Als ich zu Beginn meines Volontariats am Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven das erste Mal alleine das Erlebnismuseum erkunde und den knarzenden Dielenboden der Rekonstruktion der „Bremen“ betrete, merke ich, dass die Überfahrt nach Amerika keineswegs ein Abenteuer war. Im engen Zwischendeck war an Privatsphäre nicht zu denken. Ich stelle mir die Frage, wie sich dort Krankheiten eindämmen ließen, gerade beim Blick auf die heutigen Abstandsregeln. Deshalb erkunde ich die hygienischen Verhältnisse und die medizinische Versorgung an Bord der Auswandererschiffe. Ich gehe also auf eine Zeitreise durch das 19. und 20. Jahrhundert an Bord des Segelschiffes „Bremen“, des Schnelldampfers „Lahn“ und des Ocean Liners „Columbus“.
Hat es eine*r, haben es alle
Das Zwischendeck der Bremen im Jahr 1854 beherbergte manchmal während der Überfahrt bis zu 400 Personen. Ob krank oder gesund, alle lebten zusammen. Dadurch konnten sich Krankheiten rasant von Mensch zu Mensch übertragen. Im Jahr 1870 verpflichteten die Hansestädte Bremen und Hamburg schließlich endlich die Separierung von kranken und gesunden Auswanderer*innen. Außerdem musste seit 1877 mindestens ein Krankenzimmer für Frauen und eins für Männer mit zwei Krankenbetten pro 50 Passagier*innen auf jedem Schiff zur Verfügung stehen.
Zwischen Leben und Tod
Außerdem erfahre ich, dass es für viele Auswanderer*innen wahrscheinlicher war an einer Krankheit zu sterben als durch ein Schiffsunglück. Wenn 200 Passagiere an Bord gingen, erreichte mindestens eine Person den Zielhafen nicht mehr lebend. Das erinnert mich an die Lebensgeschichte von Helena Maeckel, der ich eben noch in der „Galerie der 7 Millionen“ gelauscht habe. Sie reiste im Jahr 1852 als zwei-jähriges Mädchen zusammen mit ihren Eltern und ihren drei Brüdern von Bremerhaven per Segelschiff nach Texas. Zwei ihrer Brüder starben auf hoher See.
Ein fader Speiseplan
Ich weiß jetzt also, dass sich Krankheiten schnell ausbreiten konnten. Deshalb steigt in mir die Frage auf, was Krankheiten auslöste. Dafür sind vor allem das faule, ungenießbare Trinkwasser und die einseitige Ernährung verantwortlich, die oft zu Mangelerscheinungen führte. Neben trockenem Brot gab es an Bord schließlich nur Sauerkraut und versalzenes Pökelfleisch. Gesunde Ernährung sieht nach unserem heutigen Wissensstand anders aus. Die sogenannte „Seefahrer-Krankheit“, Skorbut, kommt mir dabei wieder in den Sinn, die durch einen Vitamin C-Mangel einen Ausfall der Zähne verursacht. Sie stammt vom lateinischen Wort „scorbutus“ und bedeutet so viel wie „Mundfäule“.
Dem Wellengang ausgeliefert
Neben unzureichender Ernährung überkam manche Auswanderer*innen auch eine Krankheit, die bestimmt einige von euch kennen – die Seekrankheit. Viele von ihnen kamen auf der wochenlangen Reise nicht damit zurecht, dass das Schiff von der einen zur anderen Seite schwankte. Und für viele Auswanderer*innen war das ihre erste Begegnung mit einem Schiff und die erste Erfahrung auf hoher See unterwegs zu sein. Für einen Körper, der aufgrund der einseitigen Ernährung sowieso schon geschwächt war, konnte die Seekrankheit drastische Folgen haben.
Grundbedürfnisse müssen gestillt werden
Als ich das Zwischendeck des Segelschiffes „Bremen“ schon fast wieder verlassen möchte, fällt mir eines auf. Wo ist überhaupt die Toilette? Gab es nicht. Zumindest nicht so, wie wir sie heute kennen. Auswanderer*innen stand damals nur ein schlichter Eimer zur Verfügung. Nach sanitären Anlagen an Bord hätten sie lange suchen können. Auf meinem Rundgang durch die Schiffsräume lerne ich auf dem Schnelldampfer „Lahn“ jedoch, dass sich die hygienischen Verhältnisse an Bord immer mehr verbesserten. Während im Zwischendeck keine Toilette vorhanden war, gab es auf dem Schnelldampfer „Lahn“ um 1880 zumindest ein WC. Für viele Menschen, die dritte Klasse reisten, war das purer Luxus, den sie sogar von daheim aus nicht kannten. Dort gab es vor allem Plumpsklos.
Endlich Verbesserungen in Sicht
Neben einer Toilette mussten sich Auswanderer*innen nicht mehr mit salzigem Meerwasser waschen, denn ihnen stand endlich Süßwasser zur Verfügung. Außerdem gab es an Bord jetzt auch frisches Trinkwasser. Ein wahrhaftiger Komfort im Gegensatz zum Segelschiff „Bremen“. In den Schiffsräumen des Ocean Liners „Columbus“ merke ich, dass sich im Hinblick auf die sanitären Anlagen auch zu dieser Zeit um 1929 nochmal einiges verbessert hat. Denn von einer eigenen Waschmöglichkeit in der Kabine, so wie ich sie erkenne, konnten Passagier*innen der „Lahn“ nur träumen. Sie mussten sich schließlich noch mit Gruppenwaschräumen begnügen, auch wenn dies eine wahre Verbesserung gegenüber der „Bremen“ war.
Quälender Gestank
Und wie sah es mit allgemeiner Hygiene aus? Momentan sind Desinfektionsmittel nicht mehr wegzudenken und in meiner Tasche liegt immer eins parat. An Bord der Segelschiffe im 19. Jahrhundert waren Desinfektionsmittel, so wie wir sie heute kennen, nicht vorhanden. Schmutz und anfallende Abfälle verteilten sich oft auf dem Boden und sorgten zusammen mit der nassen Feuchtigkeit zur Verbreitung von Krankheitserregern. Als Reinigung diente ausschließlich Essig und heißer Teer, der vom Schiffspersonal provisorisch im Zwischendeck verteilt wurde.
Wenn ich an vergangene Reisen von mir zurückdenke, merke ich, dass ich in medizinischer Hinsicht immer Bestens ausgestattet war. Egal ob Tabletten bei Übelkeit, Pflaster oder ein Gel gegen Insektenstiche, das alles war in meinem Koffer immer griffbereit. Mein Besuch auf der „Bremen“ macht mir, genau wie der Weltgesundheitstag am 7. April dieses Jahres zum Thema „Gesundheitliche Chancengleichheit“, aber wieder bewusst, dass ich dabei aus einer previligierten Position spreche. Schließlich hat heute weltweit leider nicht jede Person Zugang zu einer ausreichenden Gesundheitsversorgung. Auf Reisen weiß ich ganz genau, welche Medikamente ich bei mir habe und vor allem, dass ich sie selbstständig nach meinen Bedürfnissen ausgewählt habe. Auswanderer*innen im 19. Jahrhundert konnten dies nicht. Denn sie waren dem Kapitän und dessen meist nicht vorhandener medizinischer Kenntnisse ausgeliefert. Er entschied eigenständig, welche Medikamente für die Passagier*innen hilfreich sein könnten. Die Menge der Medikamente war zudem sehr begrenzt, denn auf einem Segelschiff gab es meist nur eine kleine Medizinkiste.
Gibt es hier irgendwo einen Arzt?
Das Fehlen eines Arztes an Bord fiel den meisten Passagieren an Bord eines Segelschiffes gar nicht erst auf, schließlich waren sie diesen Missstand von Zuhause an gewohnt. Auf dem Land gab es meist nur einen Arzt in weiter Entfernung und für viele städtische Bewohner*innen war das Aufsuchen eines Arztes schlicht und einfach zu teuer. Zumindest zum Ende der 19. Jahrhunderts kamen erste Verbesserungen, als im Januar 1887 eine Bestimmung veröffentlicht wurde, die erklärt, dass auf jedem Schiff mit mehr als 50 Passagier*innen ein approbierter Arzt mitreisen musste.
Draußen an der frischen Luft organisiere ich meine Eindrücke und Gedanken, die ich im Deutschen Auswandererhaus sammeln durfte. Die Frage nach der Medizin und der Hygiene an Bord hat mich bei meinem Besuch wieder einige neue, spannende Fakten gelehrt. Ich merke, dass mich eine Dankbarkeit erfüllt. Dankbarkeit dafür, dass ich auf Reisen meine Reiseapotheke immer guten Gewissens dabeihabe. Dankbarkeit dafür, dass ich jeden Tag die Möglichkeit habe frisches, genießbares Wasser zu trinken. Und vor allem bin ich dankbar darüber, dass meine bisherigen Reisen immer nur ein Vergnügen darstellten.
Melanie Holz, Deutsches Auswandererhaus Bremerhaven
Tel.: 0471 / 90 22 0 – 0, E-Mail: info@dah-bremerhaven.de
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www.dah-bremerhaven.de
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