Es ist schon erstaunlich, wenn ein Museum einen das Leben lang begleitet. Als das Deutsche Schiffahrtsmuseum 1975 eröffnet wurde, war ich dabei. Ich war zehn Jahre alt. Als die Bremer Kogge im Konservierungstank mit Flüssigwachs verschwand, hatte ich gerade meinen 17. Geburtstag gefeiert – und war dabei. 18 Jahre später wurde die trübe Wachsflüssigkeit abgelassen und die Kogge zum ersten Mal wieder komplett für die Öffentlichkeit zu sehen. Ich war nicht nur dabei, sondern als Journalist einer der ersten, die über eine lange Aluleiter in den noch tropfnassen, dunklen Rumpf hinunterstiegen. Eine unvergessliche Zeitreise ins „Mittelalter“ mit Gänsehaut. Damals war ich 35 Jahre alt. Nun steht das Deutsche Schiffahrtsmuseum (DSM) vor einem kompletten Umbau der gesamten Ausstellung und einem Neustart. Ich bin 52 Jahre alt, super gespannt – und immer noch dabei.
Riesiges Pottwal-Skelett hängt noch
Schon jetzt wird der sogenannte „Bangert-Bau“ am Haus mit seinem markanten weißen Spitzdach neu gestaltet. Die Ausstellung ist leergeräumt. Das ist im Vorbeigehen von außen deutlich durch die großen Scheiben zu sehen. Nur das riesige Pottwal-Skelett hängt noch unter der hohen Decke. Es ist dick eingepackt, um Schäden zu vermeiden. Der Wal hat´s gut. Hier draußen sind es bei steifem Wind gefühlt minus zehn Grad. Also schnell rein in den Haupteingang am Scharoun-Bau. Ich will mir einmal noch alles in Ruhe anzusehen, bevor ab dem 1. Juli der Komplett-Umbau startet. Weil einige Bereiche des Hauses schon umgebaut werden, bezahle ich bei der freundlichen Dame an der Kasse nur die Hälfte. Vier Euro – das ist fair.
Atemberaubend: die Bremer Kogge
Wie herrlich die ruhige Atmosphäre in den Räumen ist. Die Zeit ist draußen geblieben. Jahrhunderte der Schifffahrtsgeschichte warten darauf, entdeckt zu werden. Ich fühle mich wie Indiana Jones, der in einer Schatzkammer auf einen unermesslichen Geschichtsschatz gestoßen ist und hatte ganz vergessen, wie atemberaubend groß die Bremer Kogge ist. Schon beim ersten Schritt in die Kogge-Halle ragt der mächtige Rumpf vor mir auf. Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke an den jahrhundertealten Holzspanten und –planken in die Höhe. 1380 gebaut, in der Weser durch Zufall bei Baggerarbeiten in den 1960er-Jahren gefunden, hier im DSM in mühevoller Kleinarbeit Stück für Stück wieder zusammengesetzt. Was für ein unglaublicher Glücksfall und ein berührendes Stück Schiffbau- und Menschheitsgeschichte. Die Bremer Kogge ist weltweit einmalig.
Segelschiffe und Atomfrachter
Über Treppen gehe ich hoch in die anderen Etagen. Jedes Mal verändert sich der Blickwinkel auf die Kogge, bis ich von ganz oben aus der dritten Ebene über das komplette Schiff sehen kann. Hinter mir sind die großen Fenster zum Museumshafen. Ich drehe mich um. Dreimast-Segelschiff, Hochseeschlepper, Feuerschiff, Walfänger, U-Boot – es ist einfach beeindruckend, diese Zeugen der Schifffahrtsgeschichte direkt vor mir im Wasser liegen zu sehen. Dann wird mir schlagartig bewusst, was für eine unverzichtbare Einrichtung das Deutsche Schiffahrtsmuseum ist. Ich stehe hier oben auf der Galerie neben einem Holz-Frachtschiff aus dem 14. Jahrhundert. Da draußen auf dem Außengelände steht der Schornstein des ersten deutschen Frachters mit Atom-Antrieb, der „Otto Hahn“. Das alles wäre im Strudel der Zeit verloren, wenn es das Deutsche Schiffahrtsmuseum nicht geben würde.
Besucher werden zu Forschern
Die Kogge-Halle ist bereits mit vielen aktiven Stationen und Vitrinen neugestaltet. Hier spüre und sehe ich deutlich, welchen Kurs das Deutsche Schiffahrtsmuseum als modernes Leibniz-Forschungsmuseum eingeschlagen hat. Es wird ein Museum zum Mitmachen, in dem die Besucherinnen und Besucher selber zu Forschern werden. Die Forschungsobjekte sind Teil der Ausstellung und die spannenden Geschichten dahinter verbinden Wissenschaft und Öffentlichkeit. Das ist der gelebte Gedanke der Leibniz-Forschungsmuseen.
Interaktive Stationen geplant
Ich verabschiede mich für heute von der Bremer Kogge und gehe rüber in den Scharoun-Bau. Er wird ab dem 1. Juli für die Neugestaltung geschlossen. Einiges hier wird auch in der neuen Ausstellung zu sehen sein, dann interaktiv und damit noch spannender präsentiert. Das Beiboot der „Pamir“ zum Beispiel. Ich kriege jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich das beschädigte Holz-Rettungsboot sehe. Es ist wie eine persönliche Schweigeminute, wenn ich davor stehe. Nur sechs von 86. Besatzungsmitgliedern haben den Untergang des Viermast-Segelschiffes im Jahr 1957 überlebt. Es ist eines der schwersten Unglücke in der Geschichte der deutschen Handelsschifffahrt.
Viele spannende Themen im neuen DSM
Das Thema Seenotrettung wird im neuen Konzept des DSM ebenso eine Rolle spielen wie der spannende Zusammenhang von Auswanderung und Passagier-Schifffahrt, die Entwicklung der riesigen Containerfrachter und die Globalisierung oder die Verquickung von Politik, Wirtschaft und Militär im Deutschen Kaiserreich: Hier soll ein neuer Blick auf die Geschichte der deutsche Marine geworfen werden. Ich drehe eine letzte Runde durch den Scharoun-Bau. Im Maschinenraum des Raddampfers „Meissen“ dreht sich unermüdlich und irgendwie beruhigend die Kurbelwelle auf und ab. Die gut 2,50 Meter langen Schiffsmodelle der „Bremen“ oder der „Cap Arkona“ sehen so echt aus, als ob sie gleich losfahren würden. Auch sie werden Teil der zukünftigen Ausstellung sein.
„Mensch & Meer“ als zukünftiger Schwerpunkt
„Mensch & Meer“ ist das Oberthema im neuen DSM. Ich habe mir vor meinem Besuch einige Infos dazu besorgt. Im geschlossenen Bangert-Bau wird aktuell schon daran gearbeitet – Exponate werden fleißig restauriert, wissenschaftliche Recherchen durchgeführt. Was aber genau kann ich zukünftig dort erleben? Ich suche mir einen gemütlichen Platz in einer Sitzecke, nicke noch kurz der Gallionsfigur an der Wand gegenüber zu und blättere meine Unterlagen durch. „Planet Meer – Schiffbau, Nutzung und Erforschung der Meere“ ist die Überschrift. Klingt spannend. Noch spannender sind die Inhalte.
Forschungseisbrecher „Polarstern“ zum Reingehen
Kaum zu glauben: Das DSM wird tatsächlich einen Teil des bekannten deutschen Forschungseisbrechers „Polarstern“ erlebbar machen und im Bangert-Bau aufstellen – vom Fußboden bis zu sechs Meter hoch in das Spitzdach hinein. Die Besucher können selbst zu Polarforschern werden, in die Labore sehen oder auf der Brücke oben das Schiff steuern. Mit dem gut 12 Meter langen Pottwalskelett, einer Handharpune und der Harpunenkanone gibt es eine eindrucksvolle Begegnung mit dem Walfang des 20. Jahrhunderts. Und: Die Besucher gehen gefühlt in die Tiefsee auf die Suche nach Bodenschätzen. Die beeindruckende gelbe APEX-Kugel mit ihren großen Schaufeln kann bis zu 6000 Meter tief tauchen und steht für einen weiteren spannenden Teil der Meeresnutzung. Interaktive Stationen, große Touch-Screens und dreidimensionale Bilder machen das DSM zusammen mit immer wechselnden Ausstellungen dann zu einem echten Erlebnis.
Besuch lohnt sich auch in der Übergangszeit
Es ist inzwischen Nachmittag geworden. Gebannt zwischen Jahrhunderte alten Schiffsplanken, atombetriebenen Frachtern, tragischen Rettungsbooten, moderner Meeresforschung und Walfang-Harpunen habe ich gar nicht gemerkt, wie die Zeit vergeht. Draußen scheint es etwas wärmer geworden zu sein. Das Sonnenlicht spielt auf dem Wasser des Hafens. An den Museumsschiffen tanzen glitzernde Lichtreflexe. Ich stehe aus meiner gemütlichen Sitzecke auf und hole meine Jacke von der Garderobe. Der Scharoun-Bau wird ab diesem Sommer erneuert. Der Bangert-Bau eröffnet nächstes Jahr wieder. Einen ersten Vorgeschmack bietet eine Ausstellung, die dort im Fensterbereich von August-Dezember dieses Jahrer zu sehen sein wird. Für einige Monate sind die neue Kogge-Halle und die Schiffe im Museumshafen dann die sehenswerte Attraktion im Deutschen Schiffahrtsmuseum. Eintritt kostet es in dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Jeder soll geben, was er mag – nach dem Motto: „Pay what you want!“ Das finde ich großartig. Im Jahr 2020 soll dann das gesamte Deutsche Schiffahrtsmuseum mit seinem neuen Konzept fertig sein und komplett geöffnet sein. Aber ganz egal, ob Übergangszeit oder komplett fertig: Ich bin natürlich – wie schon mein Leben lang – auf jeden Fall dabei.
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