Wie sterben eigentlich Schiffe? Dieser Frage wollte ich auf den Grund gehen. „Leise und dreckig“, lautet Anja Binkofskis Antwort. Sie forscht am Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte zum Thema Schiffsrecycling. Aber können Schiffe nicht auch anders zurück gebaut werden? Vielleicht sogar in Norddeutschland?

Schiffstaufen sind glanzvolle und prestigeträchtige Ereignisse. Mit viel Tamtam wird ein klangvoller Name gesucht und ein Taufspruch gereimt. Unter den Augen vieler Menschen lässt eine Dame eine Champagnerflasche am noch trockenen Schiffsbau zerschellen. Weltweit gibt es diverse Rituale, die dem schwimmenden Gefährt allesamt stets ruhige See und eine gute Fahrt über die Meere bescheren sollen. In der Schiffswelten-Ausstellung im DSM erfahre ich mehr über den Stapellauf und die Schiffstaufen, die wichtige politische Ereignisse sind. Sidefact: Um den stählernen Riesen ins Wasser zu wuchten, wurde die Schlippanlage mit Rindertalk eingeschmiert. Fehlt dieses, gibt es ein Problem. Als die SS CAPE LOOKOUT 1941 zu Wasser glitt, schippten Werftarbeiter 2,5 Tonnen überreife Bananen, weil kein Fett vorhanden war. Ich muss grinsen. Aber zurück zum ernsten Thema: Der leise Tod von Schiffen.
Die dunkelste Seite der Schifffahrt
Wie die letzte Fahrt von Ozeanriesen verläuft, darüber wissen die meisten Ship-Lover wenig. Immer größer gebaut, fahren sie rund 20 bis 30 Jahre. Beispielsweise als Kreuzfahrtschiff, über die Meere und verschwinden dann heimlich. Forschende, wie die DSM-Forscherin Anja Binkofski bringen Licht ins Dunkel der letzten Tage eines Schiffes. Ihr Forschungsprojekt heißt „Schiffsrecycling in Norddeutschland – Wie verschiedene Arten von Wert die Schiffsrecycling Industrie beeinflussen (können)“.

Ich spreche mit Anja über die dunkelste Seiten der globalen Schifffahrt: das Abwracken riesiger Ozeanriesen an den Stränden Südostasiens – und wie nachhaltiges Schiffsrecycling eine neue Chance für die Industrie weltweit und hier für die Region Norddeutschland sein könnte.
Wo Schiffe sterben: Die Realität des Schiffsrecyclings
„Viele Schiffe, die in Europa gebaut wurden, enden an den Küsten von Bangladesch, Indien oder Pakistan“, erklärt mir Anja. Das gängige Bild, das die Medien transportieren, lässt sich so beschreiben: ein halb ausgeschlachteter Frachter, gestrandet – „gebeached“ – im Schlamm. Männer in Flipflops schneiden mit einfachen Werkzeugen tonnenschwere Metallplatten heraus. Öl und Chemikalien fließen ins Meer, Schutzkleidung gibt es kaum. Und all das, obwohl die Schiffe früher europäische Eigner hatten. In Südostasien, im Schlamm liegend, weht die Fahne Palaus oder St. Kitts und Nevis.

„Tatsächlich ist das in vielen Fällen illegal“, sagt Anja. „Die Schiffe werden vor der letzten Reise umgeflaggt, um europäischen Umweltauflagen zu entgehen.“ Eine Praxis, die billig ist – aber hochproblematisch. In der Schiffswelten-Ausstellung lese ich, dass 2022 443 Schiffe verkauft wurden, damit sie entsorgt werden. 292 Tanker, Massengutfrachter, Kreuzfahrtschiffe und Co. landeten an den Stränden von Bangladesch, Indien und Pakistan. „Das entspricht 90 Prozent der weltweit abgewrackten Bruttotonnage.“
Neue Hoffnung durch die Hongkong-Konvention
Ein Hoffnungsschimmer für faireres und umweltfreundlicheres Schiffsrecycling weltweit ist die sogenannte Hongkong-Konvention. Sie trat am 26. Juni 2025 in Kraft. Ein historischer Moment, der im DSM in Bremerhaven mit einem Festakt begangen wurde. Auch Anja war dabei und stellte ihr Thema vor. Die Konvention verpflichtet zu mehr Transparenz beim Rückbau von Schiffen und somit auch zu besseren Arbeitsbedingungen und klareren Umweltstandards.
„Ein zentrales Element wird das Inventar gefährlicher Stoffe an Bord – das sogenannte IHM – sein“, erklärt Anja. „So weiß man endlich, welche Schadstoffe in einem Schiff verbaut wurden, bevor es recycelt wird.“ Für Schiffe unter EU-Flagge gilt das IHM bereits seit 2019 – nun soll es weltweit zum Standard werden.
Kann Bremerhaven beim Schiffsrecycling mitspielen?
Was mich besonders interessiert: Könnte Deutschland und speziell Bremerhaven selbst zum Standort für nachhaltiges Schiffsrecycling werden? Anja forscht genau dazu: Welche Rolle können Werften in Bremen, Bremerhaven, Niedersachsen oder Stralsund spielen?

„Es gibt erste Ansätze“, erklärt sie mir. „Eine Werft hat bereits eine deutsche Genehmigung, andere warten noch. Aber es gibt große Hürden: hohe Lohnkosten und strenge Umweltauflagen als in anderen Ländern der Branche führen zu hohem Konkurrenzdruck – und auch rechtlich ist vieles noch unklar.“
Dabei wären die Vorteile enorm. Laut einer Studie des Leibniz-Zentrums für Marine Tropenforschung (ZMT) ließen sich 80 bis 90 Prozent der Emissionen bei der Stahlproduktion einsparen, wenn man den verbauten Stahl recycelt statt neuen zu produzieren.
Kreislaufwirtschaft auf See: Eine echte Chance
Ich frage Anja, ob Schiffsrecycling in Deutschland und Bremerhaven nicht auch eine wirtschaftliche Perspektive sein könnte – gerade für strukturschwache Regionen. Ihre Antwort: „Definitiv. Wenn Werften eine neue Rolle im Kreislaufsystem einnehmen, könnten neue Jobs entstehen. Und mit innovativen Technologien ließe sich der Rückbau nicht nur umweltfreundlicher, sondern auch effizienter gestalten.“

Tatsächlich denken Werften in Bremerhaven, Niedersachsen und Stralsund bereits über neue Recyclingkonzepte nach. Noch ist das Feld jung, doch das Interesse wächst. Auch durch die wachsende Kritik von Umweltorganisationen wie der NGO Shipbreaking Platform. Sie hält die Maßnahmen der Hongkong-Konvention noch für unzureichend.
Vom Schiffbau zum Rückbau: Ein neuer Blick aufs Ende
Was mir besonders im Gedächtnis bleibt, ist Anjas Vision: Bei der Konstruktion von Schiffen sollte deren Rückbau schon mit bedacht sein. Materialien, Strukturen, sogar Farben – all das sollte so gewählt werden, dass ein späteres Recycling leichter und sauberer möglich ist.
„Wir bauen Schiffe, die 30 Jahre lang über die Weltmeere fahren“, sagt sie, „aber ihr Ende ist bislang weder geplant noch geregelt. Das muss sich ändern.“
Zeit für einen Kurswechsel
Schiffe prägen unseren Alltag – ob als Kreuzfahrtschiff im Urlaub oder als Frachter, der Supermarktprodukte über den Ozean bringt. Doch was mit ihnen passiert, wenn sie ausgedient haben, wird bislang viel zu selten thematisiert.
Mit der Hongkong-Konvention und engagierten Forscher:innen wie Anja Binkofski entsteht nun die Chance, das Ende der Schiffe neu zu denken – als Teil einer intelligenten, nachhaltigen maritimen Kreislaufwirtschaft. Deutschland, besonders Norddeutschland, könnte hier eine Vorreiterrolle im Blick auf die Nachhaltigkeit übernehmen. Es wird Zeit, diese stille letzte Fahrt ins Licht zu holen.
