„Michael Wolff – Aquarelle und Grafiken“. Ein erstaunlich farbloser Name für die Arbeiten des Bremerhavener Künstlers, die noch bis zum 1. September 2024 im Historischen Museum zu sehen sind. Doch Wolff zeigt, dass Farbe nicht immer bunt sein muss und Leichtigkeit auch in Moll funktionieren kann.
…ich musste mein Verhältnis zur Ausstellung ändern. Ich war jetzt plötzlich Macher und kein Beobachter mehr.“
Ein „Wolff“ im Fischereihafen
Michael Wolff wächst als ältestes von vier Geschwistern im Bremerhaven der Nachkriegszeit auf. Seine Kindheit verbringt er in einer winzigen Mansardenwohnung im Bremerhavener Stadtteil Wulsdorf und im benachbarten Fischereihafen, wo er zwischen Fischkisten, Trawlern und Möwen spielen darf und davon träumt, einmal zur See zu fahren. Die Eindrücke dieser Kindheit hat er sich bis heute bewahrt und in vielen seiner Bilder verarbeitet.
Gerade diese Bilder machen ihn zu einem der spannendsten zeitgenössischen Maler unserer Region. Seine Motive scheinen allgemein, fast nebensächlich. Und dennoch vermitteln sie immer einen besonderen Blick auf das Geschehen – eine Art „Wolff-Blick“. Und sie haben die erstaunliche Gabe, im Kopf der Betrachtenden andere Sinne anzusprechen. Nicht selten meint man den Schlick und die Algen oder das Gackern der Hühner auf den Bildern riechen oder hören zu können.
Der Weg zur Ausstellung
Als ich den Künstler vor einigen Jahren zu einem Interview traf, war ich sofort von seiner körperlichen Präsenz beeindruckt. Michael ist ein „Kerl wie ein Baum“, wie man hier im Norden sagt. Groß gewachsen, von kräftiger Statur und mit Händen, die so groß sind wie 24er Bratpfannen. Dazu schlohweißes Haar, das in alle Richtungen sprießt, ein erstaunlicher Rauschebart und sehr lebhafte Augen. Und dann war da noch dieser feinfühlige Mensch, der so gar nicht zu diesem Körper passte. Witzig, sensibel, nachdenklich, hochintelligent, humorvoll, vielseitig begabt. Einer, der von einem Fischdampfer erzählen konnte und dann wie nebenbei alle Fischgründe rund um Grönland herunterbetete oder über die Schiffbaukunst auf Bremerhavener Werften philosophierte.
Schon zu Beginn meiner Tätigkeit im Historischen Museum hatte ich den Wunsch, dort einmal eine Ausstellung von Michael Wolff zu sehen. In einer Teamsitzung habe ich diesen Wunsch geäußert und sofort Unterstützung für diese Idee bekommen. Einige Gespräche später war klar: Wir machen das! Als Ideengeber wurde ich allerdings in die Verantwortung genommen. Ich wurde Co-Kurator – also Mitgestalter der Ausstellung. Das bedeutete für mich plötzlich mit Aufgaben konfrontiert zu sein, mit denen ich noch nie in meinem Leben etwas zu tun hatte. Und ich musste mein Verhältnis zur Ausstellung ändern. Ich war jetzt plötzlich Macher und kein Beobachter mehr.
Dem „Wolff“ auf der Spur
Glücklicherweise war Michael Wolff von der Idee einer Ausstellung über ihn begeistert und gab mir sogar eine Liste mit Namen von Leuten, die Bilder von ihm hatten, da unser Museumsbestand dafür nicht ausgereicht hätte. Meine nächste Aufgabe war diese Menschen anzusprechen und sie davon zu überzeugen, uns Bilder für eine Ausstellung zu leihen. Das klingt auf den ersten Blick einfach und war zudem etwas, das mir liegt. Aber es täuscht darüber hinweg, dass Wolff seit weit über 50 Jahren malt und ein sehr gutes Gedächtnis hat. Die Telefonliste reichte von Hamburg über Worpswede, Bremen, Oldenburg und Bremerhaven, bis wieder nach Cuxhaven hoch. Hinzu kam, dass fast alle auf der Liste ein ausgesprochen herzliches Verhältnis zu Wolff und seinen Bildern hatten. Die Telefonate waren also etwas umfänglicher und bei jedem kam eine neue interessante Nuance oder eine herzliche Anekdote des Künstlers hinzu.
Nun musste eine Liste der Bilder angelegt werden. Zeitgleich wurde ein Arbeitsordner mit Struktur, Listen, Dokumenten und Ausstellungsnummer eingerichtet. Glücklicherweise arbeite ich in einem Museumsteam, das all diese Abläufe spielend beherrscht und mir den größten Teil dieser Arbeit abnahm, bevor ich überhaupt wusste, dass wir sie brauchten. So hatte ich mehr Zeit für den spannendsten Teil der Ausstellungsplanung – die Begutachtung der Bilder vor Ort.
Mit dem „Wolff“ auf Wanderschaft
Vom ersten Telefonat an war ich von der Herzlichkeit der möglichen Bildgeber*innen angetan. Alle waren davon begeistert Michael in seiner Ausstellung unterstützen zu können. Ich freute mich also sehr darauf, die Menschen hinter den Stimmen persönlich kennen zu lernen. Außerdem hatte Michael den Wunsch geäußert, mich bei einigen der weiter entfernten Besuche zu begleiten. So hatte ich etwas mehr Zeit mit ihm, was mich sehr freute, denn Michael hatte immer etwas Erhellendes, Humorvolles, aber auf jeden Fall Unterhaltsames zu erzählen.
So erfuhr ich auf dem Weg nach Worpswede auch davon, wie er einst bei Regen, Wind und Schnee mit dem Rad samt Staffelei durch die Heide fuhr, um liebe Freunde zu besuchen und dort einige Tage zu malen. Auf der Fahrt nach Hamburg-Cranz führte uns eine Umgehungsstraße durch einen Wald. Hier erhielt ich prompt einen illustren Vortrag über die von Michael heiß geliebten Steinpilze, deren Suche und ein flammendes Loblied auf Heilpilze. Die Termine vor Ort hatten oft etwas familiäres und ich durfte dabei eine ganze Reihe sehr interessanter und sehr liebenswerter Menschen kennenlernen.
„Wolffsauslese“
Nachdem alle Bilder fotografiert und sortiert waren, stellte sich heraus, dass unsere anfänglichen Befürchtungen, nicht genügend Bilder von Michael Wolff zusammen zu bekommen, völlig unbegründet waren. Schnell wuchs die Zahl der möglichen Exponate auf über 200! In der Ausstellung würden wohl 50 Platz finden. Nun begann der schwierigste Teil der Ausstellungsplanung: die Auswahl. Denn ich mochte alle und konnte nur jedes vierte nehmen. Da ich inzwischen viel Zeit mit Michael, seiner Familie und seinen Freunden verbringen durfte, hatte ich eine Ahnung davon, welche Bilder ihm besonders wichtig waren. Natürlich hatte auch ich „Lieblinge“ und außerdem sollten alle Richtungen seiner Kunst vertreten sein und das möglichst in einer schlüssigen Folge.
Die erste Auswahl umfasste etwa 70 Bilder, da ich optimistisch war, dass wir zur Not einfach alles etwas zusammenschieben könnten und es dann schon irgendwie passen würde. Nach dem Erstellen einer übergeordneten Vorlage und einem Auswahlgespräch wurde ich realistischer und die Liste schmolz weiter zusammen. Gemeinsam mit unserem Direktor brachte ich die Bilder in eine Art thematische Reihenfolge, die auch optisch ansprach. Alles war gut. Dann stellte jemand die Frage, ob die Bilder eigentlich Namen hätten. Das wäre ja wichtig für die Objektbeschriftungen, die neben den Bildern angebracht werden sollten. Die meisten von Michaels Bildern haben keine Namen. Ich wurde etwas unruhig.
Die Sache mit den Namen
Ich beschloss, den Bildern eine Art Arbeitstitel zu geben. Dabei entstanden Wortblüten wie: „Einäugiger Hühnerwächter“, „Schabracke am Radkreuz“ oder „Gladiator“. Michael fand die Namen witzig, also blieben wir dabei. Auf den Objektbeschriftungen tauchen sie neben der Technik, den Leihgeber*innen und dem Entstehungsjahr in Klammern auf, denn eigentlich sind die Werke ja immer noch ohne Titel. Ein weiteres Problem bestand darin, dass es zu den Bildern wirklich viel zu erzählen gäbe, die Lesebereitschaft bei Museumsbesuchenden allerdings streng rationiert ist.
Unsere Lösung dazu war denkbar einfach. Michael Wolff verfügt über die Gabe zu erzählen und kennt beinahe jedes seiner Bilder. Wo er damals stand, wie es dort roch, was ihm daran wichtig war und was später aus dem Motiv wurde. Wir wollten also einfach ein paar QR-Codes in der Ausstellung verteilen und jeder Mensch, der in die Ausstellung kam, könnte diese dann mit einem Handy scannen und würde die Geschichten dazu direkt vom Künstler selbst erzählt bekommen. Bereits vor dem ersten Interview war uns klar: Das wird nichts. Michael erzählt lebhaft und detailliert. Keine seiner Beschreibungen hätte in 30 Sekunden funktioniert ohne den „Wolff‘schen Charme“ zu verlieren. Eine andere Lösung musste her.
Ein Film mit dem „Wolff“
Die kam in diesem Fall von unserem Direktor selber. Er hatte gute Erfahrungen damit gemacht, filmische Portraits von Künstler*innen erstellen zu lassen. Das Museum hat ein eigenes Kino und der Kontakt zum Dokumentarfilmer Reinhard Büsching war schnell hergestellt. Das Drehbuch kam von mir und war einfach: Michael vor die Kamera setzen, ihm Bilder von sich zeigen und ihn dann einfach erzählen lassen. Zwei weitere Akteure, die ihre Eindrücke zum Künstler einbringen, ein paar alte Fotos – fertig. Der Rest ist Bildrecht-Recherche und filmisches Können. Et voilà – so entstanden 30 höchst unterhaltsame Filmminuten, die in unserem Museumskino auf Knopfdruck individuell abrufbar sind.
Und dann war da ja noch die Sache mit dem Transport. Alle Leihgaben mussten nach genauen Vorgaben verpackt, abgeholt und transportiert werden. Dafür machten wir uns noch einmal auf den Weg zu den Leihgeber*innen. Dieses Mal ohne Michael, dafür aber mit Kolleg*innen aus dem Museum, jeder Menge Luftpolsterfolie, Klebeband, Folie, Transportdecken, Leihverträgen und Übergabeprotokollen. Ein Bild mussten wir auch noch als Reproduktion anfertigen, weil dessen Besitzer während der Ausstellung nicht darauf verzichten wollte und nun als Ersatz eine Kopie des Bildes an der Wohnzimmerwand hängen hat.
Zu guter Letzt
Die so entstandene Ausstellung zeigt eine sehr umfangreiche Sammlung aus Zeichnungen, Radierungen und Aquarellen Michael Wolffs aus insgesamt fünf Jahrzehnten. Es gibt eine Auswahl von unterschiedlichen Aquarellen – freie wie Auftragsarbeiten. Zu sehen sind viele Schiffe, Hafen- und Werftszenarien, Wahr- und Seezeichen, eindrucksvolle Landschaften und natürlich auch Michaels Trecker, mit denen er auch überregional bekannt wurde. Michaels Lieblingsbild ist natürlich auch dabei, ebenso meins und die einiger anderer Personen. Wer Michael Wolffs Bilder mag oder sie vielleicht noch nie live gesehen hat, sollte bis zum 1. September 2024 unbedingt einen Museumsbesuch im Historischen Museum einplanen. Es lohnt sich auf jeden Fall, denn der überwiegende Teil der Bilder stammen aus Privatbesitz und die Ausstellung bleibt somit in dieser Form einzigartig.
Text: Marco Butzkus
Andreas Wolff
Quasi von Geburt an kennen wir Vettern Michael und ich uns nun schon, und beide nähern wir uns fast gleichaltrig in beängstigendem Tempo dem 80. Lebensjahr. Ich liebe ihn als Cousin und verehre ihn als Künstler – als wirklichen Künstler, und dies sogar in den verschiedensten Lebensbereichen wie z.B. Tischlerei und Musik (Tuba). Unübertroffen aber sind seine malerischen Fähigkeiten in ihren offenbar nie enden wollenden Ausdrucksformen.
Immer wieder fasziniert mich die Detail-Besessenheit, die (scheinbare) Leichtigkeit und teils verspielte Nuancierung der Objektdarstellungen. In all‘ seinen Werken, von denen eine Vielzahl unser Haus am Niederrhein in fast allen Räumlichkeiten schmückt, spricht die Liebe zur Natur, zu den für den „Normalverbraucher“ oft kaum oder gar nicht wahrnehmbaren versteckten Schönheiten und „Kleinigkeiten“, die er unauffällig aber wirkungsvoll in die Bilder mit einfliessen lässt. Immer wieder stehe ich staunend, bewundernd und auch mächtig stolz vor meines Vetters Bildern. Schon als Kind hat er mich bei familiären Besuch am Niederrhein mit „dahingeworfenen“ Kreidestrichen-Bildern an der großen Schultafel in der Dorfschule meines Vaters begeistert. Mit minimalen Strichen maximaler Ausdruck. Ich hoffe sehr, lieber Michael, wir sehen uns bald mal wieder in Bremerhaven.
Gastautor Historisches Museum Bremerhaven
Moin Herr Wolff,
vielen Dank für ihre persönlichen Worte. Es ist toll, dass sie die Faszination für Michaels Bilder bis heute aufrechterhalten. Auch Wir sind beinahe täglich aufs Neue davon begeistert, wie Michael die Welt sieht und festhält. Hoffentlich bis bald, in unserem Museum. Marco vom Museumsteam