Es ist Anfang Dezember und das nordische Wetter beweist wieder einmal, was es zu bieten hat: viel Regen, viel Wind, eisige Kälte – aber auch die Aussicht auf Besserung und kleine Abenteuer. Heute bin ich live bei den Aufnahmen für das neue Hörspiel „Forschen auf See“ an Bord der HEINCKE und lausche dem Sprecherteam.
Am Montagmorgen einer schon von langer Hand geplanten Woche, mache ich mich deshalb auf den Weg in den Fischereihafen. Durchdringender Nieselregen und Windböen treiben mir die Tränen in die Augen. Mein Büro liegt nur einige Gehminuten entfernt und so habe ich die HEINCKE schnell erreicht. Sie ist das zweitgrößte Schiff der AWI-Flotte und zu diesem Zeitpunkt bereits drei Wochen im Fischereihafen vertäut. Ein Großteil der Crew und das gesamte wissenschaftliche Team sind ausgeflogen. Was also habe ich vor?
Auf ins Abenteuer
Auf den letzten Metern zum Forschungsschiff schaue ich mich ein wenig auf dem davorliegenden Parkplatz um. Ich bin verabredet und pünktlich, aber noch kann ich niemanden entdecken. An der Gangway bleibe ich deshalb zunächst unschlüssig stehen. „Moin! Hallo? Entschuldigung?“ Sichtlich verwirrt bleibt der Mann stehen, der gerade an der offenen Tür vorbeigelaufen ist, durch die ich von meinem Platz aus ins Schiffsinnere schauen kann. Er wirkt kurz unschlüssig, kommt dann aber zu mir nach draußen: „Ja?“, fragt er skeptisch. Ich erkläre mich, er weiß Bescheid.
Noch während ich spreche, kommen zwei Kleinbusse näher und parken nur wenige Meter von uns entfernt. Fünf maskierte Leute steigen aus und winken in unsere Richtung. Aufgrund der aktuellen Coronabestimmungen tragen die drei Männer und zwei Frauen, die näherkommen, Mund-Nasen-Bedeckungen, genauso wie auch ich es tue. Ich sehe deshalb zunächst nur eifrige Augenpaare, die neugierig die HEINCKE betrachten. Erkennen kann ich niemanden, bis Jens Siemssen sich aus der Gruppe löst. Bei unserem letzten Treffen habe ich ihn ohne Mund-Nasen-Schutz kennengelernt, sodass ich den Autor und Regisseur nun trotz allem erkenne. Sein Lächeln zur Begrüßung, das ich unter der Maske vermute, bestätigt sich durch seine strahlenden Augen: „Hallo! Wartet ihr schon lange?“
Wir dürfen an Bord kommen und fühlen uns bei den ersten schwankenden Schritten auf dem Schiff wie echte Forscher*innen, die zu einem neuen Abenteuer aufbrechen. In den Taschen haben wir aber weder Messinstrumente noch Lehrbücher, sondern Tonequipment, ausgedruckte Skripte – und eine Mission.
Mission Hörspiel
Während wir uns der Reihe nach mit unseren jeweiligen Kontaktdaten in eine Liste eintragen, spricht Jens Siemssen mit einem der Matrosen. Ob es eventuell möglich sei, dass wir zunächst eine kleine Führung über das Schiff bekommen könnten, bevor wir loslegen? Gar kein Problem! Und so gehen wir geschlossen und angeführt vom nautischen Offizier, der zum Zeitpunkt unseres Besuches ranghöchstes Crewmitglied ist, auf die Brücke. Hier wird in den kommenden Tagen einer der vier Clips entstehen, aus denen das Hörspiel-Projekt „Forschen auf See“ am Ende bestehen soll:
Schon Anfang des Jahres, als die Corona-Pandemie noch in ihren chaotischen Anfängen steckte, wurde durch die Bundesbeauftragten für Kultur und Medien das NEUSTART Sofortprogramm ins Leben gerufen, mit dem pandemiebedingte Investitionen und Projekte verschiedener Kultursparten gefördert werden sollten. Da auch das DSM von Einschränkungen innerhalb der Ausstellungsinhalte und letztlich von einer kompletten Schließung betroffen war, hatten wir intern beschlossen, diese Fördermittel zu beantragen, um weiterhin eine Auseinandersetzung mit der Forschungsschifffahrt anregen zu können. Emotional sollte er sein, der neue Zugang zum Thema, und Einblicke bieten, die sonst nie oder nur selten geboten würden. Außerdem müsste das Format coronatauglich und von überall erfahrbar sein. Wieso also nicht etwas Künstlerisches?
Die Überlegungen, ein Hörspiel zu entwickeln wie auch die Produktion selbst entstand deshalb als Gemeinschaftsprojekt mit der Theatergruppe „Das Letzte Kleinod“. Die Künstlergruppe ist eigentlich am historischen Bahnhof von Geestenseth – zwischen Bremerhaven und Bremervörde – beheimatet. Von dort aus bereist sie unter der Leitung von Siemssen im Ozeanblauen Zug auf Schienen ganz Europa, um Stücke aufzuführen. Das Skript, das Siemssen für uns verfasste, basiert auf Interviews, die er an Bord der METEOR führte. Fünf Wochen kreuzte das Forschungsschiff im Frühjahr 2017 auf dem Südatlantik vor der namibischen Küste. Siemssen reiste mit, weil er sich auf ein dokumentarisches Theaterstück zur METEOR vorbereitete, das im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Meere und Ozeane“ in Kooperation mit dem DSM entstand.
Künstler*innen in der Rolle der Forschenden
Auf der Brücke angekommen, staunen wir Landratten nicht schlecht – alles ist ziemlich groß, überall stehen technische Geräte und Monitore. Von einem großen Steuerrad aus Holz, wie man es aus Filmen zu kennen glaubt, fehlt jede Spur. Stattdessen gibt es einen hochragenden Sitzplatz für den Kapitän, damit er einen freien Blick über das vorausliegende Meer hat. Hier nimmt Richard Gonlag, einer der beiden Schauspieler, direkt Platz. Er wird unter anderem den Kapitän vertonen und möchte sich schon einmal ganz wie ein solcher fühlen. Siemssen sagt, genau das mache den Reiz am Projekt aus, dass die Gruppe direkt an Bord eines Forschungsschiffes arbeiten könne.
Und schon werden die Skripte hervorgeholt und eine erste spontane Probe nimmt um mich herum Gestalt an. Ich halte mich im Hintergrund und schaue begeistert zu, wie Posen passend zum Text eingenommen, Wege beschritten und Geräusche gefordert werden: „Könnte man einen Alarmton abspielen? Ginge das?“ Klar geht das, die Crew fiebert mit und hat sichtlich Spaß am ungewohnten Theatertrubel. Ein schrilles Signal ertönt und jagt uns den Schreck in alle Glieder – Fehlalarm!
Alles für das Hörspiel
Nach der Führung dürfen wir alleine über die HEINCKE spazieren und alles entdecken, was uns interessiert. Also auf in den Maschinenraum, denn auch hier soll ein Hörclip entstehen!
Siemssen sprach vor nun fast vier Jahren an Bord der METEOR mit der Crew und den Forschenden über das wissenschaftliche Arbeiten und alltägliche Leben auf einem Forschungsschiff und zeichnete die Gespräche auf. Aus den Interviews entstand das Skript, das auch eine Szene mit den Technikern und Matrosen im Maschinenraum vorsieht. Obwohl Pumpen und Motoren stillstehen, ist es unglaublich warm und etwas stickig. Wir treffen einen der Ingenieure des Schiffs, der bereitwillig seine Arbeit niederlegt und uns herumführt. Es ist eng und die Decken hängen niedrig: „Auf See niemals rennen, sonst verletzt man sich schnell.“ Wenn ein Alarm ertöne und etwas dringend zu reparieren sei, müsse man sich natürlich beeilen – aber niemals dürfe man dabei hektisch werden. Wir gehen auch kurz in seine Werkstatt, die penibel aufgeräumt ist: „Sonst findet man im Eifer des Gefechts ja nichts wieder.“ Vom Maschinenraum geht es in die Messe I und II.
Um dort das Schwanken bei Seegang für das Hörspiel zu imitieren, das bei den Mahlzeiten zu der einen oder anderen verschütteten Suppe führen kann, wiegen sich die Schauspieler*innen beim Sprechen ihrer Texte hin und her. Jens Siemssen schließt dabei die Augen und versucht anhand der unterschiedlichen Stimmfärbungen und den verschiedenen Atmungen zu erkennen, wann die Gruppe still dasitzt und wann sie sich beim Sprechen bewegt: „Merkt ihr den Unterschied?“ Ich kann ihn hören und freue mich, so einen intimen Einblick in die Arbeit des Theaterteams zu bekommen. Michaela Hinnenthal und Margarita Wiesner sprechen noch einmal eine lange gemeinsame Szene. Immer und immer wieder nehmen sie dabei andere Stimmlagen ein, sprechen mal laut und mal leiser, gestikulieren und zeigen auf Dinge, über die sie sprechen.
Draußen an Deck finden derweil Ausbesserungsarbeiten statt. Perfekt! Das passt gut in das Skript und so darf Victor Natus, der auch einen Matrosen spricht, unter Aufsicht Geräte bedienen, die vor allem eins sind: laut! Jens Siemssen ist entzückt und ich bin es auch.
Auf See, ohne dabei abgelegt zu haben: Die Aufnahmen an Bord der HEINCKE mit dem Theaterteam fühlten sich an wie eine echte Mini-Forschungsreise. In Gedanken schlugen die Wellen hoch, die Maschinen ratterten und der Geist der Wissenschaft atmete mit.
Autorin: Jana Beinlich | Mehr vom Museum
Schreibe einen Kommentar