16. Oktober 2021, 19.30 Uhr, Kleines Haus. Ich bin aufgeregt und voller freudiger Erwartung. In ihrer ersten Premiere der Spielzeit 2021/2022 fragt die NDB Waterkant: Bi mi to Huus, Klock fief? Ich durfte in den vergangenen Wochen den gesamten Entstehungsprozess begleiten. Und ich stelle fest: Produktion & Proben, Inszenierung & Spiel haben ein Quäntchen von Netflix, US-amerikanischer Sitcom, Beuys, Debütant*innen Ball, Hula-Hoop, Strafzettel und Fußballkommentatoren. Wie, denkt ihr jetzt? Wie kann ein plattdeutsches Theaterstück der NDB Waterkant all das vereinen? Liebe Leser*innen, övertüügt jo sülvst, überzeugt euch selbst…
Torüch op Anfang
Zurück auf Anfang. Im Leseausschuss der NDB Waterkant beginnt die Planung der Spielzeiten. Hier werden plattdeutsche Stücke gelesen und auf ihre „Spiel -Tauglichkeit“ geprüft. Ich rufe Regina Bührig an. Sie ist eine von sechs NDB Waterkant Mitgliedern, die im Leseausschuss sitzen. „Wir hatten für die Spielzeit 2021/2022 natürlich ganz andere Stücke geplant und mussten nun kurzfristig umstrukturieren. Die Pandemie wird uns ja noch ein Weilchen begleiten.“
Safety first, please
In der vergangenen Spielzeit 2020/2021 konnte die NDB Waterkant zumindest eine Zeit lang das Zwei-Personen-Stück Min Mann und siene Wiever spielen. Der Leseausschuss der Niederdeutschen Bühne Waterkant beschließt auf Sicherheit zu gehen – und für die Spielzeit 2021/2022 drei Zwei-Personen-Stücke wie Bi mi to Huus, Klock fief? einzuplanen.
Sie sind eine Traumfrau. Un Se een Glattschnacker!
Bi mit to Huus, Klock fief?
6 aus 25
Nun, Zahlen sind nicht soo mein Ding, ich bin eine Wortjongleurin. Aber selbst mein persönlicher Adam Riese kann mir flüstern, dass somit in dieser Spielzeit 2021/2022 lediglich sechs Mitglieder der NDB Waterkant auf der Bühne werden stehen dürfen. Von 25 heiß und spielwilligen Laiendarsteller*innen! Und nu, was tun, sprach Zeus?
Give young people a chance
Nicht Zeus, sondern Meike Wiemken, die 1. Vorsitzende der NDB Waterkant, kann mir die Antwort darauf geben. Ich locke sie deshalb – à la Hänsel und Gretel – mit einem echten italienischen Cappuccino zu mir nach Hause. „Eines unserer obersten Ziele ist es, die Niederdeutsche Bühne Waterkant in die nächste Generation zu tragen. Wir konnten vor einiger Zeit junge Menschen für unseren Verein gewinnen. Und die, die auf die Bühne wollen, denen geben wir selbstverständlich die Chance. Bi uns kann elk een Star warrn. Keen Probleem!“, erzählt mir Meike enthusiastisch und mit weit ausgebreiteten Armen an meinem Küchentisch. Sie selbst stand übrigens bereits im Bauch ihrer Mama auf der Niederdeutschen Bühne Waterkant.
De nix woogt, de nix winnt!
Bi mi to Huus, Klock fief?
Gleich two stars are born
Für die beiden Rollen in Bi mi to Huus, Klock fief? haben Verena Hoechst und Hannes Riep sofort das Ärmchen gehoben. Die 28jährige Verena ist schon en alen Hoor – eine alte Häsin. Sie sitzt im Vorstand der NDB Waterkant und Bi mi to Huus, Klock fief? ist ihre fünfte Produktion. Der 22jährige Hannes hingegen ist ein wahrer Debütant. Bis dato hat er weder Plattdeutsch gesprochen noch auf einer Bühne gestanden. Nienich snackt – nienich speelt– im Grunde die zwei tragenden Säulen der Niederdeutschen Bühne Waterkant! WOW, denke ich. Was für eine Story. Das denkt sich auch die Zeitung und kommt vorbei, um zu ergründen, was junge Menschen heutzutage motiviert, niederdeutsches Theater zu spielen.
Ein Stück, das es in sich hat
Ich lese mir vorab extra nichts durch zu Bi mi to Huus, Klock fief?. Ich will mich überraschen lassen und spiele Mäuschen bei einer Probe. Kaum habe ich es mir in einer Ecke bequem gemacht, geht’s auch schon ab: Schmissige Dialoge und viel Wortwitz. Blitzschnelle Kostüm-Umzüge und subtile, wohl durchdachte Übergänge. Und – ihr erinnert euch einen Absatz weiter oben – Debütant Hannes? Plötzlich steht er da in der Rolle des smarten Geschäftsführers Andreas und rezitiert einen 30sekündigen Monolog! Wie Heribert Faßbender in seinen besten Zeiten! Natürlich hakt und hängt es noch an vielen Ecken und Enden – ist ja schließlich ne Probe. Nach zwei Stunden Probenzeit hole ich gefühlt das erste Mal wieder Luft und denke: Schiet aver ok!
Na höört Se mol! Se glöövt doch nich, dat ick bloots Eher ollen Brötchen vernaschen much.
Bi mi to Huus, Klock fief?
How I met your mother op Platt
Nach dieser Probe knöpfe ich mir natürlich als Gute Nacht Lektüre den Inhalt vor. Es geht um die Singles Celine und Jan-Marc. Sie wohnen im selben Wohnhaus, kennen sich allerdings nur vom Sehen. Beide sind des Alleinseins überdrüssig. Dating-Plattformen sind jedoch nicht ihr Ding. Sie wollen lieber old school ihre*n zukünftige*n Partner*in im Umfeld finden. Beide haben jeweils fünf Rendez-Vous. Die allesamt eher floppen statt slumpen (fluppen). Am Ende finden Celine und Jan-Marc zueinander. Und erzählen den Zuschauer*innen ihren Zueinander-Findungs-Prozess in der Rückschau. Wie Ted Mosby in How I met your mother. Er erzählt seinen Kindern in neun (!) Staffeln, wie er die Mutter kennengelernte. Allerdings können Darsteller*in Hannes und Verena nicht „Cut“ rufen oder mal absetzen: Sie müssen jeweils sechs Rollen und Charaktere ohne Pause durchspielen. Eine gigantische Herausforderung. Ich denke wieder datsülbige as boben: Shiet aver ok!
Dein & dein & dein Typ wird verlangt
Ich spiele noch einmal Hänsel und Gretel und locke Regisseur Guido Fuchs in meine Küche. Guido ist son lässiger Berliner, wa, freischaffender Schauspieler mit einem Rucksack voll Erfahrung auf und hinter der Bühne. Zum 5. Mal führt er Regie für die Niederdeutsche Bühne Waterkant. „Ike war anfangs nicht so begeistert von der Besetzung“ – gesteht er mir nach dem ersten Schluck Cappu – „beide sind noch so jung. Jede*r muss sechs total unterschiedliche Charaktere spielen, da sind Lebens- und Bühnenerfahrung eindeutig von Vorteil. Aber: Verena und Hannes wollen diese Herausforderung annehmen. Dann ike doch ooch, oder? Ist doch klar!“
Dree Stünnen Huusarbeit, um mien Wohnen so’n beten verföhrerisch hertorichten…
Bi mi to Huus, Klock fief?
Schon Feierabend? Och, nööö!
Ein paar Wochen später schaue ich mir einen sogenannten Probendurchlauf an. Verena und Hannes müssen das 90 Minuten Stück non-stop durchspielen. Ich bin baff. Es ist wie in Absatz sieben – aber ohne Haker oder Hänger! „Ich habe behutsam Regie geführt, eher Schauspielschule betreiben, damit Verena und Hannes schichtweise die unterschiedlichen Charaktere herausarbeiten können“, erklärt mir Guido. „Der Löwenanteil gebührt aber eindeutig den beiden! Sie sind so fleißig. Und damit oft vorbereiteter als mancher Profi! Mit „Feierabend“ brauch‘ ich denen gar nicht zu kommen! Ike bin so stolz auf die beiden!“ Ich schaue zu Hannes und Verena – beide lächeln verlegen. Der NDB Probenraum knistert förmlich vor positiver Energie. „Ich sach‘ immer: Das allerwichtigste ist, Spaß zu haben auf den Proben“, unterbricht Guido die Stolz-Wie-Oskar-Stille. Spaß? Den hatten sie, versichern mir alle unisono…
Beuys lässt grüßen
…und erzählen mir die Geschichte vom Gipsbein. Josephine, Jan-Marcs Date Nr. 3, hat sich das Bein gebrochen. Die Kostümabteilung des Stadttheaters fertigt dafür ein Gipsbein an. Bei einer dieser regelmäßigen Stoßlüftungen wird das Gipsbein zum Fensterkeil zweckentfremdet. Als Regisseur Guido nach der Probe heimgehen will, sieht er das Gipsbein auf dem Bürgersteig liegen. Komplett nass – von einem dieser überregional bekannten Bremerhavener Regenschauer. Guido geht zurück in den NDB Probenraum und stellt das triefende Bein in den Mülleimer zum Trocknen. Na, schwant euch etwas?… Genau! Am nächsten Morgen wird der Probenraum wie üblich saubergemacht – und der Mülleimer geleert. Wie sich das gehört. Gacker – ich muss direkt an Beuys‘ Fettwanne 1973 denken! Auf dem Foto seht ihr übrigens Gipsbein #2.
Wenn ick di recht verstohn heff, dann bün ick ja in düsse Geschicht de eenzig Normale.
Bi mi to Huus, Klock fief?
Showtime – Die NDB Waterkant fragt: Bi mi to Huus, Klock fief?
Da sitze ich nun im Kleinen Haus des Stadttheaters Bremerhaven und bin genauso aufgeregt wie Verena und Hannes, Regisseur Guido, Inspizient Emil, Souffleuse Sophie…Es geht los. Die NDB Waterkant fragt: Bi mi to Huus, Klock fief? Auf dem durchsichtigen Vorhang erscheint der Titel eingeblendet wie in einer Netflix-Serie. Der Vorhang geht hoch… „Halt!“, ruft ihr aufmerksamen Leser*innen jetzt, „Du hast Hula-Hoop und Strafzettel vergessen – und überhaupt!“. Hmm, hab‘ ich? Oder hab‘ ich nicht…Schaut euch das Stück an – und schreibt mir im Kommentar, ob ich hab‘ oder ob ich nicht hab‘. Ik wünsch jo goot Ünnerhollung!
Guido Fuchs
Vielen Dank, einfach großartig geschrieben das Macht Lust auf mehr. Es wäre so großartig wenn gerade für die beiden Hauptdarsteller ein großes Publikum angelockt wird damit sie noch viel viel Applaus erhalten und damit noch mehr Lust für noch mehr Arbeit auf der Bühne bekommen
Ilka D'Alessandro
Herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Die beiden Darsteller*innen spielen wirklich großartig.
Und da das Stück wirklich einfach – nicht platt (!) – zu verstehen ist, braucht’s gar nicht viel Platt-Wissen.