schlägern, Maskottchen und weiteren Trophäen weisen wir auf die große Bedeutung der Fans für ihre Mannschaften hin.

Die „Wall of Fame“

Die "wall of fame" im Historischen Museum
Blick auf die „wall of fame“ in der Sonderausstellung „Es lebe der Sport!“ (Fotograf: Leon von Hassel)

Bei der Vorbereitung unserer Ausstellung stellten wir uns die Frage, welche Sportler*innen, Mannschaften, Erfolge und Besonderheiten wir zeigen wollen. Schnell stellte sich heraus, dass es unzählige Geschichten aus der 160-jährigen Sportgeschichte der Stadt gibt, die so spannend sind, dass sie erzählt werden sollten. Einigen davon widmen wir unsere meterlange „wall of fame“, die gespickt ist mit Fotos aus Vereinsheimen und Zeitungsberichten. Wir erinnern zum Beispiel an Max Schmeling, der 1936 zweimal mit der BREMEN von Bremerhaven zu seinen legendären Boxkämpfen nach New York reiste. Sein Sparringspartner unterwegs war übrigens der Bremerhavener Boxer Fiedel Rust. Zu sehen ist eine Auswahl an erfolgreichen Sportler*innen im Trampolinspringen, Rollkunstlauf, Schießsport, Darts, Fußball, Prellball, Schwimmen usw.

Etwas Platz haben wir frei gelassen und freuen uns über passende Fotos, die uns Besucher*gerne zur Verfügung stellen können.

Zu guter Letzt…

Auch für diesen Beitrag musste ich eine Auswahl treffen. Unsere Sonderausstellung beleuchtet noch weitere Aspekte, wie etwa das Tanzspiel des Bremerhavener Tanzpädagogen Hermann Grauerholz und die Geschichte der Arbeitersportvereine. An verschiedenen Stellen präsentieren wir kleine fun facts – von der Turnerfeuerwehr und dem Jahn-Denkmal bis hin zum „Tor des Jahres 2021“. Noch bis zum 30. Oktober besteht die Gelegenheit, sich selbst ein Bild des Bremerhavener Sports im Historischen Museum Bremerhaven zu machen. Die Sonderausstellung „Es lebe der Sport! Bremerhaven in Bewegung“ ist dienstags bis sonntags von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.

Zur Sonderausstellung findet auch ein Begleitprogramm statt. Alle Termine finden sich zeitnah auf unserer Website.

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Kerstin Ras-Dürschner

Mich interessieren die Geschichte(n) der Stadt und der Menschen, die hier leb(t)en. Als Exilfränkin schätze ich die frische Luft, das Wasser und den weiten Himmel.

Historikerin, Wiss. Referentin des Historischen Museums Bremerhaven

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