Rote Zipfelmütze, weißer Bart und kecker Blick: Was ein Tiroler Gartenzwerg mit Bomben am Meeresboden zu tun hat und wie er in Bremerhaven als blinder Passagier auf das Forschungsschiff HEINCKE kam, davon kann Cornelia Riml berichten. Vor deren Kameralinse schaffte es der 30 Zentimeter kleine Gulliver immer wieder. Der Zwerg wird Teil eines Vermittlungskonzepts im Deutschen Schifffahrtsmuseum (DSM) / Leibniz-Institut für Maritime Geschichte für das „North Sea Wrecks„-Projekt.
Cornelia Riml lächelt verschmitzt beim Griff in die Handtasche. Sie zieht ein Männlein mit Zipfelmütze und weißem Bart hervor und stellt es auf den Tisch. „Das ist Gulliver“, stellt die 32-Jährige mir ihren Begleiter vor. In dessen Namen klingen bereits Abenteuerlust und Fernweh mit. Jüngst erkundete er als blinder Passagier das Forschungsschiff HEINCKE des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Wie es dazu kam, erzählt Riml mir charmant, sodass ich unwillkürlich lächeln und staunen muss. Sie vermag es, Familiensaga und Forschungsauftrag zu verweben, sodass ich immer wieder gebannt nachfrage: „Und was passierte dann?“
Gulliver schnuppert Nordseeluft
Riml ist als Mitarbeiterin des DSM Teil der Wissenschaftscrew des EU-Projekts „North Sea Wrecks“. Die Forschenden untersuchen zusammen mit internationalen Partner*innen die Gefahren versunkener Munition auf dem Grund der Nordsee und fuhren für Proben im April 2021 ins Seegebiet westlich von Helgoland. Riml war mit dabei. Im Gepäck hatte sie ihre Kamera – und Gulliver. Die gebürtige Innsbruckerin begleitete die Expedition filmisch und fotografisch. Seit die Tirolerin der bergigen Heimat den Rücken kehrte, ist das Familienmaskottchen stets an ihrer Seite. Es grüßt die Eltern aus allen Ecken der Welt auf Fotos. „Nachdem wir als Kinder den Gartenzwerg unserer Nachbarin entführten, um etwas Vertrautes von ihr im Urlaub dabei zu haben – sie konnte leider nicht mitkommen – schenkten mir meine Eltern später eine kleinere Ausgabe, damit ich auf meinen Reisen stets auch von einem Stück Heimat begleitet werde“, lüftet Riml das Rätsel um die Herkunft des Zwerges. Ich höre gern zu, wie sie die Worte gemütlich wiegend betont und dadurch ihre Herkunft aus der Alpenregion verrät.
Moin statt Griasti
Nun moinmoint Gulliver bald kleinen Gästen vor dem DSM entgegen. Erste Ergebnisse des NSW-Projekts zeigt die Wanderausstellung „Toxic Legacies of War – North Sea Wrecks“ vom 11. bis 15. August zeitgleich zu den „Maritimen Tagen“. Die Public History-Studentin der Universität Bremen schrieb das Vermittlungskonzept für Kinder dazu. „Ich habe eine Bildgeschichte konzipiert, auf der Gulliver das Leben an Bord der HEINCKE zeigt und das Wissenschaftsprojekt spielerisch erklärt.“ Zu sehen ist Gulliver auf der Brücke, wo er sich ordnungsgemäß beim Kapitän anmeldete, in der Kombüse, neben den Messinstrumenten und an Deck mit Blick auf Bremerhaven.
Blickfang mit Zipfelmütze
Wenn Riml an die Forschungsausfahrt zurückdenkt, muss sie lächeln: Der kleine Star Gulliver zog an Bord schnell alle Blicke auf sich – und Riml: „Stell Dir vor, eine Tirolerin kommt auf ein Forschungsschiff und hat einen Gartenzwerg dabei – alle dachten, die kann nur verrückt sein oder ziemlich cool“, erinnert sie die ersten Reaktionen, die sofort das Eis brachen und sie Teil der Crew werden ließen. Doch nicht nur das Maskottchen war Teil der Bordgespräche, Rimls Background ebenso.
Von der Forschungsausfahrt in die Familiengeschichte
Vier Tage auf der HEINCKE brachten der jungen Frau Erinnerungen ihrer Familiengeschichte zurück ins Bewusstsein. 1932 verschlug es ihren Großvater Walter Riml, berühmter österreichischer Kameramann und Schauspieler, zum ersten Mal nach Grönland. Für den Film „SOS Eisberg“ stand der 2,05 Meter „lange“ Tiroler in Fellanzug und mit Walfett eingeschmiert als Schauspieler vor der Kamera. Während des damaligen siebenmonatigen Aufenthalts barg er sogar die Signalflagge Alfred Wegeners aus dem Eis.
Die Liebe zum Norden
1935 zog es ihn erneut ins Nordland. Dieses Mal hinter die Kamera. Walter Riml schrieb Geschichte in doppelter Hinsicht: Er brach zur ersten Zwei-Mann-Expedition nach Grönland auf, um weitere Aufnahmen für den Alfred Wegener-Gedenkfilm „Das große Eis“ zu drehen. Auf dem rund fünf Kilometer langen Filmmaterial waren Gletscherkalbungen, die Lebensweise der Inuit und nicht gekannte Naturaufnahmen verewigt. Rund 90 Jahre später steht seine Enkelin an Bord eines Schiffes vom Alfred-Wegener-Institut, macht Film- und Foto-Aufnahmen von Taucher*innen und Wissenschaftler*innen, wie sie Proben nehmen und untersuchen. Das Gen für Abenteuer- und Reiselust hat sie wohl vom Großvater.
Brückenschlag in die Familienhistorie
„Natürlich kannte ich die Vergangenheit meines Großvaters – meine Eltern gründeten auf Basis seines Nachlasses das WaRis – Tiroler Filmarchiv samt kleinem Film-Museum. Mein Großvater starb aber, als ich noch ein kleines Kind war. Daher erfahre ich vieles über sein Leben erst jetzt neu und lerne ihn auf eine andere Art und Weise kennen – es eröffnen sich neue Verbindungen und Perspektiven für mich und das ist besonders wertvoll.“
Gulliver erzählt Geschichte
Als Studentin der Public History entdeckte sie das Vermitteln und Erzählen von Geschichte neu für sich und folgt damit im Weitesten Sinne der Riml’schen Familientradition. Die Filme ihres Großvaters sind wichtige Zeugnisse der Zeitgeschichte. Cornelia Riml lässt für ihre Geschichten im DSM Gulliver den Vortritt. Ihr Vermittlungskonzept verdeutlicht Kindergarten- und Grundschulkindern anhand der Fotos mit Gulliver, dass es in einem Forschungsschiff teilweise zugeht, wie in jedem Haus. Das von ihr erarbeitete Konzept ist Inhalt ihrer Masterarbeit in Public History. „North Sea Wrecks ist ein internationales Pionierprojekt, in dem Grundlagenarbeit für Meeres- und Umweltschutz geleistet wird. Das finde ich sehr reizvoll. Ich möchte Kinder spielerisch für die Forschung begeistern und sie behutsam mit diesem spannenden Thema vertraut machen, das Geschichte und Meeresschutz vereint.“
Von: Annica Müllenberg
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