Immer wenn ich auf meinem Weg zur Arbeit um die letzte Ecke biege, schleicht sich ein Lächeln in mein Gesicht. Da, im Neuen Hafen, liegt er – der Dampf-Eisbrecher „Wal“. Ich weiß nicht, warum er mich so begeistert. Wahrscheinlich ist es seine Form. Er wirkt so knuffig. Dabei ist er fast 50 Meter lang. 49,96 Meter, um genau zu sein. Sein Leben lang hat er immer Volldampf voraus gegeben. Heute möchte ich mehr über das Kraftpaket erfahren. Ingo Daul, einer der Kapitäne, begrüßt mich herzlich! Neugierig überquere ich die Gangway und betrete das Schiff.
Elegant und nobel
Ingo führt mich in den Salon. In einen blauen Salon, um genau zu sein. Schick ist es hier! Die Wände sind mit dunklem Holz vertäfelt und mit Bildern geschmückt. Der Teppichboden, die Sitzbänke und die Gardinen in edlem blau gehalten. Zahlreiche maritime Erinnerungsstücke und Plaketten komplettieren das Erscheinungsbild.
Faszination Traditionsschiff
Wir kommen ins Plaudern, während fast unsichtbar und auf leisen Sohlen zwei Frauen um uns herumschlawenzeln. Sie gehören zur ehrenamtlichen Crew. Gerade putzen sie den Salon, dass alles nur so blitzt und blinkt und man vom Fußboden essen könnte. Die „Wal“ gehört dem Verein Schiffahrts-Compagnie Bremerhaven an. 200 Mitglieder, erzählt Ingo mir, zählt der Verein. Davon sind allerdings nur etwa 30 aktiv. Der Verein hat sich auf die Fahne geschrieben, das Traditionsschiff zu pflegen und in Fahrt zu halten. Dazu sind allerhand Hände notwendig. Daher ist der Verein stets auf der Suche nach neuen Mitgliedern.
Jede Hand zählt
Interessiert frage ich Ingo, welche Voraussetzung ein Vereinsmitglied mit sich bringen muss. Die Antwort erstaunt mich etwas: „Nichts. Nur Spaß und Lust, sich mit anderen für eine tolle Sache einzusetzen“, sagt Ingo. Ich hatte vermutet, dass seemännische Kenntnisse oder eine handwerkliche Ausbildung erforderlich sind. Dem ist nicht so! Hier gibt es für jeden etwas zu tun. Und Neulinge, die noch nie etwas mit einem Schiff zu tun hatten, werden in Aufgaben eingeführt. Dabei ist es völlig egal, ob sich jemand für die Kombüse, den Maschinenraum oder die Decksaufgaben interessiert. Die aktive Crew freut sich, ihr Wissen an andere weiterzugeben.
Aus Liebe zum Volldampf
Als Ingo in den Ruhestand trat, hatte er gar nicht vor, seine Freizeit wieder der Seefahrt zu widmen. Aber seine Frau liebt die See seit ihrer Kindheit. Und so überredete sie ihn, sich doch einmal die „Wal“ und den Verein etwas näher anzusehen. Gesagt – getan! Sein Vorsatz, nur hin und wieder die „Wal“ zu fahren, ging allerdings nicht auf. Mittlerweile kümmert er sich vom Erstellen der Törnpläne über Liegeplatzanfragen, Personalplanung und vielem mehr. Und natürlich ist er Ansprechpartner für alle Belange, wenn er an Bord ist. Ingo ist froh, solch eine tolle Crew zu haben und stolz auf den Zusammenhalt an Bord.
Immer wieder betont er, dass er zwar der Kapitän ist, aber nicht mal mit der „Wal“ ablegen könnte, wenn nicht helfende Hände an Deck und in der Maschine wären. Jede noch so unwichtig wirkende Aufgabe ist wie ein Zahnrad einer Uhr. Wenn eins wegbricht, funktioniert das ganze nicht mehr. Ohne Festmacher kein An- und Ablegen, ohne die Kolleg*innen in der Maschine kein Druck auf dem Kessel, ohne Smutje und „von den Augen ablesende Perlen“ kein Speis und Trank und ohne Kapitän kein Fahren des Traditionsschiffes.
Alles, was das Herz begehrt
1938 lief die „Wal“ bei den Stettiner Oderwerken vom Stapel. Der 49,96 Meter lange, 12,3 Meter breite Dampf-Eisbrecher ist mit einer 1.200 PS starken Dreifach-Expansions-Dampfmaschine ausgestattet. An Bord befinden sich neben dem Salon noch eine Mannschaftsmesse, die Kombüse, ein Oberdeck mit Barbetrieb und 17 Mehrbettkabinen sowie Duschen und WCs.
Ein unermüdliches Arbeitstier
Über fünfzig Jahre sorgte der Dampf-Eisbrecher dafür, dass der Nord-Ostsee-Kanal in den Winter eisfrei und damit für die Schifffahrt passierbar blieb. Dank seiner flachen, gewölbten Bugform schiebt sich ein Eisbrecher auf das Eis, das unter seinem Gewicht dann zerbricht. Die Form des Bugs sorgt außerdem dafür, dass das zerbrochene Eis beiseite geschoben wird und nicht unter das Schiff und an das Ruder gelangt. Als es weniger harte Winter und damit weniger Eis gab, wurde das Kraftpaket außer Dienst gestellt. Zwar wurde die „Wal“ in den sechzigern von Kohlebefeuerung auf Öl umgestellt, aber auch damit konnte nicht rentabel gefahren werden. 1990 kaufte Bremerhaven die „Wal“ und verschonte sie so vor der Verschrottung.
Mit Volldampf voraus in den (Un-)Ruhestand
Von Anfang an war klar, dass die „Wal“ kein an der Kaje liegendes Museumsschiff werden sollte. Dieser Zeitzeuge der Schifffahrt soll in Fahrt gehalten werden. Der Verein machte sich mit viel Tatendrang daran, die „alte Dame“ auf Herz und Nieren zu prüfen und zu hegen und zu pflegen. Wenn man sie heute so anschaut, sieht man ihr ihr stolzes Alter nicht an. Regelmäßig geht sie zur Inspektion oder für notwendige Instandhaltungsarbeiten in die Werft.
Unter der ehrenamtlich tätigen Crew befinden sich aber auch einige Mitglieder, die vom Fach sind. Als Ingo mit mir in den Schiffsbauch hinunter steigt, stehe ich erst einmal im Weg. Denn hier schrubben und werkeln gerade sieben Männer um mich herum. Und wenn ich draußen schon über die Hitze gestöhnt habe, sehne ich mich hier im warmen Maschinenraum sogleich wieder danach. Eng ist es hier! Aber das hält die Crew nicht davon ab, alles tiptop in Schuss zu halten, so dass theoretisch jeder Zeit in See gestochen werden kann.
Gäste herzlich willkommen
Sechsmal wollte die „Wal“ dieses Jahr mit Gästen an Bord zu Mehrtagestörns starten. Hamburger Hafengeburtstag, Helgoland, Wochenende an der Jade, Büsum und Bremen waren die Ziele. Coronabedingt fallen die Fahrten in 2020 aus. Der Törnplan für 2021 ist bereits in Arbeit. Alle Beteiligten hoffen, dass dann wieder mit Gästen an Bord ausgelaufen werden darf. Schiffsliebhaber kommen aber trotzdem auf ihre Kosten bei einem Besuch in Bremerhaven. Wenn Ihr die „Wal“ im Hafen liegen seht, sprecht die Crew an Bord ruhig an. Sie freuen sich über Euer Interesse und zeigen Euch sicher gern „Ihren“ „Wal“. Fragt einfach laut an der Kaje stehend, ob Ihr an Bord kommen dürft. Denn gemäß „Seefahrts-Knigge“ dürfen ein Boot oder Schiff nur nach Aufforderung der Crew betreten werden. Aber ich bin sicher, dass Ihr genauso herzlich willkommen geheißen werdet, wie ich heute.
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