In der neuen Ausstellung der Kunsthalle Bremerhaven stehen zwei Künstlerinnen im Mittelpunkt, die sich mit zwei ganz unterschiedlichen Kunstformen beschäftigen. Isabell Schulte zeichnet mit einem Bleistift rhythmische Chiffren auf Papier und Jana Schulze ist Kamerafrau, die in ihren bewegten Bildern Interaktionen zwischen Männern festhält.
Isabell Schulte
Die Berliner Künstlerin Isabell Schulte (*1987 in Eckernförde, lebt und arbeitet in Berlin) zeigt in der aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle drei monumentale Bleistiftzeichnungen. Die Zeichnungen erinnern mich an Lagepläne, an Landkarten oder Fahrpläne, die auf einem riesigen Blattpapier festgehalten wurden.
Ich stehe vor zwei nebeneinanderhängendem Werken und frage mich, wie ihre Arbeitsweise ist? Liegt sie beim Zeichnen mit dem Blattpapier auf dem Boden oder befestigt sie das Blatt an der Wand? Ich habe in Erfahrung bringen können, dass sie das riesige Blatt auf dem Boden auslegt und sie sich kniend darüber hinweg bewegt. Sie fängt an Formen, Striche und Flächen zu strukturieren, um ihr Denkmodell offenzulegen. Wie ich finde ein enormer Kraftakt.
Spannend ist auch, wie ihre Muster oder Systeme entstehen: Entstehen diese Art von Chiffren spontan oder sind sie gedanklich vorgefertigt? Es ist wirklich schwer zu sagen. Vielleicht trifft beides zu: einige zeichnerischen Passagen sind Zufallsprodukte und andere wiederum geplant. Auf jeden Fall ist es ein Prozess, in dem sie ihr eigenes, vollkommen subjektives System schafft. Es liegt eine Spannung zwischen Ordnung und Undurchsichtigkeit auf dem Papier und in der Luft.
Mentaler Prozess
Isabell Schulte zeigt deutlich, wie Denken Formen annehmen kann. Sie erschafft ihm neuen Raum. Zumal die Bleistiftzeichnungen die Ausdauer und Disziplin der Künstlerin dokumentieren. Mit jedem Strich wächst das Werk und verändert sich. Es fängt an rhythmisch zu werden und dann wieder eine Kehrtwende zu machen. Es ist wie ein Lebenslauf. Wir verfolgen eine Sache bzw. ein Ziel und viele Wege und auch Umstände führen uns und begleiten uns dorthin. Wir gehen an der Straßenecke nach links, woraufhin sich das Leben auf eine andere Weise verändert, als wären wir geradeaus gegangen. So fühlen sich die Arbeiten von Isabell Schulte an.
Jana Schulz
Eine große Leinwand ist inmitten der Kunsthalle aufgebaut. Es wird ein Video abgespielt, dass nur ein paar Sequenzen beinhaltet, die sich stetig wiederholen: Speckige, abgegriffene 1-Dollarnoten wandern durch Hände, werden gezählt und weitergegeben. Eine Männergruppe steht zusammen und tanzt. Szenen die vielleicht auf den ersten Blick nicht Aufnahmewürdig erscheinen. Es sind kleine Gesten und Interaktionen, die vermutlich im Alltag nicht viel Beachtung finden würden. Für diese Art von Dokumentationen benötigt die Kamerafrau Jana Schulz (*1984 Berlin, lebt und arbeitet in Leipzig und Berlin) das Vertrauen der Personen vor Ort. Und das spürt auch der Betrachter in den immer wiederkehrenden filmischen Sequenzen.
In der Arbeit von Jana Schulz steht das menschliche Verhalten im Mittelpunkt. Einfach, natürlich und unverblümt. Sie gleicht einer Dokumentation, einer sozialen Studie. Die Männergruppe, die im Video zu sehen ist, wird nicht in Szene gesetzt oder in Form gebracht. Es sind ehrliche Aufnahmen, welche die Strukturen und Mechanismen einer sozialen Gruppe erfahrbar macht.
Zeichnungen
Zeichnungen mit dem Bleistift anzufertigen, gehört wohl zu den ältesten Techniken etwas abzubilden. Trotz des Alters hält sich die Faszination. Aber es ist nicht nur die malerische Tradition, sondern etwas zu Zeichnen ist absolute Freiheit. Oft schaue ich mir Zeichnungen, ob mit Kohle oder Bleistift, als Erstes in einer Ausstellung an. Zeichnen ist immer eine Art des Suchens, des Erfindens und Experimentierens. Es vereint das Skizzieren von Umrissen, schemenhafte Andeutungen und das präzise Herausarbeiten von Details. Und alles was dazu benötigt wird sind ein Stift, ein Blatt Papier und eigenen Gedanken. Es ist freies Denken und Handeln auf Papier.
Videokunst
Mit der Videokunst verhält sich das etwas anders. Anfangs kritisch beäugt, etabliert sich die Videokunst seit den Anfängen in den 60er Jahren immer mehr zu einer festen Größe in der Kunst und in den Ausstellungsbetrieb. Die bewegten Bilder sind zu Projektionsflächen und allgegenwärtig geworden. Der Betrachter fühlt sich mitten im Geschehen oder steht ganz nah am Rand. Dabei scheint die Trennung von Videokunst, Filmkunst, Dokumentarfilm, Kurzfilm und Kunstfilm nahezu aufgehoben. Viele Künstler bevorzugen großflächige Projektionen, die eine oder mehrere Wände ausfüllen. Sie schaffen dadurch eine starke physische Präsenz ihrer Bilder, die mit entsprechend raumfüllend eingesetztem Sound den Betrachter tief in das Geschehen eintauchen lassen. So auch bei Jana Schulze. Ihre Ausschnitte aus dem Alltag sind so nah und groß, dass ich mich als Betrachter ertappt fühle, dabei zu sein.
Die Verbindung
Als ich mich nach der Verbindung der beiden Arbeiten fragte, war ich mir zunächst nicht sicher, ob es überhaupt eine gibt. Nach einer Weile erkannte ich aber, dass die beiden Künstlerinnen das gleiche Thema unterschiedlich umgesetzt haben. Isabell Schulte, die wohl eines der ältesten Medien, den Bleistift, für ihre Darstellungen benutzt und Jana Schulz, die als Kamerafrau ein Medium des 21. Jahrhunderts verwendet hat, zeichnen beide das menschliche Sein nach. Zum einen ist es eine Darstellung und zum anderen eine Darbietung von wiederkehrenden Mustern an Gefühlen, an Verhaltensweisen und Handlungen des Menschen.
16.Mai bis 28 Juni 2020
Isabell Schulte und Jana Schulz
Schaut vorbei in der Kunsthalle: www.kunstverein-bremerhaven.de
Dort findet ihr auch alle aktuellen Schutzmaßnahmen zur COVID-19 Lage.
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