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Selbstversuch mit Science goes Public!

In die Kneipe gehen und sich über Wissenschaft aufschlauen lassen – geht das? Reicht eine halbe Stunde lockerer Fachvortrag, um auch nach einem langen Arbeitstag […]

Frau lächelt in die Kamera
28. Okt. 2019
7 min Lesezeit
Kneipenbesucher

In die Kneipe gehen und sich über Wissenschaft aufschlauen lassen – geht das? Reicht eine halbe Stunde lockerer Fachvortrag, um auch nach einem langen Arbeitstag etwas mitzunehmen von einem Thema, das im Zweifel völlig fremd ist? Ich wollte wissen, ob die Reihe „Science goes Public!“, die wir seit 2016 im Frühjahr und Herbst anbieten, tatsächlich ein gutes Format ist, um wissenschaftliche Themen dem Laien näherzubringen. So war ich letzten Donnerstag im „Café de Fiets“, um ins Innerste eines Raumfahrtcomputers zu kriechen. Da ich weder mit Software noch mit Raumfahrt vertraut bin, schien mir das als härteste aller Herausforderungen gerade der richtige Rahmen für diesen Selbsttest zu sein.

Kneipe löst Berührungsängste

Es ist schon proppenvoll, als ich in der Kneipe ankomme und es sieht so aus, als seien die vielen Menschen tatsächlich nicht wegen des Frischgezapften, sondern wegen des virtuellen Ausflugs in den Weltraum hier. „Ein weiches Herz – Software im Raumschiff“ heißt der Vortrag, den Jan-Gerd Meß vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) vorbereitet hat. Der junge Mann vor der Leinwand scharrt schon sichtlich mit den Hufen, um loslegen zu können. Jeans, das Hemd locker in die Hose gestopft, bedient er vorbereitend seinen Laptop. Ich bin gespannt und spüre gleichzeitig die frohe Erwartungshaltung der anderen Menschen um mich herum. Alte, Junge, Paare und Kleingruppen – toll, dass Wissenschaft im Rahmen von „Science goes Public!“ in Bremerhaven so eine Zugkraft hat.

Leidenschaftlicher Wissenschaftler

Pünktlich um 20.30 Uhr ertönt ein Jingle, und wir alle schauen im dunkel gewordenen Kneipenraum gebannt auf den Redner. Um ja alles aufnehmen zu können hatte ich mir einen Platz auf dem Fußboden ganz vorne gesichert.

Jan-Gerd Meß
So locker und sympathisch kann Wissenschaft sein: Jan-Gerd Meß vom DLR Bremen C) Rojek Arkadius

Zuerst beginnt es locker, Jan-Gerd Meß stellte sich kurz vor. Berichtet von seiner schon als Kind ausgebrochenen Neugier auf Computer und der Leidenschaft, dessen Funktionsweise verstehen zu wollen. Erzählt vom Informatikstudium und dem beruflichen Weg bis zum DLR. Erklärt das Forschungszentrum und dessen Organisationsstruktur. Und erweist sich schon in den ersten Sätzen als jemand, der für sein Thema „brennt“. Er erntet erste Lacher und hat bereits 100 Punkte, als er beim Eigentlichen ankommt. Das geht ja hier bei „Science goes Public!“ gut los!

Raumfahrtprojekte – Hä?

Komplizierter wird es dann, als Jan-Gerd Meß die Projekte des DLR aus den letzten fünf Jahren vorstellt. Kürzel werden in den Raum geschleudert, die dem Wissenschaftler natürlich geläufig sind, mich aber schon beim Mitschreiben überfordern. Eu:CROPIS bleibt hängen und ich nehme mir vor, das später für Detailinfos zu googeln. Im Groben geht es wohl um Recycling im Raumschiff, damit Astronauten auch langfristig dort leben und arbeiten können. Klingt eigentlich spannend!

Der Computer macht, was wir wollen

Dann fällt der Satz, der mich wieder ins Thema zurückholt: „Computer sind dämlich!“, sagt Jan-Gerd Meß und hat die Lacher wieder auf seiner Seite. Doch das ist kein kokettierender Ausspruch, sondern tatsächlich die Basis dessen, was er in den nächsten zehn Minuten vor uns ausbreitet. „Den Computern muss man extrem kleinschrittig erklären was sie machen sollen“, fährt er fort und das kann ich mir dann wieder gut vorstellen. Dass Computer nur das tun, was man ihnen sagt und keine Eigeninitiative haben, weiß jeder, der tagtäglich als Anwender mit ihnen zu tun hat und fatalerweise den letzten Arbeitsschritt nicht gespeichert hat. Der ist dann im Zweifel einfach weg, weil das System eben nicht mitdenkt.

Das Herz des Computers

Wissenschaftler und Leinwand
So addiert der Computer 30 und 12 – nachdem es ihm beigebracht wurde (c) Rojek Arkadius

Zurück zu den kleinen Schritten. Meß erklärt, wie der Rechner aufgebaut ist, zählt Speicher, Kontrolleinheit und Recheneinheit auf. Dann kommen Nullen und Einsen, die Befehlssprache der Computer, und ich steige gedanklich aus. Er macht Rechenbeispiele, die irgendwie logisch klingen, in der gezeigten Matrix aber irre kompliziert aussehen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken „kann ich eh nicht“ und ärgere mich zugleich über den schnellen inneren Rückzug. Hey, es ist schon Abend, der Tag war lang und wann brauche ich das Wissen, wie Rechner addieren, schon mal? Tatsächlich aber haben viele im Publikum Spaß an seinen Ausführungen und stellen auch Nachfragen.

Historische Raumfahrtmission

Aus den Nullen und Einsen werden Programmiersprachen und Jan-Gerd Meß führt vor, wie sich diese im Laufe der letzten 50 Jahre verändert haben. Am Anfang war wohl „Assembler“, dann kamen höhere Programmiersprachen wie „C++“ und viele andere. Muss ich mir nicht merken, oder?

Aufmerksam werde ich, als er die Raumfahrtmission um „Apollo 11“ anspricht. An die erinnere ich mich, saß ich doch mitten in der Nacht, aus dem Schlaf gerissen, als kleine Deern vor dem winzigen Fernsehgerät. Meinen Eltern bin ich immer noch dankbar, dass sie mich dieses historische Ereignis haben miterleben lassen – auch wenn ich damals nichts von der Bedeutung lustig auf dem Mond hupsender Menschen in seltsamer Verkleidung verstand.

Mit dem Computer auf den Mond

Apollo Guidance Computer der Apollo 11 Mission (c) gemeinfrei, Wikimedia

Doch Meß lenkt die Aufmerksamkeit weg von den Astronauten in den Kern von „Apollo 11“: Zum ersten Mal wurde ein Computer eingesetzt. Der sorgte dafür, dass Männer und Rakete ihr Ziel erreichten, sicher landeten und vor allem auch wieder zurückkamen. Welch‘ Vertrauen in eine Technik, die noch ziemlich jung war, denke ich. Und horche auf: Diese wurde maßgeblich von Frauen entwickelt, sagt Meß und nennt den Namen Margaret Hamilton, eine 1936 geborene Informatikerin und Mathematikerin. Meß bezeichnet die damals junge Softwarechefin der NASA als „Pionierin“ und mir schießt die Erinnerung an einen Film durch den Kopf, den ich in diesem Sommer zum Apollo-Jubiläum gesehen habe. „Unbekannte Heldinnen“ heißt der und ich bin froh, die Geschichte über die Programmierinnen zu kennen. Denn so kann ich den weiteren Ausführungen besser folgen, habe Anknüpfungspunkte.

Margrit Hamilton neben dem ausgedruckten Apollo-Code (c) gemeinfrei – NASA

Dumme User und ehrgeizige Ingenieure

40.202 Zeilen Code wurden damals für die erste Mondlandung geschrieben, die der Computer tatsächlich Schritt für Schritt abarbeitete. Um keine Aktionsschlaufen einzubauen – Aktivitäten, die sich gegenseitig ausschließen aber im Falle eines Programmierfehlers zum Tragen kämen – hat man den „DAU“ entwickelt, den dümmsten anzunehmenden User. Wieder Gelächter, diesmal klingt es, als fühlten sich einige ertappt. Verstehe ich gut.

Doch noch ein anderer Begriff wurde damals geprägt, den des „Software-Ingenieurs“. Margrit Hamilton schuf ihn, um das Selbstbewusstsein ihres größtenteils weiblichen Teams gegenüber den meist männlichen Raumfahrt-Ingenieuren auszudrücken. Schließlich waren die Nullen und Einsen – 1969 in Assembler zusammengefügt – ebenso am Erfolg der Apollo-Mission beteiligt, wie das Triebwerk oder die Sauerstoffversorgung.

Shakespeare war mit dabei

Vortragsszene
Jan-Gerd Meß zeigt in seinem Vortrag, dass die ProgrammiererInnen auch Spaß verstanden (c) Rojek Arkadius

Jan-Gerd Meß hat sichtlich Spaß, als er uns einige Zeilen Apollo-Code auf die Leinwand wirft. Die ProgrammiererInnen hatten Humor, das muss man ihnen lassen.

Temporary I Hope Hope Hope

steht dort an der Stelle, an der das Landemanöver laut Befehl ausgeführt werden soll.

„Burn, Baby, Burn“

hat jemand in den Befehl getextet, um die Triebwerke auf dem Mond in Gang zu setzen. Meß erklärt, dass der Ausdruck sowohl eine Hommage an den 1928 geborenen R&B-Künstler Nathaniel „Magnificent“ Montague und damit zugleich ein politisches Statement zu den Rassenunruhen von 1965 darstellt. Schau an, Programmierer haben mehr als Nullen und Einsen im Kopf. Das beweist auch ein Zitat aus „Henry 6“ von William Shakespeare, das eingebaut wurde. Wer jetzt Lust auf die Code-Lektüre hat, der schaue hier oder hier. Viel Freude!

Fazit des Selbstversuches bei „Science goes Public!“

Ein launiger Wissenschaftler der von seinem Thema begeistert ist und Lust hat, auch Laien damit anzustecken; eine gemütliche Kneipe als „Klassenzimmer“ und eine interessierte Gruppe von Menschen, die keine Nachfrage scheut – das ist das Erfolgsrezept von „Science goes Public!“. Eine halbe Stunde am Donnerstagabend ist auch nach dem härtesten Arbeitstag locker zu meistern, selbst mit einem Thema, zu dem es auf dem ersten Blick keine Berührung gibt. Jan-Gerd Meß hat mit seinen Aufführungen und den Bezügen auf das Apollo-Jubiläums-Jahr meinen Horizont auf alle Fälle erweitert. In einer Woche, in der zum ersten Mal zwei Frauen im Außeneinsatz der ISS Raumstation gefeiert werden, hat mir der Hinweis auf die Pionierin der Raumfahrtprogrammierung sehr gut gefallen. Mein „Außeneinsatz“ im „Café de Fiets“ fühlte sich nämlich wie eine Reise zu meiner persönlichen Mondlandung an – inklusive sicherer Heimkehr.

[bre_box title=“Science goes Public!“ style=“soft“ box_color=“#002c4c“ radius=“5″]Donnerstags ab 20.30 Uhr findet im Frühjahr und Herbst die lockere Wissenschaftsvermittlung in den Kneipen der Seestadt und mittlerweile auch in Bremen statt. Kostenfrei vermitteln hier Wissenschaftler aus renommierten Instituten ihre aktuellen Projekte auch für Laien verständlich. Mehr Infos unter www.sciencegoespublic.de

Weitere kostenfreie Angebote in Bremerhaven findet ihr in diesem Blogbeitrag.[/bre_box]

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Dörte Behrmann

Ehemalige Pressereferentin Erlebnis Bremerhaven GmbH
Als begeisterte Bremerhavenerin gibt es für mich nichts Schöneres, als „die Presse“ mit spannenden Geschichten von der Seestadt zu überzeugen.

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