Die SAIL Bremerhaven begeistert alle Menschen. Gäste wie Einheimische. Generationsübergreifend. Selbst Menschen, die auf dem maritimen Großereignis arbeiten müssen, sind von seiner Magie fasziniert. Einer von ihnen ist der langjährige Bremerhavener Fotograf Wolfhard Scheer. Ein Zeitzeuge, der seit 1986 auf keiner SAIL gefehlt hat. Er hat mit seiner Kamera immer wieder genau diese Magie festgehalten.
Wer fast 50 Jahre lang als Fotograf für eine Tageszeitung auf den Auslöser drückt, kann sicher eine ganze Menge erzählen. Wolfhard Scheer (67) war von 1971 bis 2018 Fotograf bei der Bremerhavener „Nordsee-Zeitung“. Kein Richtfest, kein Stapellauf, kein wie auch immer geartetes Großereignis in der Stadt, das in dieser Zeit an ihm vorbei gegangen ist, ohne dass er ein Foto davon geschossen hätte. Er ist einer der ganz wenigen Menschen in Bremerhaven, die seit 1986 jede SAIL fotografisch begleitet haben. Seine Fotos – speziell seine Luftaufnahmen – haben der SAIL Bremerhaven kräftig Wind unter die Segel und reichlich Sonne ins Gesicht gezaubert. Wolfhard hat mir ein paar seiner persönlichen SAIL-Bilder mitgebracht. Bilder, mit denen er besondere Erinnerungen und Geschichten verbindet. Und ja, Wolfhard hat eine ganze Menge zu erzählen.
Erste Sail 1986: Ein Ruck ging durch die Stadt
Wie war das damals, alles anfing, will ich wissen. „Als Hennig Goes 1986 die erste SAIL vom Stapel ließ, hatte das einen immens wichtigen psychologischen Effekt für das damals krisengebeutelte Bremerhaven. Es ging dann ein richtiger „Ruck“ durch die ganze Stadt“, erklärt Wolfhard Scheer mir die Situation damals. Dabei fing nach langer harter Planung alles sehr ungünstig an, wie ich weiter erfahre. „Ich weiß noch. Wir standen zur Eröffnung vor dem Wasserschout. Da war damals der Bremer Container von Radio Bremen aufgebaut und es hat wie aus Kübeln gegossen“, berichtet Scheer. „Am Sonntag zur imposanten Windjammerparade auf der Weser schien dann plötzlich die Sonne aus allen Wellenkämmen und es war einfach nur fantastisch“. Scheer durfte damals noch im Tiefflug über die großen Segelschiffe hinwegfliegen und konnte dabei spektakuläre Aufnahmen machen. Sie gaben dem Fest deutschlandweit ein Gesicht und machten es national berühmt. Besonders das Finale blieb ihm in Erinnerung: „Der Sonntagnachmittag war unvergesslich. Es waren tatsächlich 250.000 Menschen am Deich. So voll habe ich den Weserdeich nie wieder erlebt. Mit dieser SAIL haben wir echte Geschichte geschrieben“.
Kanapees auf’m Käpt’ns Klo
Auf sein ganz besonderes SAIL-Erlebnis angesprochen, zeigt Scheer auf ein Bild von Bundespräsident von Weizsäcker. Es ist ebenfalls von der SAIL 1986, die aus seiner Sicht echte Pionierarbeit war, denn alles, was dort passierte wurde zu einer Matrix – einer Schablone für all die weiteren großen Windjammertreffen, die danach folgten. Auch bei ihm als Berufsfotografen hat das große Seglerfest Eindruck hinterlassen. „Man muss sich das so vorstellen“, erklärt er einleitend. „Man ist fünf Tage am Stück täglich 16 Stunden mit großer Ausrüstung unterwegs, um Fotos zu machen. Da kommt man oft kaum dazu etwas zu essen“, so Scheer weiter. So ergab es sich dann auch, dass Wolfhard auf der 86er SAIL das Höhenfeuerwerk von Bord des Kreuzfahrtschiffes MS „Europa“ aufnehmen sollte, auf dem ein großer Empfang stattfand. Mittendrin Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Schirmherr der SAIL war und auf dem Schiff übernachtete.
Wolfhard stand nun also gemeinsam mit dem Kapitän, dem Bundespräsidenten und einer Reihe weiterer illusterer Gäste aus Stadt und Land in dessen Kajüte und wartete auf das Feuerwerk. Dann knurrte sein Magen ziemlich laut. „Ich war sicher schon 10 Stunden unterwegs und hatte keine einzige Gelegenheit gehabt, etwas zu essen“, rechtfertigt Scheer sein Bauchgrummeln noch heute ein wenig verlegen. Der Kapitän, der den Fotografen bereits von früheren Fotoaufträgen auf dem Schiff gut kannte, fackelte nicht lange und bestellte für Scheer in der Küche kurzerhand einen bunten Teller. Da in der Kabine aber der Empfang mit dem Bundespräsidenten lief, ließ der Käpt’n alles in sein angrenzendes Badezimmer liefern. „Da saß ich dann auf dem Klo vom Kapitän der „Europa“ und habe die vornehmsten Kanapees von einem Silbertablett gefuttert“, erzählt Scheer, von seiner eigenen Erinnerung sichtlich begeistert.
Zur See, zur Luft und überall helfende Hände
Bei allen lustigen Anekdoten, die ihm zu dem Fest einfallen, die SAIL – das war für Wolfhard Scheer vor allem eine sehr arbeitsintensive, aber immer auch eine unglaublich spannende Zeit. Da wurden Bücher gemacht, Kalender und Programmhefte produziert. Alle Motive, die dafür benötigt wurden, mussten in den Kasten. Am Sonntagabend war der Fotograf dann immer völlig erschossen und konnte kaum noch laufen. „Bei den großen Paraden bin ich mit gecharterten Pressebooten zwischen den großen Seglern hin und gekreuzt, um schöne Perspektiven einzufangen. Dann haben die Skipper mich direkt bis zum Flugplatz Luneort gefahren. Da stand schon eine Cessna mit laufendem Motor, damit ich noch rechtzeitig Luftaufnahmen schießen konnte, bevor die Segler weg waren“, berichtet Scheer.
Und sofort, wie immer wenn er von den großen Windjammern spricht, sprüht die Begeisterung förmlich aus aus ihm heraus. Es steht völlig außer Frage, dass sich hier berufliche Professionalität und thematische Leidenschaft des Fotografen treffen. „Das wirklich Großartige bei den SAILs war, dass die Leute mir alle so behilflich waren. Ganz egal, ob das nun die Wasserschutzpolizei war, die mich mal eben von der Strandhalle aus irgendwo hingebracht hat. Oder auch ganz wildfremde Leute, die mir geholfen haben, wenn ich mal schnell auf die andere Hafenseite rüber musste oder sonst irgendwie Unterstützung brauchte“, eröffnet er eine weitere Facette des maritimen Festes. Zur SAIL herrscht halt immer eine besondere Stimmung unter den Menschen in der Stadt. Alle arbeiten Hand in Hand zusammen und Internationalität und Völkerverständigung sind nicht nur hole Worthülsen. „Alle haben sich irgendwie lieb“, unterstreicht er und zeigt dabei auf auf ein Luftbild, das er 1986 aufgenommen hat. Es zeigt das polnische Segelschiff „Dar Mlodziezy“, wie es vor dem restlos überfüllten Deich entlang segelt, auf dem unzählige Menschen eng an eng stehen und gemeinsam die Parade genießen.
Marke bitte – Stempel drauf!
Ein weiterer Höhepunkt aus Wolfhard Scheers SAIL-Sammlung hat es sogar geschafft, bei zwei der maritimen Großseglertreffen in der Stadt eine Rolle zu spielen. Zur SAIL 2015 erschien nämlich eine Sonderbriefmarke der Deutschen Bundespost, für die Wolfhard das Motiv lieferte. Ein entsprechender Abdruck des Bildes, das er bereits bei der SAIL 2005 aufgenommen hatte, hängt an recht prominenter Stelle in seinem Büro. Es zeigt einige der großen Segelschiffe, die im Neuen Hafen an der Kaje liegen, während davor keck kleine Jollen herumkreuzen. Das Bild gibt die Stimmung und zugleich die Lebendigkeit der großen Windjammertreffen in Bremerhaven auf eine wundervoll typische Art wieder. Die Schönheit der Schiffe ist nichts ohne die Strahlkraft der Menschen, die ihnen Lebendigkeit verleihen.
Direkt neben dem Bild hängt ein Zertifikat nebst Ersttagsbriefen der Sondermarke, Begleitschreiben und Unterschrift des damaligen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble. Es sei für ihn selbst nach fast 50 Jahren Berufspraxis etwas ganz Besonderes gewesen, als die Anfrage für das Briefmarkenmotiv kam, erfahre ich. Ein bisschen stolz ist er auf seine „zackigen“ Grüße aus der Seestadt sicher auch. Die Marke erschien in einer Auflage von 5.059.000 und wurde erstmals am 6. August, mit Ersttagsstempel, in einem Sonderpostamt in den Bremerhavener Havenwelten ausgegeben.
Jedes Wetter hat seine eigenen tollen Stimmungen und Momente
Auch wenn sich das Gerüst der großen Windjammertreffen seit 1986 nicht mehr verändert hat, so ist doch jede SAIL auch immer ein kleines bisschen anders, als die vorherigen. Mal gibt es besonders viele Heißluftballone. Ein anderes Mal kommen besonders viele Segelschiffe aus Russland und der ehemaligen Sowjetunion oder es gibt eine Wiedervereinigung alter Schwesterschiffe, die es über die ganze Welt verteilt hat. Die Bilder dazu muss man sich von Fest zu Fest immer wieder neu erarbeiten, erfahre ich. Was das bedeutet, erklärt Wolfhard auch gleich – nämlich stundenlang auf dem Fest herum zu laufen, um Perspektiven zu entdecken, die auch der Vielfalt und dem Charakter dieser SAIL gerecht werden. „Ich bin sogar mal in die Rahen eines Großseglers hinauf geklettert, um den richtigen Überblick zu bekommen“, erklärt Scheer und lacht. „So was macht mir aber auch richtig Spaß“.
Das Wetter spiele immer mit die wichtigste Rolle, wie ich mir lebhaft vorstellen kann – niemand schaut sich Segelschiffe im dichten Nebel an. Aber auch weniger extreme Umstände beeinflussen die Bilder sehr deutlich. Von wo kommt der Wind? Können die Ballone dann eigentlich starten? Öffnen die großen Segler ihre Segel? Ist der Himmel bedeckt oder regnet es sogar? Trotzdem bietet jede Situation ihre eigenen tollen Reize, Stimmungen und Momente, die man einfangen muss. „So etwas kann man aber nicht planen. Man muss es entdecken. Das ist das Spannende an dem Job, den ich immer gerne gemacht habe, und auf den ich mich bei der kommenden SAIL auch wieder sehr freue“, sagt Scheer fast euphorisch. „Auch wenn das zur Folge hatte, dass ich seit 1986 nicht ein einziges Mal mit meiner Frau zusammen auf der SAIL feiern konnte“, ergänzt er leicht nachdenklich. Jede SAIL hat offenbar ihre ganz eigenen Reize, denke ich und freue mich jetzt bereits auf die SAIL 2020, die heute in genau einem Jahr stattfinden wird.
1. Unbedingt perspektivisch denken, denn das Motiv ist nur so stark, wie man es macht. Ruhig mal näher heran gehen oder die Positionshöhe verändern und dabei darauf achten, dass das Motiv im Bild etwa gleich groß bleibt. Dadurch entstehen interessante Blickwinkel, die durchaus den Unterschied in einem Bild machen können.
2. Vorher wissen, was man fotografieren will. Wenn man einfach nur wild drauf losknipst, sind schöne Bilder oft nur ein reines Zufallsprodukt. Wenn man sein Bild im Kopf hat, bevor man auf den Auslöser drückt, hat am Ende meistens das schönere Ergebnis.
3. Das Wesentliche herausarbeiten. Wenn man vor einem Motiv steht, entdeckt man oft etwas, das heraussticht. Vielleicht sogar etwas ganz besonders Charakteristisches, im Motiv oder in der Szenerie. Genau das gilt es im Bild festzuhalten.
Autor: Marco Butzkus
Schreibe einen Kommentar