Wenn ich an „Nachts im Museum“ denke, kommen mir als erstes Szenen aus dem gleichnamigen Film in den Sinn: Ben Stiller kämpft im New Yorker Naturkundemuseum gegen unerwartete Eindringlinge und die Exponate des Museums werden lebendig. Meine liebste Szene ist die, in der die große Steinfigur den Nachtwächter nach einem Kaugummi fragt. Als Nachtwächter in einem Museum zu arbeiten scheint ein großes Abenteuer zu sein – zumindest im Film. Doch wie sieht es in der Realität aus? Ich habe mich mit Torsten Gernhoff, einem von zwei Nachtwächtern des Deutschen Schifffahrtsmuseum getroffen und ihn auf seiner Runde durch die Ausstellungen begleitet.
Das Wichtigste muss mit
Es ist kurz vor sechs. In wenigen Minuten schließt die Ausstellung in der Kogge-Halle und auch die Türen zu den Sonderausstellungen „360° POLARSTERN – Eine virtuelle Forschungsexpedition“ und „SEA CHANGES – Welt & Meer im Wandel“ werden geschlossen. Die Abenddämmerung glitzert in den Fenstern der Kogge-Halle und die Holzplanken des mehr als 600 Jahre alten Wracks werden von den Bodenlampen blaugrün in Szene gesetzt. Torsten ist bereits vor Ort, um mit den Kollegen von der Kasse eine kurze Übergabe für die Nacht zu machen. Er richtet sich schon einmal ein: der Mitternachtssnack kommt in den Kühlschrank, alle Unterlagen werden bereitgelegt, nötiges Equipment wird gecheckt. Zu Torstens Ausstattung gehört neben einer Taschenlampe und dem Diensthandy auch ein kleiner Scanner. Auf dem ganzen Gelände sind kleine Check-Points verteilt, die er auf seiner Route scannen muss.
„Nein, Angst hatte ich als Nachtwächter nie.“
Wir starten zur ersten Tour durch das Museum. In dieser Nacht wird es noch weitere geben, die sich jedoch kaum voneinander unterscheiden. Wir überprüfen alle Türen und schließen – wenn nötig – ab. Ein kurzer Abstecher in die Büros beider Gebäude. Auf dem meterlangen Flur im Verwaltungstrakt, erleuchten nur die Notausgangsschilder den Weg. Ein kurzer Blick, ob alle Lichter ausgeschaltet sind und ob die Türen abgeschlossen wurden. Sollte das nicht der Fall sein, wird es notiert. Jede noch so kleine Auffälligkeit wird handschriftlich in einer Liste eingetragen, um für die kommenden Schichten eine Übersicht zu haben.
Ich frage Torsten, ob er schon mal Angst hatte. Er überlegt kurz, schüttelt dann aber den Kopf und verneint. Der Nachtwächter war allerdings auch einige Jahre Soldat, vielleicht liege es daran, erzählt er. Er erzählt jedoch auch von einer Nacht, in der er sich zumindest ziemlich erschrocken habe. „Ich kam bei meiner ersten Runde von der Hintertür zurück und dann standen da plötzlich ein paar junge Männer vor mir. Anscheinend war die Tür noch nicht abgeschlossen.“ Es stellte sich jedoch heraus, dass die Männer sich einfach nur umschauen wollten und es ihnen tierisch unangenehm war, dass sie wohl nicht ganz erwünscht waren. Die Herren entschuldigten sich, nachdem Torsten sie nett raus bat und gingen ohne Widerworte.
„Zu jeder Nacht gehört eine gute Portion Kaffee“
Seit 2014 ist Torsten nun schon Nachtwächter am Deutschen Schifffahrtsmuseum. Im Laufe der Jahre hat er eine Routine entwickelt. Immer wieder betont er: „Ich fühle mich wohl hier!“. Dazu zählt er auch das gute Miteinander der Kollegen.
Zu seinem Nachtdienst gehört auch eine gesunde Verpflegung, die sei wichtig für die Konzentration. Und Kaffee. „Zu jeder Nacht gehört auch eine gute Portion Kaffee!“ Ich stelle mir vor, wie er im warmen Schein der Nachtbeleuchtung an der Kasse sitzt und sich eine Tasse eingießt. Auch an den veränderten Schlafrhythmus gewöhne man sich schnell. Ich gähne und Torsten schmunzelt. Für mich wäre so ein Nachtdienst sicherlich nichts. Ich frage ihn, was er in der Nacht macht, um sich die Langeweile zwischen den Touren zu vertreiben. „Ich lese die Zeitung, mache auch mal ein Kreuzworträtsel und trinke einen Kaffee.“ Ich erkenne schon: der Kaffee scheint wirklich wichtig zu sein. Das wundert mich nicht. Torsten ist es wichtig, jederzeit konzentriert zu sein. Fernsehen schauen oder Netflix streamen dürfen er und seine Kollegen nicht und das hält er auch für sinnvoll.
„Wer den Job macht, muss sich seiner Verantwortung bewusst sein.“ Doch nicht nur Verantwortungsbewusstsein ist Voraussetzung für den Job als Nachtwächter im Deutschen Schifffahrtsmuseum. Auch eine Unterrichtung nach §34a der Gewerbeordnung, auch Bewachungserlaubnis, ist notwendig. Und ein wenig Einarbeitung „Nachher ist das aber in Fleisch und Blut.“ Diesen Eindruck habe ich bei ihm auf jeden Fall. Routiniert öffnet er die Türen, schaut sich um und scannt alles mit einem prüfenden Blick.
Ein Blick durch den Maschinenraum
Ich frage mich, wie gut Torsten nach all den Jahren die Ausstellungen des Deutschen Schifffahrtsmuseums kennt. „Die kenne ich in- und auswendig. Von der POLARSTERN-Ausstellung bin ich begeistert. Da habe ich auch mal eine Brille ausprobiert. Auf einmal war ich im Maschinenraum – toll! Das ist schon was.“ Die Begeisterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Ich lasse meinen Blick durch den Raum gleiten und versuche, die Stimmung ganz genau aufzunehmen. Die Lichter der Straßenlaternen lassen das Wal-Skelett beige leuchten. Die Schatten scheinen wie Gemälde an den Wänden zu haften. Das Schauspiel ist faszinierend.
Nachtwächter: Kein Job für jedermann
Torsten weiß ganz genau, was er tut. Als Nachtwächter nimmt er eine wichtige Rolle am Deutschen Schifffahrtsmuseum ein und nimmt diesen Job besonders ernst. Ich laufe die Runde noch bis zum Ende mit und habe das Gefühl, nun einen guten Einblick in den Beruf eines Nachtwächters am Deutschen Schifffahrtsmuseum zu haben. Die Verantwortung, die Torsten übernimmt, möchte ich nicht haben und bin wirklich beeindruckt, wie leidenschaftlich man diesen Beruf ausüben kann. Besonders die Lebendigkeit und Freude, mit der er berichtet, faszinieren mich. Nachts im Deutschen Schifffahrtsmuseum mag die Ausstellung nicht zum Leben erwachen, die Exponate fangen nicht an zu sprechen, und doch ist es ungemein spannend, was man alles beachten muss und mit welchen Herausforderungen man konfrontiert wird.
Vielen lieben Dank an Torsten Gernhoff, der mich in dieser Nacht mitgenommen hat. Weitere Beiträge aus dem Museum hier.
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