Eigentlich kann ich mit Halloween nur wenig anfangen. Gruselgeschichten sind nicht mein Fall, ganz zu schweigen von Halloween-Parties. Und um von Haus zu Haus zu ziehen und Süßigkeiten zu sammeln, bin ich definitiv zu alt. „Halloween ist sowieso nur ein amerikanisches Importprodukt, das mit unserer Kultur nichts zu tun hat“ – das höre ich alle Jahre wieder, sobald die ersten Kürbisse vor den Häusern und die ersten Kostüme in den Geschäften stehen. Doch da werde ich auf einmal hellhörig.
Neue Heimat, alte Traditionen
Durch meine Arbeit am Deutschen Auswandererhaus weiß ich, dass nicht nur Menschen, sondern auch Traditionen, Gebräuche und Feste auswandern können. Die neue Heimat prägt Menschen, Menschen prägen ihre neue Heimat. Und dasselbe gilt auch für Traditionen. Ein spannender Prozess!
All das geht mir durch den Kopf, als ich in einer freien Minute einmal wieder durch die Ausstellung des Deutschen Auswandererhauses gehe. Schwere Koffer warten an der Kaje auf den Transport, vollgepackt mit Kleidung, aber auch persönlichen Erinnerungsstücken. Doch welche Geschichten nahmen die Auswanderer mit an Bord, was erzählten sie sich am dunklen Morgen vor der Abreise und während der Überfahrt auf den engen Schiffskajüten? Da waren zum Beispiel die über 1,5 Millionen Iren, die Mitte des 19. Jahrhunderts wegen der großen Hungersnot nach Amerika auswanderten. Mit im Gepäck hatten sie Geschichten und Bräuche rund um Halloween – und die reichen wiederum noch viel länger zurück, bis zu den Kelten.
Frohes Neues Jahr?
Damals hieß es zu Halloween weder „Trick or Treats“ noch „Süßes oder Saures“, sondern vielleicht am ehesten „Frohes Neues Jahr“. Denn der Zeitpunkt, den wir in unserem Kalender als die Nacht vom 31. Oktober zum 1. November festgelegt haben, markierte damals den Beginn des neuen Jahres. Das Fest zur Jahreswende hieß bei den Kelten „Samhain“ und war eng verbunden mit mythischen Vorstellungen von der Toten- und Geisterwelt. Wer im Laufe des Jahres gestorben war, so glaubten die Kelten, gehe in dieser Nacht in das Totenreich ein. Umgekehrt besuchten die Geister der Toten an diesem Tag die Erde. Wer von ihnen nicht erkannt werden wollte, trug eine Maske – die ersten Verkleidungen waren entstanden.
Mir schwirrt der Kopf – ein Neujahrsfest inklusive Totengedenken und Verkleidungen? Ein bisschen viel auf einmal! Doch im Laufe der Geschichte verlor der Feiertag „Samhain“ seine Bedeutung als Tag der Jahreswende. Zurück blieb das Totengedenken: der Feiertag „Allerheiligen“ erinnert noch heute daran. Papst Bonifatius IV. führt ihn im siebten Jahrhundert ein. Ursprünglich lag er im Mai, doch schon bald wurde er auf den 1. November gelegt – vielleicht auch, um die keltischen Bräuche christlich umzudeuten? Jedenfalls wurde aus „Samhain“ „All Hallow’s Eve“, der Abend vor Allerheiligen. Und von dort war es nicht mehr weit zu „Halloween“.
Halloween in der Neuen Welt
Eine ganz schön verworrene Geschichte hat Halloween hinter sich, denke ich als, ich weiter durch die Ausstellung gehe. Sicherlich erzählten die irischen Auswanderer auf der langen Überfahrt ihre ganz eigenen Schauergeschichten von dieser einen besonderen Nacht im Herbst, in der die Grenze zwischen Leben und Tod durchlässiger ist als sonst. Doch am „Grand Central Terminal“ bleibe ich etwas ratlos zurück. Ein neues Leben nahm für die Auswanderer hier seinen Anfang, geprägt von ihren alten Traditionen, aber auch von den Sitten und Gebräuchen der neuen Heimat. Doch um herauszufinden, was aus Halloween in der Neuen Welt wurde, helfen mir die Schaukästen und Hörstationen nur wenig weiter. Was nun?
Wie gut, dass wir im Deutschen Auswandererhaus nicht nur in der Ausstellung Migrationsgeschichte darstellen, sondern auch etliche unserer Mitarbeiter ihre jeweils eigene Aus- und Einwanderungsgeschichte zu erzählen haben. Unter ihnen ist auch meine Kollegin Katie Heidsiek aus Fort Collins, Colorado. Mit ihr treffe ich mich, um zu erfahren, wie es mit Halloween in den USA weiterging. Zu meiner Überraschung sind es jedoch nicht Schauer- und Gruselgeschichten, die Katie zuerst zu Halloween einfallen, sondern – Süßigkeiten! „In den USA ist Halloween viel mehr als hier ein Kinderfest“, erzählt sie mir. Und da Kinder – jedenfalls nach Ansicht ihrer Eltern – früh ins Bett müssen, fängt die Party schon morgens in der Schule an. Dort darf die passende Verkleidung nicht fehlen; ob sie gruselig ist oder nicht, spielt hingegen nicht so eine große Rolle. Beim gemeinsamen Umzug in der Turnhalle sind daher nicht nur Zombies oder Vampire, sondern auch Ballerinas oder Feuerwehrmänner vertreten. Gruselig wird es für die Kinder erst am Abend in der Dunkelheit, und so begleiten viele Eltern sie auf ihrem Weg zu den Nachbarn, wo mit jedem „Trick or Treat“ die Süßigkeitentüten voller werden.
Vom Neujahrsfest mit Totengedenken zur Kostümparty mit Süßigkeiten – Halloween hat seine ganz eigene bunte Migrationsgeschichte. Und das ist auch gut so, denn so kommen alle auf ihre Kosten: Gruselfreunde erzählen sich Schauergeschichten, Kinder erleben einen unvergesslichen Tag, und Historikerinnen wie ich können wieder einmal darüber staunen, wie Bräuche und Traditionen sich wandeln und gerade dadurch die Zeiten überdauern.
Mehr über die Geschichte von Halloween können Gruselfreunde bei den Halloween-Führungen im Deutschen Auswandererhaus erfahren. Am 28., 30. und 31. Oktober sind Familien zur Geisterstunde eingeladen. Bei einer Entdeckungstour mit Gruselfaktor hören sie die Geschichte von Jack O’Lantern und erfahren, wie daraus das heutige Halloween-Fest entstand. Da darf die passende Verkleidung natürlich nicht fehlen! Das beste Kostüm wird ausgezeichnet. Am 27., 30. und 31. Oktober lernen Erwachsene auf ihrem Rundgang die Ursprünge des düsteren Volksfestes kennen, treffen auf dunkle Gestalten in den Slums von New York und unterstützen Van Helsing auf seiner Jagd nach Vampiren. Begrüßungscocktail inklusive! Weitere Informationen unter www.dah-bremerhaven.de
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