Bremerhaven und Heimweh, das gehört für mich so eng zusammen wie Ebbe und Flut: Da sind diejenigen, die in die Stadt an der Wesermündung einwandern. Und da sind die 7,2 Millionen Männer, Frauen und Kinder, die zwischen 1830 und 1974 über Bremerhaven in ein neues Leben in Übersee aufbrachen. Schicksale über Schicksale, zu denen in manchem Fall sicher auch Heimweh gehört. Doch was ist das eigentlich, Heimweh? Wann hat man es? Wie entsteht es? Im Rahmen einer Studie wollten meine Kollegen vom Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven und ich es genauer wissen: In den letzten Monaten befragte ich 24 Studierende zu ihren Erfahrungen mit Heimweh. Als Kulturhistorikerin bin ich am Deutschen Auswandererhaus als Volontärin für Presse und Marketing tätig; die Durchführung der Studie und die damit verbundene Öffentlichkeitsarbeit stellen mein Abschlussprojekt dar. Wissenschaftlich unterstützt wurde ich von meiner Kollegin Katie Heidsiek, Sozialwissenschaftlerin.
Aus Bremen, Bremerhaven, Elsfleth, Oldenburg und Osnabrück kamen Studentinnen und Studenten in unser hauseigenes Tonstudio – über elf Stunden Audio- und Videomaterial entstanden in persönlichen Gesprächen. Nun ist die Erstauswertung abgeschlossen und es zeigt sich: Heimweh ist „ein gutes Problem“…. Wie eine solche Studie funktioniert und was das Ergebnis ist? Das erfahrt ihr in diesem Beitrag.
Wieso die Studie?
Wieso beschäftigen Katie Heidsiek und ich uns überhaupt mit diesem Gefühl? In seiner Dauerausstellung erzählt das Deutsche Auswandererhaus die Geschichten von 33 Aus- und Einwanderern; in der Arbeit mit den über 3.000 Familienkonvoluten unserer Sammlung stolpern meine Kollegen und ich immer wieder über Heimweh. Und auch unsere Besucher, denn: Im Ausstellungsraum „Grand Central Terminal“ ruht in einer Vitrine die „Heimweh-Decke“ von Martha Hüner. Im Jahr 1923 verließ Martha im Alter von 17 Jahren Bremerhaven, um in die USA auszuwandern. Zeitlebens begleitete sie Heimweh, einer ihrer Schätze war ihre „Heimweh-Decke“. Eine Tischdecke, ein Geschenk ihrer Mutter, die sie an ihre Heimat erinnerte. „Heimweh und Migration gehören zusammen“, bringt es Dr. Simone Eick, Direktorin des Deutschen Auswandererhauses, auf den Punkt.
Aufbau der Studie
Um möglichst vielfältige Informationen zu Heimweh zu erhalten, entschieden Katie Heidsiek und ich, die Studie zweizuteilen. Auf der einen Seite stehen die qualitativen, persönlichen Interviews mit Studierenden. Diese gewähren detaillierte Informationen zu ihren persönlichen Erlebnissen. Die Aufzeichnungen ihrer Erfahrungen, sogenannte „Oral-History-Interviews“, sind wichtig, wenn man Gefühle erforscht, für die es nur wenig schriftliche Quellen gibt. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass die Interessierten zum Zeitpunkt des Interviews an einer Universität oder Hochschule immatrikuliert waren. Zudem mussten sie ein Auslandssemester absolviert haben oder für ihr Studium umgezogen sein. Als Zielgruppe wählten wir Studierende, da sie über kürzere oder längere Zeiten und Entfernungen migrieren und so verstärkt mit Heimweh in Berührung kommen. Und ja: Auch der Umzug von Drangstedt nach Bremerhaven oder das Verbringen von fünf Monaten im Ausland ist Migration!
Auf der anderen Seite entschieden Katie Heidsiek und ich, anonym die Besucher des Deutschen Auswandererhauses zu befragen – über 1000 Museumsgäste nahmen bisher daran teil. „Ihre Antworten ermöglichen uns einen Überblick über die Meinung vieler Leute“, erklärt Katie Heidsiek den Vorteil dieses Ansatzes.
Die Ergebnisse
Doch was ist Heimweh nun? Eine eindeutige Antwort darauf kann ich nicht geben, denn: Heimweh ist etwas ganz Persönliches, jeder hat seine eigene Geschichte. Was ich sagen kann ist, dass es Dinge gibt, die eine Mehrheit der von mir interviewten Studierenden mit Heimweh in Verbindung bringen. Zum Beispiel Orte oder Personen, die in ihrem Leben eine wichtige Rolle spielen; der Geburtsort, die Eltern und Geschwister. Auslöser für Heimweh war in den meisten Fällen eine Lage, in der sie unter Stress standen oder es Probleme gab. Also Situationen, in denen normalerweise Freunde und Familie Halt geben würden. Auch die Entfernung, räumlich und zeitlich, zur Heimat war ein Problem. Warum zeitlich? Nun, stellt euch vor, ihr absolviert ein Auslandssemester in Mexiko. Das Telefonat mit Zuhause wird dann schon schwieriger…
Die quantitative Umfrage unter den Gästen des Deutschen Auswandererhauses hat ergeben, dass für circa 30 Prozent der Teilnehmenden Heimweh sowohl gut als auch problematisch ist. Ist Heimweh ein gutes Problem? Ihr seht: Die Studie zum Thema Heimweh hat viele Antworten gegeben, aber auch ebenso viele neue, spannende Fragen gestellt. Diese gilt es nun, zu lösen.
P.S. Noch läuft die Umfrage im Studio Migration – ihr könnt also noch eure Einschätzung zu „Heimweh“ abgeben.