An ihrem 15. Geburtstag bekommen Mädchen in Teilen Lateinamerikas ein besonderes Fest geschenkt, die Quinceañera. Es ist ein Fest mit der ganzen Familie, viel Musik und Essen, das Geburtstagskind bekommt ein opulentes Kleid. Die Kleine ist jetzt groß – auch wenn ja oft noch im Wachstum. Am vergangenen Freitag feierte das Deutsche Auswandererhaus Bremerhaven auch eine Art Quinceañera. Denn am 7. August 2020 zelebrierte es nicht nur sein 15-Jähriges Bestehen am Neuen Hafen Bremerhavens. Grade wächst es zu einem größeren und noch vielschichtigeren Museum heran und bekommt dafür ein spektakuläres, neues Outfit: Geburtstag und das Richtfest für den Neubau verbanden sich. Ich war an diesem Tag dabei und durfte mit Kollegen, Kolleginnen und Gästen auf dem Fest auf der Museums-Baustelle zurück und nach vorne schauen.
Quinceañeras sind Feste voller Rituale, Traditionen und Symbole. Auch das haben sie mit „normalen“ Geburtstagen und Richtfesten gemeinsam. Sie alle sind Übergänge vom Alten zum Neuen. Deswegen sind Abschiede und Abschlüsse in ihnen ebenso wichtig wie erste Schrittegen Zukunft. Bei dem schönen, etwas sehr warmen Sommerwetter, waren letzten Freitag Gäste und Mitarbeiter auf der Baustelle versammelt und lauschen den traditionellen Grußworten.
Viele Paten, viele Erinnerungen
Denn dieses aufblühende Projekt hat viele Paten und Patinnen: Der Bund und das Land Bremen unterstützen das Bau-Projekt mit mehr als zwölf Millionen Euro, die Stadt Bremerhaven gab den Baugrund dazu. Da dürfen BEAN-Geschäftsführer Nils Schnorrenberger, Bremens Wissenschaftssenatorin Dr. Claudia Schilling und Bremerhavens Oberbürgermeister Melf Grantz nicht fehlen. Und ohne Museumsdirektorin Dr. Simone Eick und den Architekten des Deutschen Auswandererhauses, Andreas Heller, könnte dieser Ort nicht stehen. Die traditionelle Kranzhängung bekommt dann mit einem serbokroatischen Gruß und norddeutschem Korn einen besonderen – zum Migrationsmuseum passenden – Charakter. „živeli!“
Die 180 geladenen Gäste stehen bei einer leichten Brise an den großen Tischen – natürlich nicht zu nah in diesem Sommer -, trinken Erfrischendes, applaudieren den Reden, swingen zur Musik der „Men in Blech“ aus Hamburg und plaudern. Über das kommende „Garagenmuseum“ und die Acadamy of Comparative Migration Studies (ACOMIS), in der wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit Museumspädagogik und Migration Platz finden, über ihre Neugier auf die ungewöhnliche Außenfassade und die Konzeption des neuen Museumsteils. Und natürlich über Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen aus den letzten 15 Jahren.
Back in 2005
Auch wenn die „Men in Blech“ mit einer sommerlichen Energie loslegten,- damals war die Party noch wilder, denn die Hamburger Band „Fettes Brot“ brachte 2005, zur Eröffnung, über 5000 Menschen zum Springen, Tanzen und Singen: Ihre Ohrwürmer begeisterten damals Millionen junger Leute. Und offenbar hatte auch die Band großen Spaß und ein Herz für das Museum, das bis heute über 2,75 Millionen Besucher und Besucherinnen hatte, – denn zum ersten Geburtstag kamen sie gleich wieder. Und zum offiziellen Teil der Eröffnung ließen Gäste wie der damalige Bundesinnenminister Otto Schily, der US-Botschaftsrat John A. Cloud und der Regierungschef Bremens, Henning Scherf, nicht auf sich warten.
Mehr als ein Haus am Neuen Hafen
Seit seiner Gründung 2005 ist das Deutsche Auswandererhaus aber auch ohne Popband und Politprominenz eine Besonderheit. In den 1980er noch bloße Idee engagierter Bürger wurden erst ein Verein – „Iniativkreis Erlebniswelt Auswanderung“ – und dann eine Stiftung gegründet, und mit viel Leidenschaft für dieses Stück Bremerhavener Geschichte geworben. Architekt Andreas Heller konzipierte und entwarf an der Hafenpromenade das Haus, das von einer winkenden Frau mit Taschentuch inspiriert ist. Auch die neuen Ausstellungs- und Gebäudeteile sind von Andreas Heller designed. Dr. Simone Eick arbeitete ab 2003 an der Entwicklung des ambitionierten Projekts mit.
Damals wie heute hat die erlebbare Geschichte der Ein- und Auswanderung ein ganz außergewöhnliches Konzept und ist eine bemerkenswerte Museumserfahrung – und das Deutsche Auswandererhaus noch weit mehr als „nur“ das erste Migrationsmuseum Deutschlands. Das fand 2007 auch das Europäische Museumsforum EMF und zeichnete das junge Haus mit dem „Museum of the Year Award“ aus. Im Gespräch am Festtisch nennen den Preis manche aber auch liebevoll „Museums-Oscar“.
Vom Aus- zum Einwandern
Schnell setzte sich das Museum in seinen Sonderausstellungen auch mit Einwanderung auseinander. Dr. Simone Eick erzählt „Nach den zahlreichen Debatten, die in den ersten 2000er Jahren sowohl politisch als auch gesellschaftlich sehr heiß und kontrovers geführt wurden, spürten wir, dass die Zeit gekommen war, Einwanderung auch dauerhaft zu präsentieren“. Und so begannen sie und das Team des Auswandererhauses für ein neues Projekt Unterstützer und Unterstützerinnen zu werben: 2012 eröffnete – mit Hilfe des Bundes und des Landes Bremen – der erste Erweiterungsbau, der die Geschichte der Einwanderung und vor allem der Einwandernden nach Deutschland erzählt. Das Design – vom äußeren Gebäude bis zum Design der mehrstöckigen Ausstellungsräumen – stammten wieder aus der Feder Andreas Hellers. Der Bau war noch einmal mit einem ganz neuen, kreativen und dabei ebenso themensensiblen Konzept wie das bisherige Museum gestaltet.
Kein Wunder, dass die Anwesenden versuchen, die Mitarbeitenden am zweiten Anbau ein bisschen auszuhorchen. Die Direktorin lächelt: „Wir sind ein flexibles, mobiles Museum – wir wachsen mit dem Einwanderungsland Deutschland.“ Ein paar wichtige Details sind und bleiben bis zum frühen Sommer 2021 wohlgehütetes Geheimnis der Planenden.
Offene Türen, offene Konzepte
So öffnete sich das Deutsche Auswandererhaus mit den Jahren auch vielen unterschiedlichen Ideen, Bereichen und Menschen: Außergewöhnliche Autoren und Autorinnen, wie der früh verstorbene Intellektuelle Roger Willemsen oder die Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller statteten dem Haus ebenso einen Besuch ab, wie berühmte Politiker und Politikerinnen: von amerikanischen Botschaftern bis Bundespräsidenten. Und natürlich, als guter Nordseebürger, Otto Waalkes. Ein kleiner Held meiner Kindheit. Wer sich heute, am Tag des Geburtstags, nostalgisch mit wem aufhält, ist da bunt gemischt, wie die illustren Gäste selbst.
Doch nicht nur für Kunst und Politik schuf man mehr Raum: Mit dem Kalliope-Preis für praxisorientierte Migrationsforschung zeichnet das Deutsche Auswandererhaus zusammen mit der Stiftung Deutsches Auswandererhaus seit 2015 wichtige wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Migration aus. 2015 ging die erste Auszeichnung an Prof. Dr. Markus Tiedemann, der inzwischen an der Universität Dresden arbeitet und Didaktik der Philosophie und Ethik lehrt. Weitere spannende Köpfe folgten. Heute ist der Preis mit 20.000 Euro dotiert und europaweit ausgeschrieben.
Ein Museum bleibt in Bewegung
Aus diesen Wachstums- und Entwicklungsprozessen entstand so fast selbstverständlich die Idee, die an diesem Tag alle Gäste auf die Baustelle führte: Migration als etwas zugänglich zu machen, über das man sprechen kann und muss, aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und offen für neue Gedanken und andere Menschen. Das Deutsche Auswandererhaus ist groß geworden – und ist doch noch voll im Wachstum.
Von Magdalena Gerwien, Deutsches Auswandererhaus
Tel.: 0471 / 90 22 0 – 0, E-Mail: info@dah-bremerhaven.de
www.dah-bremerhaven.de
Öffnungszeiten:
März bis Oktober: 10 bis 18 Uhr (montags bis sonntags)
November bis Februar: 10 – 17 Uhr (montags bis sonntags)
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