Ich packe meinen Koffer und nehme mit … Dieses Spiel habe ich früher mit meinen Schwestern oft gespielt, vor allem auf langen Autofahrten in den Urlaub. Wir fingen mit dem Alltäglichen an – eine Zahnbürste, ein Handtuch, ein Pullover … und steigerten uns zu immer ausgefalleneren Ideen. Warum sollten nicht auch ein Kontrabass, eine Giraffe oder auch einfach nur eine große Portion Mut in unsere Koffer passen?
An all das muss ich denken, während ich die aktuelle Ausgabe des Kindermagazins GEOlino durchblättere. Gemeinsam mit GEOlino lädt das Deutsche Auswandererhaus nämlich kreative Kinder dazu ein, ihre eigenen Auswandererkoffer zu gestalten. Ganz so viel einpacken wie meine Schwestern und ich früher können sie dabei allerdings nicht: Höchstens zehn Gegenstände dürfen mit, gemeinsam mit einem Steckbrief, in dem die Kinder erklären, warum sie sich gerade für diese Sachen entschieden haben. Denn wenn man nicht einfach nur in den Urlaub fährt, sondern vielleicht für immer seine Heimat verlässt, will die Auswahl der Gegenstände wohl überlegt sein.
Die gelungensten Koffer werden ab dem 30. März 2019 in einer Sonderausstellung im Deutschen Auswandererhaus gezeigt. Eine gute Ergänzung der aktuellen Ausstellung, denn das Erlebnismuseum ist schon jetzt voller Gegenstände, die Auswanderer in ihre neue Heimat mitnahmen. Gegenstände also, die eine Brücke bauen sollten vom alten Leben in eine ungewisse Zukunft. Sie erzählen von Erinnerungen an die Vergangenheit und Träumen für die Zukunft, von Ängsten und Sehnsüchten – und von ganz einfachen Bedürfnissen.
Von Flaschenöffern und Sammelbildern
Noch bevor sie in der Wartehalle ihren Rundgang durch über 300 Jahre Aus- und Einwanderungsgeschichte beginnen, können Besucher im Deutschen Auswandererhaus in kleinen Vitrinen schon einmal einen Blick auf das Auswanderergepäck verschiedener Reisender werfen. Viele nahmen vor allem Nützliches mit: einen Flaschenöffner, Streichhölzer, eine Sonnenbrille, ein Taschenmesser. Und Kinder? Sie suchten wahrscheinlich – damals wie heute – nach Möglichkeiten, sich auf der langen Reise die Zeit zu vertreiben. Davon erzählt ein Kinderkoffer aus dem Jahr 1930, gefüllt mit Murmeln, bunten Sammelbildern und einer kleinen Mundharmonika.
Genau an dieser Stelle sollen später die preisgekrönten, selbstgebastelten Koffer einmal stehen. Ein paar Schritte weiter im Kindermuseum greife ich mir einen kleinen Auswandererkoffer und mache die Probe aufs Exempel: Was würde ich denn als Auswanderin in meinen Koffer packen? Während ich so hin- und her überlege, gehen mir die bewegenden Schicksale der Aus- und Einwanderer im Deutschen Auswandererhaus durch den Kopf.
Deutscher Schuhmacher – amerikanischer Farmer
Da ist zum Beispiel Karl Otto Schulz, 1886 im damaligen Königreich Preußen geboren. Schuhmacher ist er als Beruf – und wollte das wohl auch in Amerika sein. Jedenfalls nahm er wahrscheinlich seine Werkzeuge mit, als er 1910 Bremerhaven in Richtung Philadelphia verließ. Doch aus seinen Berufsplänen wurde nichts. Nachdem er mehrere hundert Kilometer westwärts gewandert war, kaufte Karl Otto Schulz eine Farm in Missouri. Ein Bruch mit seinem bisherigen Leben, den Schulz auch kulturell vollzog: Als „ganzer“ Amerikaner sprach er nur noch in Ausnahmefällen deutsch.
Ein Schlüssel in die Vergangenheit
Doch nicht jede Migrationsgeschichte kennt solche Brüche. Auch von der Sehnsucht nach der Heimat kann das Reisegepäck erzählen – wie etwa bei Gordana und Zoran Nikolic. Als sie 1998 aus Serbien nach Deutschland flohen, schlossen sie ihre Wohnungstür ab und nahmen den Schlüssel mit, obwohl sie wussten, dass sie wahrscheinlich nie wieder zurückkehren würden. Doch den Schlüssel entsorgen – das brachten sie nicht übers Herz. Und so erzählt er heute im Deutschen Auswandererhaus von einer Heimat, die es nicht mehr gibt: In das Haus der Nikolic‘ sind neue Mieter eingezogen, Gordana und Zoran betraten ihre Wohnung nie wieder.
Doch was packe ich denn nun in meinen eigenen Auswandererkoffer? Ich habe mich inzwischen entschieden – doch meine Auswahl bleibt geheim. Schließlich soll beim Packen jede und jeder selbst kreativ werden. Eins aber ist für mich sicher: Eine große Portion Mut schadet nie, wenn man sich aufmacht in ein neues Leben.
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